Schlussfolgerungen
Die erprobten Verfahren vermitteln einen schnellen Eindruck der Variabilität über die gesamte Skala hinsichtlich der assoziativen, schwer quantifizierbaren Aspekte der Klangfarbe. Das Verfahren des subjektiven Vergleichs frequenznormalisierter Klänge kann für den subjektiven Vergleich einzelner Töne sinnvoll eingesetzt werden, z. B. von Tönen, die mit bzw. ohne Gabelgriffe gespielt werden. Bei konstanter Grundfrequenz sind die Spektren einfach vergleichbar und können auf die Ähnlichkeit mit verschiedenen Instrumententypen untersucht werden. Farbskalen sind geeignet, den schnellen Überblick über die assoziativen Eigenschaften und die Variabilität des Klangs von Ton zu Ton plausibel zu unterstützen.
Die assoziative Zuordnung der Spektren zu Grundtypen erfolgt hier über einen subjektiven Vergleich der gemessenen Spektren. Dies kann mit Hilfe von Spektraldatenbanken und mathematischen Verfahren verbessert werden. Die Grenzziehung zwischen verschiedenen Mustern ist jedoch stets diffizil. Dies betrifft die Unterscheidung zwischen starken und schwachen Ausprägungen ebenso wie die Definition von Mischformen.
Im Versuch mit den Nachbauten zeigt sich die ausgeprägte Variabilität der Klangfarbe historischer Flöten aus Renaissance und Barock. Da dieses Verhalten durch die akustischen Gegebenheiten des Instruments bedingt ist, entspricht die beobachtete Variabilität im Groben den historischen Originalen. Dies kann durch akustische Messungen geprüft werden, ohne die Instrumente anblasen zu müssen. Blockflöten zeigen eine Tendenz zu Chalumeauartigen Spektren mit den ungradzahligen Partialtönen (f1, f3, f5, etc.), während ein oktaviales Verhalten mit dominierendem zweiten Partialton f2 für den Querflötenklang typisch ist.
Böhmflöten zeigen in diesem Versuch zwar eine geringere Variabilität der Klangfarbe, jedoch beim Spielen chromatischer Skalen auch keinen ausgeprägten „Ein-Register-Klang“ (wie von G. Scheck 1975 thematisiert [19]). Sie sind von den Spielenden in weiterem Umfang klanglich modifizierbarer als ihre historischen Vorgänger, was bei diesem ersten Versuch jedoch ausgeklammert wurde.
Weiterer Klärung bedürfen Fragen über den Bezug der Klangvariabilität zur Musikästhetik der Zeit sowie zu ihrer Bedeutung für die Interpretation im Sinne der historisch informierten Aufführungspraxis. Es ist jedoch deutlich, dass die natürliche Klangfarben-Variabilität historischer Flöten die Individualität und Auffälligkeit erhöht. Dies fördert auch die Sprachähnlichkeit musikalischer Sequenzen und die Natürlichkeit des Ausdrucks. Auch relativ leise Instrumente können sich damit im Gesamtklang durchsetzen. Der zeittypische Spaltklang manifestiert sich nicht nur zwischen den Instrumenten, sondern bereits im einzelnen Instrument.
Danksagung
Ich bedanke mich herzlich bei Eva Kuen für fachliche Unterstützung, Rat und Korrekturen. Darüber hinaus gilt ihr mein Dank neben Alexandra Kollo und Anja Lautermann für das Einspielen der Instrumentalklänge.
Literatur
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[2] Bartel, D.: Handbuch der musikalischen Figurenlehre. Laaber Verlag, Lilienthal 72017.
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[18] Lerch, T.: Der Klang historischer Blockflöten. In: G. Wagner (Hg.): Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz. J. B. Metzler, Stuttgart 1997, S. 146–168.
[19] Scheck, G.: Die Flöte und ihre Musik. B. Schott’s Söhne, Mainz 1975.
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