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Giuseppe Sammartinis hou hou hou Fachartikel

 

Bei meiner musikwissenschaftlichen Arbeit zu Giuseppe Sammartini, die dem Werk und der Aufführungspraxis seiner Musik für Holzblasinstrumente gewidmet ist,1 fiel mir das häufige Auftreten einer Wellenlinie auf, die jeweils über repetierten Noten zu finden ist. Diese Wellenlinie findet sich sehr häufig in Sammartinis Kompositionen und kann fast als stilistisches Merkmal gesehen werden. Hier folgen einige sowohl handschriftliche als auch gedruckte Beispiele aus Sammartinis Sonaten für ein Blasinstrument (Abb. 1 bis Abb. 5).2

 

Abb. 1: Sonate für Oboè Solo con il Basso (GSM 1302a), Ausschnitt aus dem 1. Satz (Andante), Autograph.
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Abb. 2: Sonate für Oboè Solo con il Basso (GSM 1306), Ausschnitt aus dem 2. Satz (Andante).
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In Abbildung 3 (Manuskript) und Abbildungen 4 und 5 (Drucke) sind auch Triller zu sehen, die nach dieser Wellenlinie notiert sind, was darauf hindeutet, dass es sich eindeutig um zwei verschiedene Arten von Verzierungen handeln muss.

Abb. 3: Sonate für Oboè Solo con il Basso (GSM 1307), Ausschnitt aus dem 2. Satz (Andante).
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Abb. 4: Sonate (GSM 1350, erste Sonate des „Opus II“, „a Flauto Traversiere Solo Con il Basso“), Ausschnitt aus dem 4. Satz (Andante).
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Abb. 5: Sonate (GSM 1360, zweite Sonate „Opus I“, „Sonate à Solo et a due Flauti Traversi col Loro Basso“), Ausschnitt aus dem 1. Satz (Adagio).
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Die Hypothese, dass es sich dabei um ein Tremolo handelt, hat sich schnell durchgesetzt. Zuerst möchte ich in diesem Artikel herausarbeiten, was der Begriff Tremolo bezeichnet und anschließend auf die spezielle Verwendung des Tremolo bei Giuseppe Sammartini eingehen, sowie die Bedeutung aufzeigen, die diese Verzierung für die Interpretation von „barocker“ Bläsermusik haben kann.

 

Erstaunlicherweise wurde noch keine spezifische und ausführliche Abhandlung über das Tremolo geschrieben. Da eine solche Studie den Rahmen dieses Artikels bei weitem sprengen würde und es nicht möglich ist, hier alle Vorkommnisse des Begriffs oder seine wahrscheinlichen Anwendungsbereiche für den Zeitraum zwischen 1580 und 17803 aufzulisten, werde ich keine Vollständigkeit anstreben, sondern mich darauf beschränken, die Primär- und Sekundärliteratur großzügig abzuhandeln (wobei ich mich mehr auf Quellen vor als nach Sammartini konzentrieren werde) und einige Beispiele anzuführen.

 

Ich werde dabei versuchen, den Begriff Vibrato so weit wie möglich zu vermeiden. Mehrere Musikwissenschaftler haben vorgeschlagen, den Begriff Tremolo als das zu verstehen, was wir heute als Vibrato bezeichnen, aber obwohl die sorgfältig verfassten Quellenverzeichnisse4 zu dem Begriff Vibrato viele Informationen liefern, scheinen diese mir für die Interpretation der Musik des 17. und 18. Jahrhunderts anachronistisch und in gewissem Maße verwirrend zu sein.

 

 

Das Tremolo im 17. Jahrhundert: Von einer allgemeinen Bezeichnung zum spezifischen Ornament

 

Um das Tremolo des 18. Jahrhunderts untersuchen zu können, ist zunächst ein Umweg über ältere Musik erforderlich. Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts taucht der Begriff Tremolo regelmäßig in Quellen auf, die sich mit Ornamenten befassen. Dies ist zum Beispiel der Fall bei dem Organisten Girolamo Diruta im Jahr 1593 (der eine ornamentale Figur beschreibt, bei der zwei Noten abwechseln)5 und dem Sänger Giovanni Battista Bovicelli im Jahr 1594 (Il tremolo nondimeno, che non è altro, che un tremar di voce sopra ad una stessa nota)6, bei dem Sänger und Instrumentalisten Lodovico Zacconi 1596 (Il tremolo, cioè la voce tremante è la vera porta d'intrar dentro a passaggi, & di impataornirse delle gorgie)7, dem Cornettisten Luigi Zenobi 1600 (Trillo è quello, che non si ferma, né in riga né ispatio [ma muove sempre] con velocità. Tremolo è quello, che tocca della riga, e dello spatio in qual'si voglia modo, ch'ei si faccia)8, oder dem Organisten Michael Praetorius im Jahr 1619 (Tremulo: Ist nichts anders/ als ein Zittern der Stimme über eine Note: die Organisten nennen es Mordanten oder Moderanten;9 wie bei Diruta bestehen die Beispiele von Praetorius aus dem Wechsel zweier Noten).

 

Es lässt sich also eine Verbindung zwischen Tremolo, Orgel und Gesang erkennen. Aber wie ist es zu verstehen, dass die Beispiele von Diruta und Praetorius den Wechsel von zwei Noten beschreiben (was man spontan als Trillo bezeichnet), während andere eindeutig zwischen Trillo und Tremolo differenzieren? Bruce Dickey nennt eine schlüssige Erklärung, indem er auf die Beschreibung des Tremolo durch den Violinisten Riccardo Rognoni verweist: Zahlreiche Techniken wurden im Laufe der Geschichte sowohl von Sängern als auch von Instrumentalisten verwendet, um Tonhöhen- und Intensitätsschwankungen zu erzeugen […] Einige der um 1600 verwendeten Techniken erzeugen Effekte, die wir normalerweise als Vibrato bezeichnen würden, andere erzeugen Triller, Tonwiederholungen und andere Effekte, die für moderne Ohren fremd sind. […] So konnte eine Veränderung der Klangintensität auf einer Violine, die durch die Veränderung des Bogendrucks erzeugt wurde, denselben Namen tragen wie ein Triller mit ganzen Tonschritten auf der Orgel. Anweisungen dieser Art, die auf irgendeine Weise einen regelmäßigen Intensitätswechsel innerhalb einer Note erzeugten, wurden im 17. Jahrhundert als Tremolo bezeichnet. Dickey fasst zusammen: Das Tremolo ist also vermutlich eine sanfte und regelmäßige Veränderung der Klangintensität und/oder der Tonhöhe.10 Frederick Neumann, der das Tremolo in seinem Buch über Ornamentik des Barock nicht als eine besondere Verzierung identifiziert, spricht von eben dieser Auffassung, wenn er schreibt: das alte Tremulo-Paar aus Triller und Mordent.11

 

Parallel zu diesem „allgemeinen“ Begriffsverständnis des Tremolo entstand jedoch zu Beginn des 17. Jahrhunderts ein eigenständiges Ornament, wie unter anderem eine Äußerung des Violinisten Francesco Rognoni aus dem Jahr 1620 erkennen lässt: Il Tremolo si fa sovente, mà però con gratia, & si deve guardare di non farlo come fanno alcuni senza termine, che paiono Capretti,12 und der das  Tremolo ebenfalls grafisch darstellt (Abb. 6).

 

Abb. 6: Beispiel eines Tremolo bei F. Rognoni.
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Das Tremolo wird im Geigenspiel nun als spezifisches Ornament üblich, wie die Musikwissenschaftlerin und Violinistin Constance Frei ausführt:

 

„Im 17. Jahrhundert sind die Geigenstimmen häufig mit einer als Tremolo bezeichneten Verzierung ausgeschmückt. Notiert wird es auf verschiedene Weise: Manchmal ist es kaum erkennbar, da allein der Name Tremolo als Spielanweiung notiert ist, manchmal wird es 'in allen Noten' notiert […] Mehrere Belege von englischen, französischen und deutschen Autoren liefern genaue Erklärungen und erkennen im Bogentremolo die Nachahmung eines Orgelregisters. […] Diese Beschreibungen laufen alle auf die gleiche Definition und einen gemeinsamen Ursprung hinaus: Das Bogentremolo ist eine Nachahmung des Orgeltremolo, eines mechanischen Registers, das nicht mit den Funktionsprinzipien der „voce umana“ oder des „fiffaro“ zu verwechseln ist, die in Italien Labialregister (und nicht wie in anderen Ländern Zungenregister) sind und auf der gleichzeitigen Wiedergabe zweier leicht unterschiedlicher Töne beruhen.“13

 

In Bezug auf die Notation, mit der dieses Ornament angezeigt wurde, fasst Frei wie folgt zusammen:

 

„Im Violinrepertoire erscheint das Bogentremolo in verschiedenen Formen. Es kann auf drei verschiedene Arten notiert werden:
- Lange Notenwerte: ganze und halbe Noten in verschiedenen Tonhöhen.
- Gebundene Achtel: eine Folge von zwei oder vier gebundenen Achteln derselben Tonhöhe.
- Abgesetzte Achtel: eine Folge von zwei bis vier unverbundenen Achteln derselben Tonhöhe.“

 

Ein Beispiel für die erste Notationsart des Tremolo findet sich bei Biagio Marini im Jahr 1617 in seiner Sonate La Foscarina (Abb. 7).14

 

 

 

Abb. 7: Hinweis auf das Tremolo bei B. Marini.
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Die Praxis des Tremolo ist jedoch nicht ausschließlich italienisch und auch nicht nur auf die Violine beschränkt, wie der englische Gambist Christopher Simpson 1659 bezeugt: Some also affect a kind of Shake or Tremble with the Bow, like the shaking Stop of an Organ: but the frequent use of thereof (in my opinion) is not commendable.15 Darüber hinaus sind mehrere Beschreibungen in Gesangstraktaten zu finden, die der Tradition des Tremolo folgen, so wie sie Praetorius für den deutschsprachigen Raum beschrieben hat, wie bei Wolfgang Caspar Printz im Jahr 1671: Tremolo ist ein scharffes Zittern über einer grössern Noten/ so die nechste Clavem mit berühret. Er steiget entweder auf oder ab/ und ist entweder verkürtzet oder verlängert. Der Verkürtzte bestehet in vier/ der Verlängerte in mehr geschwinden Noten.16

 

In diesem Zusammenhang ist auch die Canzon con il Tremolo La Grimaneta von Giovanni Battista Riccio für Flautin & Fagotto17 zu verstehen, auf die Peter Thalheimer hinweist18.

 

 

Es handelt sich also um ein Ornament, das im 17. Jahrhundert zumindest von Sängern und Streichern verwendet wurde, meist in Bezug auf die Nachahmung eines bestimmten Orgelregisters.

 

 

Das Tremolo im 18. Jahrhundert

 

Im 18. Jahrhundert wurde die Praxis des Tremolo weitergeführt und war nun europaweit verbreitet. Die bekannten Elemente finden sich zum Beispiel im Jahr 1700 bei Sébastien de Brossard:

 

„Tremolo oder Tremulo sind keine besonders guten italienischen Wörter – Tremolante oder Tremante wären sehr viel besser. Jedoch weist die Bezeichnung ausgeschrieben oder abgekürzt als Trem. die Streicher darauf hin, mehrere Töne derselben Tonhöhe unter einem Bogen auszuführen, als ob sie das Tremblant der Orgel imitieren wollten. Dies ist auch deutlich und häufig bei den Singstimmen zu finden […].“19

 

Aber zu dem Zeitpunkt, als Brossard diese Worte schrieb, verwendeten französische Musiker wie Etienne Loulié (Abb. 8)20 bereits seit einigen Jahren eine französische Übersetzung des Terminus: das Balancement. Dieser Begriff taucht schließlich auch bei anderen auf, so auch bei Michel Pignolet de Montéclair 1736: Das Balancement, welches die Italiener als Tremolo bezeichnen, bringt die Wirkung des Orgeltremulanten hervor.21

 

Abb. 8: Erläuterung des Balancements durch E. Loulié
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Auch im deutschsprachigem Raum war die Anwendung des Tremolo weiterhin üblich, wie bei Johann Gottfried Walter 1732 deutlich wird: Tremolo […] Bedeutet, daß auf besaiteten und mit Bogen zu tractirenden Instrumenten, viele in einerlen Tone vorkommende Noten, mit einem zitternden Striche absolvirt werden sollen, um den Orgel:Tremulanten zu imitiren22 oder auch bei Johann Mattheson 1739:

 

„Der Tremolo oder das Beben der Stimme ist […] die allergelindeste Schwebung auf einem eintzigen festgesezten Ton, dabey meins Erachtens das Oberzünglein des Halses (epiglottis) durch eine gar sanffte Bewegung oder Mässigung des Athems, das meiste thun muß: so wie auf Instrumenten die blosse Lenckung der Fingerspitzen, ohne von der Stelle zu weichen, […] Wer die Tremulanten in den Orgelwercken kennet, wird wissen, daß bloß der zitternde Wind daselbst die Sache ausmacht, und kein andrer, weder über noch unterliegender Tast auf dem Clavier dabey berührt wird: denn es ist ein solcher Tremulant nur eine Klappe in der Windröhre auf den Orgeln, welche ein Schweben im Spielen verursacht, so offt man es haben will. Auf Geigen kan dergleichen Zittern auch mit den Bögen in einem Strich, auf einem Ton bewerckstelliget werden, ohne daß man dazu einen zweiten nothig hat.“23

 

Es gibt unzählige Beispiele sowohl im solistischen als auch orchestralen Streicherrepertoire. Als Beispiel sei hier nur der Gambist Johannes Schenck angeführt, der 1704 in der ersten Sonate seines L'Echo du Danube das Tremolo ganz wesentlich einsetzt. (Abb. 9)24

 

 

Abb. 9: J. Schenck: „L’Echo du Danube“, 1. Sonate, Anfang des 3. Satzes.
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Um sich schließlich Sammartini anzunähern, muss man auch die Verwendung des Tremolo bei Luigi Madonis untersuchen, der möglicherweise ein Schüler Vivaldis war und wie Sammartini in den 1720er Jahren in Venedig arbeitete. Die Notation bestimmter Passagen, wie im 4. Satz (a tempo giusto) der Sonata VI op.1, ist sicher in diesem Kontext zu sehen (Abb. 10).25

 

Abb. 10: L. Madonis: Sonata VI, Ausschnitt aus dem 4. Satz (A tempo giusto).
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Einige Jahre später verwendete Giovanni Stefano Carbonelli, ein weiterer Komponist, der Sammartini während seiner Londoner Jahre nahestand, ebenfalls eine Wellenlinie über repetierten Noten zu Beginn des zweiten Allegro seiner Sonata XI (Abb. 11).

 

Abb. 11: G. S. Carbonelli: Sonata XI, Anfang des 4. Satzes (Allegro).
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Um die Mitte des 18. Jahrhunderts änderte sich bei den Streichern die Bedeutung des Begriffs Tremolo. Dies erklärt, warum Giuseppe Tartini in den Jahren zwischen 1730 und 1740 den Begriff Tremolo als eine mit dem Finger und dem Handgelenk der linken Hand (und nicht mehr mit dem Bogen)26 ausgeführte Schwingung beschreibt, obwohl das Erscheinungsbild einiger hier angeführten Beispiele an Darstellungen des vorherigen Jahrhunderts erinnern (Abb. 12) oder warum Francesco Geminiani 1751 den Begriff Tremolo als italienische Übersetzung eines „Close Shake“ verwendet (wie bei Tartini eine von der linken Hand ausgeführte Schwingung).27

 

Abb. 12: Beispiele des Tremolo bei G. Tartini.
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Diese Veränderung der Begriffsbedeutung bei den Streichern erklärt die Erläuterung, die Rousseau 1768 in seiner Definition des Tremblements (sein Wörterbuch enthält keinen speziellen Eintrag für das Tremolo) anführt:

 

„Früher wurde der Begriff des Tremblement, auf Italienisch Tremolo, dazu verwendet, um den Streichern anzuzeigen, dass sie eine Note mehrmals mit demselben Bogen zu schlagen hätten, als ob sie das Beben der Orgel imitieren wollten. Weder der Name noch die Sache sind heute mehr in Gebrauch.“28

 

Es gibt also ein spezifisches Ornament namens Tremolo, das etwa zwischen 1600 und 1750 für Singstimmen und Violine genutzt wurde. Den Quellen zufolge besteht die Praxis der Tastenspieler bei der „Nachahmung“ dieses Ornaments darin, den Hauptton mit dem entsprechend höheren und tieferen Ton abzuwechseln. Aber wie sieht es mit der Praxis bei den Blasinstrumenten aus? Abgesehen von der Erwähnung Zenobis ist mir kein durch einen Bläser gegebener Hinweis im 17. Jahrhunderts bekannt. Erst im Jahr 1738 beschreibt Johann Philipp Eisel das Tremolo auf einer Flöte wie folgt:

 

„Wie kan man aber das tremuliren erlernen? Folgendergestalt: wenn man nehmlich bläset, so stösset man etwas mit der Zungen, und schläget zugleich etlichemal mit dem finger nur halb und halb auf das Loch, ohne mit der Zunge wieder von neuen anzustossen, oder den Athem zurück zu nehmen, endlich lässet man die Finger gar drauf liegen, dass der natürliche Ton heraus komme. Wie viel man aber mit denen Fingern schlagen muss, ist eigentlich nicht zu determiniren, sondern man richtet sich darnach, wieviel die Note gilt, um die Cadence kurtz oder lang zu machen.“29

 

Ich bin, so wie auch schon Maria Bania, der Meinung, dass Eisel eher ein Flattement beschreibt. Muss hier also die Tatsache berücksichtigt werden, dass Eisel ein aufgeklärter Amateurmusiker ist (und kein Profi) und dass ein terminologische Verwechslung vorliegt? 

 

Interessanterweise finden wir jedoch nach 1750 – zu einem Zeitpunkt, an dem die Tremolo-Praxis bei den Streichern nachzulassen scheint – wichtige Beschreibungen von führenden Bläsern. Allen voran Quantz, der die Verzierung zwar nicht benennt, dessen Beschreibung aber durchaus in den bekannten Rahmen passt:

 

 

„Wenn über Noten, die auf einerley Tone stehen, ein Bogen befindlich ist (Fig.8); so müßen selbige durch das Hauchen, mit Bewegung der Brust, ausgedrücket werden. Stehen aber über solchen Noten zugleich Punct (Fig. 9); so müssen diese Noten viel schärfer ausgedrücket und so zu zagen mit der Brust gestoßen werden.“30

 

 

Abb. 13: J. J. Quantz: „Exempel“, Tafel III, F: 8 und F: 9
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Desweiteren gibt der französische Flötist Charles De Lusse 1760 eine Definition des Tremolos und eine „technische“ Anweisung zur Ausführung für die Bläser:

 

„Es gibt noch eine andere Art des flexiblen Tremblements, das die Italiener Tremolo nennen und die sich sehr gut für die Melodie eignet, wenn man sie richtig einsetzt. Es wird nur durch eine aktive Bewegung der Lungen erzeugt, indem man folgende Silben bläst: « Hou, hou, hou, hou » usw.“31

 

Unter Bläsern setzte sich die Praxis des Tremolos in der zweiten Hälfte des 18. und sogar im 19. Jahrhundert fort, wie Bania schreibt:  

 

„In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts existierte die Flattement-Technik gleichberechtigt mit dem Brustvibrato, das innerhalb des untersuchten Zeitraums meist langsam und kontrolliert war, typischerweise vier Wellen auf einer langen Note.“32

 

 

In seinem sehr interessanten Artikel in Tibia 2/2014 führt Peter Thalheimer noch mehrere Beispiele für Tremolo aus späteren Quellen an. Jedoch identifiziert er das Tremolo dabei nicht als ein eigenständiges Ornament, das man auf einem langen Ton anwenden kann sondern fokussiert sich eher auf dessen Notation. Besonders erwähnenswert sind jedoch die von ihm angeführten Beispiele für die Verwendung des Tremolo bei Blechbläsern und die verschiedenen Notationsbeispiele.

 

Der Begriff Tremolo wird bei Bania nicht verwendet (sie zieht „chest vibrato“ vor),33 ebenso wenig wie in Anne Pustlauks Arbeit über die Flöte zwischen 1790 und 1850 (in der eine sehr umfassende Auflistung der Quellen zum Vibrato in Flötenmethoden zu finden ist, einschließlich der Erwähnung des „chest vibrato“). Auch Neumann ignoriert den Begriff34 und in Haenen-Moens' monumentaler Arbeit wird er fast gar nicht behandelt.35

 

In Anbetracht dieser Informationen gehe ich für die Praxis der Bläser in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts von der Existenz eines auf einer langen Note ausgeführten Ornaments aus, das immer wieder als Tremolo bezeichnet wird und dessen Ausführung durch einen „Bruststoß“ mit mehr oder weniger Intonationsschwankungen auf rhythmisch-metrische Weise und oft über einer Gruppe repetierter Noten erfolgte. Es kommt einer Nachahmung des Orgel-Tremulant nahe und wird  hauptsächlich in langsamen oder moderaten Sätzen verwendet.

 

 

Die Verwendung des Tremolo bei Sammartini und in der Bläsermusik seiner italienischen Zeitgenossen

 

Nach diesen Ausführungen können wir uns nun Giuseppe Sammartini zuwenden, sowohl dem durch ihn möglichen intendierten Einsatz des Tremolo als auch dem Einfluss, den diese Informationen auf unsere Interpretationen der italienischen Bläsermusik der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts haben können. Erinnern wir uns zunächst, wer dieser Musiker war und wie sein Werdegang aussah. Giuseppe wurde 1695 als Sohn von Alexis Saint-Martin (einem französischen Oboisten) in Mailand geboren. Er entwickelte sich schnell zu einem der bedeutendsten Blasinstrumentalisten in Italien und begann sich einen Ruf als Komponist zu machen.  Sein erstes bekanntes Werk, ein Oboenkonzert, wurde 1717 in Amsterdam von Estienne Roger veröffentlicht. Während sein älterer Bruder Giovanni Battista (ein Organist und Komponist, der oft als „Vater der Symphonie” bezeichnet wird) in Mailand blieb und dort zur zentralen Figur des lombardischen Musiklebens in der ersten Hälfte des Jahrhunderts wurde, war Giuseppe zunächst in Mailand und Venedig tätig und verließ Italien im Juli 1728 in Richtung Brüssel, um mit einer Truppe italienischer Sänger an der Monnaie aufzutreten. In den österreichischen Niederlanden hielt er sich nur eine Saison lang auf und ging im Frühjahr 1729 nach London. Dort wurde er schnell in das Musikleben integriert und trat in der Opera of the Nobility (einer Operngesellschaft, die mit der Händels konkurrierte) neben Nicola Porpora und Farinelli auf. Das berühmte Concerto per la fluta in F-Dur, das Blockflöte Spielenden wohlbekannt ist, stammt wahrscheinlich aus dieser Zeit. 1736 trat Sammartini in den Dienst des Hauses des Prinzen von Wales, Frederick, und blieb dort bis zu seinem Tod im Jahr 1750. Die Notiz, die John Hawkins etwa 25 Jahre nach Sammartinis Tod verfasste, zeigt das Ansehen, welches dieser in England nicht nur als Oboist (the greatest that the world had ever known), sondern auch als Komponist genoss: Er war ein bewundernswerter Komponist; und für Instrumentalmusik dürfte er, ohne die beiden verletzen zu wollen, an Corelli und Geminiani heranreichen.36 Mit ihren 70 Sonaten und zahlreichen Bläserkonzerten können die Werke Sammartinis ohne jeden Zweifel als Eckpfeiler des Holzbläserrepertoires aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gelten.

 

Die oben angeführten Beispiele zeigen, dass Sammartini das Tremolo in seinen Sonaten für Blasinstrumente sehr häufig notiert. Daher stellt sich die Frage, ob er es auch in seinen Kompositionen für andere Instrumente und in seinen Konzerten verwendet hat. Bemerkenswert ist das Tremolo in der Bassstimme der Sonate GSM 1323 (Abb. 14), deren zwei uns überlieferte Versionen in diesem Punkt identisch sind.

 

Abb. 14: Sonata (GSM 1323b, Zweite Sonate aus dem „Opus II“), Ausschnitt aus dem 1. Satz (Andante Spiritoso).
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Sammartinis Sonate für Violoncello GSM 1371 weist ebenfalls eine Verwendung des Tremolo auf (Abb. 15).

 

 

Abb. 15: „Sonata III Dal Sigr St. Martini“ (GSM 1371), Ausschnitt aus dem 3. Satz (Minuet - Allegro).
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Es ist anzumerken, dass in den in Dresden erhalten gebliebenen Quellen Sammartinis, wie bei deutschen Orchesterstimmen üblich, kein explizites Beispiel für Tremolo (das durch eine Wellenlinie angezeigt wird) zu finden ist. Dabei ist seine Verwendung in den Streicherstimmen an einigen Stellen offensichtlich, wie im 2. Satz des Konzertes in D-Dur für Oboe GSM 1705a (Abb. 16), am Anfang des 1. Satzes des Oboenkonzertes in B-Dur (GSM 1708a) oder im 3. Satz der Sonate für Oboe und Streicher in B-Dur GSM 1706 (deren Kopist J. G. Pisendel ist, Abb. 17). In den Stockholmer Versionen der Konzerte in D GSM 1705b (der Violine zugeschrieben) und in Es GSM 1708b (ebenfalls für Violine und fälschlicherweise Giovanni Battista Sammartini zugeschrieben),37 sehen die fraglichen Passagen etwas anders aus. Während die repetierten Noten in Dresden verbunden sind, sind sie es in Schweden nicht (Abb. 18).

 

Abb. 16: Concerto ad Oboe Solo con Violini (GSM 1705a), Beginn des 2. Satzes (Adagio).
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Abb. 17: Sonata ad Oboe Solo con VV (GSM 1706), Beginn des 3. Satzes (Andante).
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Abb. 18: Concerto per il Violino Solo (GSM 1705b), Beginn des 2. Satzes (ohne Bezeichnung).
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In Stockholm gibt es ein weiteres interessantes Beispiel im 1. Satz des Concertos per la Fluta GSM 1711 (Abb. 19).

 

Abb. 19: Concerto a piu Istromenti per la Fluta (GSM 1711), Ausschnitt aus dem 1. Satz (Allegro).
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Abbildung 14 zeigt einen Fall der Verwendung des Tremolo in der Bassstimme in der Sonate GSM 1323b. Der 2. Satz dieser Sonate bietet mehrere interessante Vergleiche zwischen den Fassungen GSM 1323a (handschriftlich für Blockflöte) und b (gedruckt für Traverso). Im zweiten Takt der Fassung GSM 1323a gibt es eine halbe Note, gefolgt von einer Viertel (Abb. 20). In der chronologisch späteren Fassung GSM 1323b (Abb. 21) wird die lange Note durch ein Tremolo ersetzt.38 Interessanterweise geschieht in der Basstimme genau das Gegenteil (von einem Tremolo im zweiten Takt der Version GSM 1323a zu einer langen Note in GSM 1323b). Bemerkenswert sind auch die gleichzeitigen Tremoli im fünften und achten Takt der Version GSM 1323a.

 

Abb. 20: Sonata a Flauto solo col Basso (GSM 1323a), Beginn des 3. Satzes (Adagio).
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Abb. 21: Sonata (GSM 1323b), Beginn des 2. Satzes (Andante Lento).
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Klangbeispiel: SERENISSIMA, A Musical Portrait of Venise Around 1726 https://www.youtube.com/watch?v=oWBeyN6BkD8&list=OLAK5uy_lnQDC-P7X015-1TsD1IyX3hISojDknPd8&index=18

 

Während seiner späteren Karriere verwendete Sammartini das Tremolo in seinen „englischen“ Oboenkonzerten, z. B. in den Begleitstimmen der Streicher im bezaubernden Andantino des Konzerts GSM 1743 (Abb. 22)

 

Abb. 22: Concerto IV (GSM 1743), Stimme der 1. Violine, 4. Satz (Andantino), Takte 9–13
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und in Takt 43 der Oboenstimme im 2. Satz (Andante) des Konzerts GSM 1770 (das in drei Quellen überliefert ist).39 Zwei Quellen stimmen darin überein, dass es einen Unterschied zwischen diesem Zeichen und einer Bindung gibt (Abb. 23 und Abb. 24). Die dritte Quelle enthält eine Bindung an dieser Stelle. Die Floskel der vier wiederholten Noten stimmt mit unseren vorherigen Beobachtungen überein.

 

Abb. 23: Concerto 12 (GSM 1770), 2. Satz (Andante), Takte 43–47, GB-Lbl, R.M.23.b.8., © British Library Board
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Abb. 24: Concerto 12 (GSM 1770), Oboenstimme, 2. Satz (Andante), Takte 38–44, GB-Lbl, R.M.21.c.10-15., © British Library Board
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Ein weiteres schönes Beispiel, das nur die Streicher betrifft, findet sich in allen Stimmen des Rondo-Finales des Concerto grosso GSM 1740. Dieses Konzert ist in vier Quellen erhalten, zunächst als erstes Konzert von Opus VIII, dann in den drei Manuskripten der 12 concertos in der British Library. Sie alle weisen Tremoli auf, wie in Abb. 25, Abb. 26 und Abb. 27 zu sehen ist (eine gedruckte Orchesterstimme, eine handschriftliche Partitur und eine handschriftliche Orchesterstimme).

 

Abb. 25: Concerto (GSM 1740), 1. Violine, Beginn des 4. Satzes (Rondo); Fassung des Opus VIII, © British Library Board.
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Abb. 26: Concerto (GSM 1740), Partitur, Beginn des 4. Satzes (Rondò Andante); Fassung GB-Lbl RM23 b11, © British Library Board.
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Abb. 27: Concerto (GSM 1740), 1. Violine, Beginn des 4. Satzes (Rondeau allegro); Fassung GB-Lbl RM21 c10, © British Library Board.
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Das Tremolo war demzufolge ein fester Bestandteil des Instrumentalspiels und guten Geschmacks des bekanntesten Oboisten seiner Zeit. Es findet sich in seinen Kompositionen sowohl für Bläser als auch für Streicher, hauptsächlich in langsamen und gemäßigten Sätzen (oft Andante) und auf langen oder repetierten Noten (oft drei oder vier). Abgesehen von der „allgemeinen“ Möglichkeit, das Tremolo als Verzierung einer langen Note zu verwenden, betrachten wir nun, inwieweit es in anderen italienischen Oboenwerken von Sammartinis Zeitgenossen anwendbar ist (Block- und Traversflötisten werden in ihrem Repertoire mühelos ähnliche Beispiele finden).

 

Meiner Meinung nach ist es weder möglich, ein Tremolo in der Oboensonate von Matteo Bissoli zu verwenden, noch in den Sonaten Antonio Vivaldis RV 28 und RV 53. Dagegen bietet Takt 27 des 3. Satzes (non tanto Adagio) der Sonate c-Moll für Oboe und Basso continuo von Giovanni Benedetto Platti eine gute Gelegenheit, dieses Ornament einzusetzen (Abb. 28).40

 

Abb. 28: G. B. Platti: Sonata Oboe Solo, 3. Satz (non tanto Adagio), Takte 25–30
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In der Sonate Es-Dur für Oboe desselben Komponisten bieten die langsamen Sätze (zwei Adagios) ebenfalls mehrere Gelegenheiten zum „Tremolieren“. Auch die sechs Sonate Da Camera a Oboe Solo col suo Basso von Domenico Maria Dreyer halten einige Möglichkeiten bereit (und das, obwohl es im „Pariser“ Manuskript41 keine Anzeichen von Tremolo gibt). Diese Sonaten eines Oboisten und Komponisten, der wie Sammartini in den 1720er Jahren in Venedig tätig war, weisen starke venezianische Merkmale auf und datieren wahrscheinlich aus dieser Zeit. Es ist denkbar, dass hier das Tremolo in folgenden Passagen genutzt wurde:

-     -     Im Takt 14 des 1. Satzes der Sonata Secunda, sowie in der Bassstimme des 3. Satzes derselben Sonate.

-     -     Im 1. Satz (Adagio Cantabile) der Sonata Quarta (Abb. 29). Der systematische Einsatz von Tremolo in der Oboe und im Bass verleiht diesem Satz eine besondere Klanglichkeit.

 

 

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Abb. 29: D. M. Dreyer: Sonata Quarta, 1. Satz (Adagio cantabile)
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Dieses Beispiel erinnert gleichwohl an ein anderes: Dasjenige am Anfang der Sonate GSM 1302a (Abb. 30, Autograph von Sammartini). In dieser Sonate ist kein Tremolo angegeben, mit Ausnahme des in Abbildung 1 dargestellten, das am Ende des Satzes erscheint. Das würde demzufolge darauf hinweisen, dass andere ähnliche Figuren nicht „tremoliert“ werden dürfen (die Fassung von Parma dieser Sonate ist in dieser Hinsicht identisch). Eine systematische Verwendung von Tremolo in diesem Satz (in der Oberstimme und im Bass) scheint mir jedoch nicht völlig ausgeschlossen werden zu können.

 

Abb. 30: Sonata a Oboé Solo con il Basso (GSM 1302a), Beginn des 1. Satzes (Andante), Autograph Sammartinis
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Noch mehr erinnert Dreyers Satz jedoch an den Einleitungssatz von Vivaldis Sonata a Violoncello solo in e-Moll RV 30 (Abb. 31).42 Dies führt uns etwas von Sammartini weg, zeigt aber eine gewisse stilistische Kohärenz zwischen diesen drei Komponisten und deutet nebenbei auf die Verwendung des Tremolo bei letzterem hin.

 

Abb. 31: A. Vivaldi: Sonata a violoncello solo (RV 40), 1. Satz (Largo)
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In den Oboenkonzerten des rothaarigen Priesters ist ein Beispiel bemerkenswert. Denn ein Vergleich zwischen dem Beginn des langsamen Satzes in den verschiedenen Versionen der Sonate GSM 1323 (siehe oben) und dem Beginn des langsamen Satzes im Oboenkonzert C-Dur RV 452 (Abb. 32) weist eine melodische Ähnlichkeit auf.43

 

Abb. 32: A. Vivaldi: Oboenkonzert (RV 452), Beginn des 2. Satzes (Adagio)
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Mit diesem Vergleich vor Augen fällt es schwer, eine Verwendung des Tremolo in diesem oder ähnlichen Sätzen nicht in Betracht zu ziehen. Mehrere Passagen aus anderen Oboenkonzerten des venezianischen Komponisten sind erwähnenswert. So weist der neunte Takt des 2. Satzes im Konzert RV 462 (Abb. 33) alle Merkmale der von Sammartini „tremolierten“ Passagen auf.

 

Abb. 33: A. Vivaldi: Oboenkonzert (RV 462), Beginn des 2. Satzes (Largo)
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Andere, weniger offensichtliche Beispiele können dennoch gute Gelegenheiten bieten, dieses Ornament zu verwenden, z. B. die langen Noten im zweiten Satz des Oboenkonzerts RV 451 oder die wiederholten Noten des Grave im Oboenkonzert RV 455.

 

Schließlich kann man dieses Kapitel nicht abschließen, ohne Sammartinis engen englischen Schüler Thomas Vincent zu erwähnen. Da er sowohl Oboe als auch Komposition bei seinem italienischen Lehrer studiert hatte, ist es nicht verwunderlich, dass man in seinen Sonaten mehrere Gelegenheiten zum „Tremolieren“ findet. Ich möchte hier nur auf Takt 18 des 1. Satzes (Andante) der Sonata II aus seinem Opus I verweisen, bei dem die Verwendung des Tremolo offensichtlich ist.

 

 

Zusammenfassung

 

1997 lenkte Bruce Haynes die Aufmerksamkeit der Tibia-Leser auf die Verwendung des Flattements für die Interpretation der Musik des 18. Jahrhunderts.44 2014 macht Peter Thalheimer auf die Spieltechnik des „Hauchen“ oder „mit der Brust Stoßen“ aufmerksam. Heute muss man noch feststellen, dass diese Technik als Ornament, das ca. zwischen 1620 und mindestens 1800 verwendet wurde, von den mit der historischen Aufführungspraxis informierten Bläsern bislang wahrscheinlich missverstanden und zu wenig genutzt wurde. Dies ist zweifellos auf terminologische Probleme in Primär- und (vor allem) Sekundärquellen zurückzuführen. Aber während das „Vibrato“, wie wir es heute kennen, offenbar nicht zu den Verzierungen gehörte, die von den Bläsern im 18. Jahrhundert verwendet wurden, ist der Gebrauch des Flattements (dessen Verwandtschaft mit dem Tremolo offensichtlich ist) in die Alltagssprache der Interpreten eingegangen. Mir scheint, dass der Gebrauch des Tremolo, wie er sich in der Praxis von Giuseppe Sammartini herausstellt, in den „Werkzeugkasten“ der Bläser zurückkehren sollte, insbesondere für die Solostimmen der Sonaten und Konzerte der italienischen Musik für Holzbläser aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

 

Anmerkungen:

[1] Benoît Laurent: So sweet Martini calls Attention here ; Nouveaux regards sur le hautboïste et compositeur Giuseppe Sammartini, son répertoire et l’interprétation de sa musique (en particulier ses sonates solo), Doktorarbeit, Université Libre de Bruxelles – Conservatoire Royal de Bruxelles, 2020.

[2] Die GSM-Nummern beziehen sich auf den Katalog, der in Band III meiner Dissertation erstellt wurde.

[3] Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wandelte sich die Bedeutung des Begriffs Tremolo und wurde mit der schnellen, in seiner Häufigkeit unspezifischen Wiederholung einer Note in Verbindung gebracht.

[4] Vgl. Greta Moens-Haenen: Das Vibrato in der Musik des Barock, Graz 1988, Adeva; sowie Maria Bania, "Sweetenings" and "Babylonish Gabble". Flute Vibrato and Articulation of Fast Passages in the 18th and 19th centuries, Dissertation, Göteborg 2008.

[5] Girolamo Diruta: Il transilvano, Venedig 1593, S.19–20.

[6] „Das Tremolo ist nichts anderes als das Zittern der Stimme auf einer einzelnen Note“; Giovanni Battista Bovicelli: Regole Passaggi di Musica, Venedig 1594, S.12.

[7] „Das Tremolo, das ein Zittern auf der Stimme ist, ist das wahre Tor zu den Passaggi und der Beherrschung der Kehle“; Lodovico Zacconi: Prattica di musica utile et necessaria si al compositore si anco al cantore, Venedig 1596, S.60.

[8] „Der Trillo ist jenes Ornament, das weder auf der Linie noch im Raum stehen bleibt [sondern sich immer] schnell bewegt. Tremolo ist dasjenige, das die Linie und den Raum berührt, egal wie man es ausführen will.“; zitiert nach Bonnie J. Blackburn und Edward Lowinsky: Luigi Zenobi and his Letter on the Perfect Musician, in: Studi musicali, 1993, S. 61–114.

[9] Diese Definition scheint im deutschsprachigen Raum eine Zeit lang teilweise gültig geblieben zu sein, wie z. B. die fast wörtliche Übernahme durch Crüger im Jahr 1660 zeigt; Michael Praetorius, Syntagmatis Musici, Wolfenbüttel 1619, Band III, S. 235; Johann Crüger, Musicae Praticae; Der Rechte Weg zur Singekunst, Berlin 1660, S. 25.

[10] „Numerous techniques have been used throughout history by both singers and instrumentalists to create fluctuations of pitch and intensity […] Some of the techniques used around 1600 produce effects which we would normally call vibratos, others produce trills, note repetitions and other effect strange to modern ears. […] Thus an intensity variation produced by varying the bow pressure on a violin could share the same name as a whole step trill on the organ. Devices of this sort in the 17th century which created any sort of regular fluctuation in a note went under the name tremolo.“ […] „Thus the tremolo is presumably a smooth and regular fluctuation of intensity and/or pitch.“ Vorwort von Bruce Dickey zu seiner Ausgabe von Riccardo Rognoni: Passaggi per potersi essercitare nel diminuire, Bologna 2002, Arnaldo Forni Editore, S. 25.

[11] „the old tremulo pair of trill and mordent“. Auch der Begriff „mordent“ würde eine eigene Untersuchung erfordern. Ich möchte lediglich darauf hinweisen, dass Neumanns Verwendung dieses Begriffs meiner Meinung nach äußerst problematisch ist; Frederick Neumann: Ornamentation in Baroque and Post-Baroque Music, Princeton 31983, Princeton University Press, S. 455.

[12] „Das Tremolo macht man regelmäßig, aber mit Anmut & man muss aufpassen, dass man es nicht ständig macht, wie manche, die wie Ziegen klingen“; Francesco Rognoni: Selva de varii passaggi, Mailand 1620, Teil 1, S. 1.

[13] „Au XVIIe siècle, l’ornement désigné par le terme trémolo agrémente abondamment les parties dédiées au violon. Écrit, il apparaît sous diverses formes : parfois presque invisible, ne laissant que son nom comme témoin de sa présence, parfois noté ‘en toutes notes’ […] plusieurs documents d’auteurs anglais, français et allemands fournissent des explications précises et reconnaissent dans le trémolo d’archet une imitation d’un registre d’orgue. […] Ces descriptions convergent toutes vers une même définition et une origine identique : le trémolo d’archet est un écho du trémolo d’orgue, un registre mécanique à ne pas confondre avec les principes de fonctionnement de la « voce umana » ou du « fiffaro » qui sont en Italie des jeux de bouches (et non des jeux d’anches comme dans les autres pays) basés sur l’émission de deux sons accordés légèrement différemment.“ Constance Frei: L'arco sonoro: articulation et ornementation : les différentes pratiques d'execution pour violon en Italie au XVIIe siècle, Lucca 2010, Libreria Musicale Italiana, S. 195, 198 und 199.

[14] Biagio Marini: Affetti Musicali, Venedig 1617, canto primo, S. 7.

[15] „Einige wenden auch eine Art Schwingung oder Zittern mit dem Bogen an, wie beim Tremulant-Register der Orgel: aber der häufige Gebrauch ist (meiner Meinung nach) nicht ratsam.“ Christopher Simson: The division-violist, or, An introduction to the playing upon a grovnd divided into two parts, the first directing the hand, with other preparative instructions, the second laying open the manner and method of playing ex-tempore, or composing division to a grovnd : to which, are added some divisions made upon grounds for the practice of learners, London 1659, Teil I, S. 9.

[16] Wolfgang Caspar Printz: Anweisung zur Sing=Kunst, Guben 1671. Eine relativ ähnliche Definition findet sich bei M. H. Fuhrmann („Tremolo ist ein angenehmes Zittern der Stimme im Semitonio …“); Martin Heinrich Fuhrmann: Musicalischer-Trichter, Frankfurt an der Spree 1706, S. 66.

[17] Giovanni Battista Riccio: Il terzo libro delle divine lodi musicali, Venedig 1620.

[18] Peter Thalheimer: „Hauchen“ und „mit der Brust gestoßen“ – Bläserartikulationen des 17., 18. und 19. Jahrhunderts, in: Tibia 2/2014, S. 85.

[19] „Tremolo, ou Tremulo n’est pas un trop bon mot Italien, & Tremolante, ou Tremante seraient bien meilleurs. Cependant l’usage fait qu’on le trouve très-souvent, ou entier, ou en abregé Trem. Pour avertir sur tout ceux qui jouent des Instrumens à Archet de faire sur le même degré plusieurs Notes d’un seul Archet, comme pour imiter le Tremblant de l’Orgue. Cela se marque aussi fort souvent pour les Voix […].“ Sébastien de Brossard: Dictionnaire de Musique, Paris 1703.

[20] Etienne Loulié: Elements ou Principes de musique, mis dans un nouvel ordre, Paris 1696, S. 73.

[21] „Le Balancement, que les Italiens appellent Tremolo, produit l’effet du tremblant de l’Orgue.“ Michel Pignolet de Montéclair: Principes de Musique, Paris 1736, S. 85.

[22] Johann Gottfried Walther: Musikalisches Lexicon, Leipzig 1732.

[23] Johann Mattheson: Der vollkommene Capellmeister, Hamburg 1739, S. 114.

[24] Johannes Schenck: L’Echo du Danube, Opus IX, Amsterdam 1704, Estienne Roger.

[25] Luigi Madonis: Douze Sonates a violon seul avec la Basse, Paris 1732. Bemerkenswert ist, dass im dritten Satz der Sonata IV im selben Band eine andere Notation (mit Punkten verbunden) für eine Passage verwendet wird, deren „Tremolierung“ wahrscheinlich ist.

[26] Giuseppe Tartini: Regole per arrivare a saper ben suonare il Violino, Manuskript, Faksimile in Alessandro Moccia (Hg.): Violon: Italie 1600–1800 : Méthodes – Traités – Ouvrages généraux, Courlay 2002, Fuzeau, Volume III,  S. 59; diese Beschreibung und die dazugehörigen Beispiele werden wörtlich von Leopold Mozart in seinem Versuch einer gründlichen Violinschule übernommen (1753, erinnern wir uns an die früheren Angaben Tartinis zu Mozarts Versuch). Die Abbildung stammt von Giuseppe Tartini: Traité des Agrémens, Paris 1770, S. 31.

[27] Francesco Geminiani: The Art of Playing on the Violin, London 1751, S. 8 und 26.

[28] „On employait jadis le terme Tremblement, en italien Tremolo, pour avertir ceux qui jouaient des Instrument à Archet, de battre plusieurs fois la Note du même coup d’Archet, comme pour imiter le Tremblant de l’Orgue. Le nom ni la chose ne sont plus en usage aujourd’hui.“ Jean-Jacques Rousseau: Dictionnaire de Musique, Paris 1768.

[29] Johann Philipp Eisel: Musicus Autodidactos oder der sich selbst informirende Musicus, Erfurt 1738, zitiert nach M. Bania: „Sweetenings …“; [Fn 4], S. 18.

[30] Johann Joachim Quantz: Versuch einer Anweisung die Flöte traversiere zu spielen, Berlin 1752, S. 65.

[31] „Il est encore une autre sorte de Tremblement flexible que les Italiens nomment Tremolo, qui prête beaucoup à la mélodie, lorsqu’on l’emploie à propos. Il ne se fait que par un mouvement actif des poumons en soufflant ces syllabes : ‘Hou, hou, hou, hou’ etc.“ Charles De Lusse: L’art de la flûte traversière, Paris 1760. Bania nennt weitere französische Beispiele, die in diesem Zusammenhang in Betracht gezogen werden sollten; M. Bania: „Sweetenings …“;  [Fn 4], S. 44. Thalheimer bemerkt bei De Lusse die enge Verbindung zwischen Tremblement flexible und dem, was dieser als Tacs aspirés bezeichnet; P. Thalheimer: „Hauchen“ und „mit der Brust gestoßen“; [FN18], S. 83.

[32] „During the first half of the 19th century the flattement technique coexisted on equal terms with chest vibrato, which was during most of the period under investigation slow and controlled, typically four waves on a long note.“ M. Bania: „Sweetenings …“;  [Fn 4], Abstract.

[33] Anne Pustlauk: The simple system flute between 1790 and 1850, its performance practice and chamber music repertoire with pianoforte and/or strings, Dissertation, Bruxelles 2016, Vrij Universiteit Brussel, S. 75–79.

[34] Neumann verwendet den Begriff recht verwirrend, entweder als Alternative zu „mordent“, „trill“ und „vibrato“ oder als Oberbegriff, der sowohl den Triller als auch den Mordent umfasst. In Anlehnung an eine latinisierende deutsche Tradition, die ihre Wurzeln bei Praetorius hat, zieht Neumann es vor, scheinbar unterschiedslos die Begriffe tremulo und tremulus zu verwenden; F. Neumann: Ornamentation …,  [Fn 11].

[35] G. Moens-Haenen: Das Vibrato …,  [Fn 4].

[36] „He was an admirable composer ; and, for instrumental music, may, without injury to either, be classed with Corelli and Geminiani.“ John Hawkins: A General History of the Science and Practice of Music, London 1776, Band 5, S. 369–370.

[37] S-Skma VO-R; JenS D80.

[38] Man kann diese Tremolos in meiner Aufnahme der Sonate GSM 1323b hören. The 1750 Project, Serenissima: A musical portrait of Venice around 1726, Ramée, Januar 2021.

[39] GB-Lbl, RM.21c.10-15; R.M.23.b.8 und RM 23.b.9-20.

[40] D-Dl Mus.2787-S-2.

[41] F-Pn Vm7 6489.

[42] Dies ist nicht das einzige Beispiel, das eine große stilistische Nähe zwischen Dreyer und Vivaldi zeigt. Ein Beispiel ist die Paraphrase des Domine Deus aus dem Gloria von Vivaldi (RV 589) in der sechsten Sonate von Dreyer.

[43] S-Uu, Instr.mus. i hs. 61:6b. Über den Ursprung und die Datierung dieses Konzerts ist fast nichts bekannt.

[44] Bruce Haynes: Das Fingervibrato (Flattement) auf Holzblasinstrumenten im 17., 18. und 19. Jahrhundert, in: Tibia 2/97, S. 401–407 und Tibia 3/97, S. 481–87.


 

Übersetzung aus dem Französischen: Nelly Sturm

 

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