Bis zum 13. Jahrhundert war die Flöte offenbar vor allem im Kerngebiet des Heiligen Römischen Reiches in Gebrauch, weshalb sie als „deutsche Flöte” (german flute, flûte allemande) bekannt war. Seit dem 13. Jahrhundert wird sie in anderen Ländern erwähnt, was zeigt, dass sie dann auch anderswo in Gebrauch war.
Es gibt drei literarische Stellen vor 1500, die sich eindeutig auf die Querflöte beziehen.10
Der Menestrel Adenet le Roi (ca. 1240–1300), der am Hof des Grafen Gui de Gaumperre (1226–1305) tätig war, führt, in einer Liste von Instrumenten innerhalb seines Versromans Li roumans de Cleomadès (geschrieben um 1285), auch eine Querflöte auf:11
La sont trestout si estrument,
qui valent un granment d ’argent:
harpes, rotes, gigues, violes,
leuus, quitaires et citoles,
et tinpanes et micanons,
rubebes et salterions
Tabours et muses et flaios
y a assez, grelles et gros,
flahutes d'argent traversaines,
estives, cornes et douçaines,
et d’autres instrumens asses
que ne vous ai pas tous nommes.
Se j’ere la, j'es venderoie
et de l’argent me cheviroie,
car de nul instrument ne sai [...]
„Es gab dort alle Arten von Instrumenten die Geld wert sind:
Harfen, Rotten, Fideln, Violen,
Lauten, Quinternen und Citoles,
Hackbrett, Halbpsalter,
Rebecs und Psalter,
Trommeln und Sackpfeifen und Flöten
gab es viele, kleine und grosse,
silberne Querflöten,
Platerspiel, Hörner und Doucaines,
und viele andere Instrumente, die ich euch nicht alle genannt habe.
Wäre ich dagewesen, ich hätte sie verkauft und mir Geld verdient,
denn ich weiss kein Instrument zu spielen […]
Die ‚silbernen Flöten’ beziehen sich wohl auf wertvolle Instrumente.
Der große französische Ars-Nova-Komponist Guillaume de Machaut (1300—1377) erwähnt eine Flöte in seinem Werk La prise d’Alexandrie, einer dichterischen Erzählung über den Feldzug den Pierre de Lusignan, König von Zypern (1328–1369), zur Eroberung von Alexandria im Jahre 1365 unternahm.
Machaut schreibt:12
Là avoit de tous
instrumens. Et [...]
Je vous diray les propre
noms Qu’il avoient & les
seurnoms,
Au meins ceuls dont j’ay congnoissance
„Es gab dort alle Arten von Instrumenten, […],
und ich will Euch die vollständigen Namen von ihnen sagen, wenigstens, soweit ich sie kenne.”
Im Weiteren spricht er von lauten und leisen Flöten – er meint solche, die im Freien gespielt werden und solche, für Innenräume:
flaios plus de x. paires,
C’est à dire de xx. manieres,
Tant des fortes com des
legieres
„mehr als zehn Paar Flajols, das heisst, mehr als zwanzig verschiedene, sowohl laute als auch leise”
flaüstes traverseinnes ... &
flaüstes Dont droit joues quant tu
flaüstes
„Querflöten und solche, die gerade gespielt werden, wenn man sie bläst.”
Machauts Schüler Eustache Deschamps (1346–ca. 1406) macht einen Unterschied zwischen ‚flaustes’ und ‚traversaines’. Mit dem letzteren benennt er in einem Gedicht auf den Tod seines Lehrers, 1377, die Querflöte. In einem späteren Gedicht benutzt er den Ausdruck ‚fleuthe traversaine’13.
Nach einer kurzen Zeit, in der Erwähnungen der Querflöte selten sind, wird, etwa seit Anfang des 15. Jahrhunderts, die Flöte zum Gebrauch im Innenraum und im Freien als Ensembleinstrument der Renaissance zunehmend beliebter.
Schlusswort
Die Traversflöte kommt in der byzantinische Ikonographie sehr oft vor, wobei keine Informationen über ihren Einsatz und ihr Repertoire überliefert worden sind. Genauso mangelt es an Informationen über die weltliche Musik im Byzanz. Im westeuropäischen Kulturraum war die Traversflöte nicht oft im Gebrauch, obwohl sie immer wieder von den Ministrels u. a. in Deutschland und Frankreich zum Einsatz kam. Obwohl uns einige Informationen fehlen, bleibt die Forschung in diesem Feld besonders interessant.
Bibliographie
- Marcellin Berthelot / Charles-Emile Ruelle: Collection des anciens alchemistes grecs, 3 Bde, Paris 1888.
- Jane Bowers: „Flaüste Traverseinne” and „Flute d’Allemagne”: the flute in France from the late middle ages up through 1702, in: Recherches sur la musique française classique, vol. XIX, 1979, S. 7–49.
- Joachim Braun: Musical instruments in Byzantine illuminated manuscripts, in: Early Music, vol. 8 (July), 1980, S. 312–328.
- Liane Ehlich: Zur Ikonographie der Querflöte im Mittelalter, in: Basler Jahrbuch für Historische Musikpraxis, Bd. 8, 1985, S. 197–211.
- David Lasocki: The Recorder and Other Members of the Flute Family in Writings from 1100 to 1500, Portland, Oregon 2012.
- Nikos Maliaras: Byzantina Mousika Organa [Byzantine musical instruments], Athen 2007.
- Anthousa Papagiannaki: Performances on ivory: the musicians and dancers on the lid of the Veroli casket (2015), in: Deltion tes Christianikes Archaiologikes Hetaireias, vol. 35, 2014, S. 301-310.
- Ardal Powell: The Flute, New Haven, London 2002.
- Stelios Psaroudakes: The Hellenistic side flute and the Koilē-Athens instrument, in: Poetry, Music and Contests in Ancient Greece, Proceedings of the IVth International Meeting of MOISA, Lecce 2010.
- Chrestos Terzes: A Companion to Ancient Greek and Roman Music, First Edition, Hg. von Tosca A. C. Lynch und Eleonora Rocconi, Hoboken 2020, Wiley-Blackwell.