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Eine neu entdeckte, Vivaldi zugeschriebene Blockflötensonate Überlegungen zur Urheberschaft Fachartikel

 

Während eines Künstlerresidenzaufenthaltes in Venedig im Jahr 20181 entdeckten wir in der Bibliothek des Conservatorio Benedetto Marcello (I-Vc) einige bis dahin unbekannte anonyme Manuskripte von Sonaten für Blockflöte und Basso continuo aus dem 18. Jahrhundert.2 Schon bei der ersten Durchsicht fiel uns auf, dass eines dieser unbekannten Werke an das typische musikalische Schaffen Vivaldis erinnerte und auch mehrere seiner ganz spezifischen „Bausteine“ enthielt. „Vivaldi ist ein Komponist, der aufgrund der Fülle eigenwilliger Elemente in seiner musikalischen Sprache und seiner Neigung, Themen, Abschnitte und sogar ganze Sätze von Werk zu Werk wiederzuverwenden, ungewöhnlich leicht zu erkennen ist, wenn man sich den musikalischen Stil ansieht.“3 Nach diesem ersten Eindruck bestätigte das Studium der textlichen und nicht-textlichen Elemente dieses Manuskripts in der Tat mehrere Vivaldi-typische Merkmale wie sie auch in seinen bekannten Werken vorkommen. Indem wir den musikalischen Stil dieser Sonate analysieren und ihn nicht nur mit dem von Vivaldi, sondern auch mit dem anderer Komponisten mit ähnlichem Stil vergleichen, und unter Berücksichtigung der historischen Bedeutung der Sammlung, in der das Werk gefunden wurde, sowie der Merkmale des Papiers, den rastrografischen Daten und der Kalligrafie in Bezug auf den breiteren Kontext der Manuskripte von Vivaldis Musik, wird dieser Artikel beschreiben und erörtern, warum wir die Sonata per Flauto,4 I-Vc Correr Busta 127.46 für ein bisher unbekanntes Werk Antonio Vivaldis halten.

 

Abb. 1: Sonata per flauto, I-Vc Correr 127.46 (f. 1r).
2018 © Biblioteca del Museo Correr – Fondazione Musei Civici di Venezia
../../fileadmin/user upload/Figure 1. I-Vc Correr B 127.46  1r

 

Das Manuskript und seine Herkunft

 

Der Fondo Musicale Correr, der in der Bibliothek des Konservatoriums Benedetto Marcello in Venedig untergebracht ist, enthält etwa 1.000 Manuskripte verschiedener Provenienz.5 Innerhalb dieser Sammlung können die Manuskripte in zwei Gruppen von Mappen unterteilt werden: die ersten fünfzehn Mappen enthalten die Bestände Martinengo und Carminati; die restlichen 114 umfassen den Bestand Esposti e provenienze diverse, der unter anderem Manuskripte enthält, die aus dem Ospedale della Pietà stammen, wo Vivaldi zwischen 1703 und 1740 mit Unterbrechungen in verschiedenen Funktionen tätig war.6 In der Mappe 127 des Fondo Esposti fanden wir die F-Dur-Sonate per Flauto.7

 

Correr 127.46 ist in dunkelbraun-schwarzer Tinte auf den ersten fünf von acht Blättern eines einzigen binio im Quartfolioformat8 geschrieben und misst 230 x 314 mm. Es handelt sich um ein gut erhaltenes und perfekt lesbares Manuskript, das in eleganter und klarer Schrift kopiert wurde. Kopien anderer Werke Vivaldis in dieser Handschrift sind nicht bekannt,9 sie ist aber ein typisches Beispiel für eine professionelle musikalische Kalligrafie im Venedig des 18. Jahrhunderts.10 Obwohl die Kalligrafie von der Arbeit eines professionellen Kopisten zeugt, enthält das Manuskript einige Fehler: Es gibt drei Fälle von fehlenden Vorzeichen, einen typischen Terzverschreibungsfehler, eine falsche Note und einr Stelle im dritten Satz, wo die Basslinie, obwohl kompositorisch korrekt, ungewöhnlich erscheint.

 

Das verwendete Notenpapier ist mit Sicherheit venezianischen Ursprungs. Es zeigt sowohl die hellen vertikalen Linien links und rechts der Notenlinien als auch die hellbraune Notenlinienführung von 10 Notensystemen pro Seite (gezogen mit einem einzigen Rastral für 50 Linien).11 Außerdem weist es das typische Tre lune-Wasserzeichen12; auf und rechts unten das Gegenzeichen AZ mit einem Dreiblatt an Stiel darüber.13 Dieser Papiertyp, bei dem die mittlere Sichel des Wasserzeichens höher angeordnet ist, wird von Paul Everett als „B5“ und genauer als „Zwilling II“ des Typs „B5“ bezeichnet. Papiere des Typs „B5“ sind für Musikmanuskripte venezianischer Herkunft weit verbreitet: Man findet sie häufig bei Vivaldis Manuskripten, sowohl bei autographen als auch bei nicht-autographen. Auch bei Werken anderer venezianischer Komponisten zwischen den 1710er Jahren bis mindestens Mitte der 1730er Jahre finden sie Verwendung.

 

Wir haben die zur Identifizierung und Klassifizierung des Papiers (Wasserzeichen und Kettlinien) und der Rastrografie von Correr 127.46 erforderlichen Messungen vorgenommen (Abb. 2–5). Unsere Messungen wurden auf 0,5 mm genau notiert.14

 

 

Abb. 2: Sonata per Flauto, I-Vc Correr 127.46 (f. 1r), Rastrografie und andere Messungen.
../../fileadmin/user upload/Figure 2. I-Vc Correr B 127. 46  1r   rastrography and other measurements
Abb. 3: Sonata per Flauto, I-Vc Correr 127.46 (f. 1r), Kettlinien.
../../fileadmin/user upload/Figure 3. I-Vc Correr B 127. 46  1r   chain lines

 

Das Wasserzeichen in Form von drei Halbmonden befindet sich am mittleren oberen Rand von Folio 1 und 2, während das Gegenzeichen „AZ“ in der äußeren unteren Ecke von Folio 4 zu finden ist.

 

Abb. 4: Sonata per Flauto, I-Vc Correr 127.46 (f. 2r), Wasserzeichen.
../../fileadmin/user upload/Figure 4. I-Vc Correr B 127. 46  2r   watermark
Abb. 5: Sonata per Flauto, I-Vc Correr 127.46 (f. 4r), Gegenstempel.
../../fileadmin/user upload/Figure 5. I-Vc Correr B 127. 46  4r   countermark

 

Wir schickten unsere Ergebnisse der Rastrografiemessung der F-Dur-Sonate an Paul Everett, um durch den Vergleich unserer Aufzeichnungen mit seiner Datenbank über Papiertypen und Rastrografien von Vivaldi-Manuskripten eine Entsprechung zu finden. Überraschenderweise ergab sich eine Übereinstimmung:15 Der Teilquerschnitt der F-Dur-Sonate stimmt größtenteils mit dem von Everett festgehaltenen vollständigen Querschnitt aus dem (revidierten) Autograph von Vivaldis RV 21016 und der (offenbar autographen) Partitur des Ave Regina von F. A. Calegari17 überein, die auf dem Titelblatt die Jahreszahl 1733 trägt, in derselben Handschrift wie die Notenschrift der Partitur. Everett schrieb dazu:

 

Obwohl der Papiertyp B5 häufig anzutreffen ist, weist diese spezielle Charge von B5 – mit der Rastralweite 10/182,2518 – eine ungewöhnlich kleine Messspanne auf: Die Messspannen der überwiegenden Mehrheit der Halbmond-Papiere mit 10 Systemen liegen im Bereich 184–196 mm. [...] Diese Datierung für die Partitur von Calegaris Ave Regina gibt uns eine ungefähre Datierung – etwa 1733, plus oder minus ein oder zwei Jahre – sowohl für die Überarbeitungen, die Vivaldi an seiner Partitur von RV 210 vorgenommen hat, als auch für die Abschrift der nicht zugeschriebenen Blockflötensonate [in der Bibliothek des Konservatoriums in Venedig], weil alle drei [Manuskripte] das Notenpapier B5 [mit 10 Notensystemen innerhalb eines Abstands von 182,25 mm] gemeinsam haben. [...] Daraus ergibt sich, dass die drei Quellen ungefähr zeitgleich entstanden sind, wenn man davon ausgeht, dass Notenpapier des Papiertyps B5 und mit dieser präzisen Notenlinienführung sowohl mengenmäßig als auch zeitlich begrenzt vorlag (es ist unwahrscheinlich, dass Notenpapier mit Notenlinien mit demselben passenden Muster über viele Wochen oder Monate hinweg wiederholt hergestellt werden konnte).

 

Wir konnten also feststellen, dass das Papier venezianischen Ursprungs ist und zu dem von Vivaldi verwendeten Typ gehört. Dank des Abgleichs der Rastrografie mit einem anderen datierten Manuskript von Calegari konnten wir auch eine genauere Datierung des verwendeten Notenpapiers vornehmen und das Datum der Abschrift von Correr 127.46 auf etwa 1733 zurückführen.

 

 

Konkordanzen und Ähnlichkeiten mit Werken Vivaldis und deren Abgrenzung zu Werken anderer Komponisten

 

Correr 127.46 ist ein reizvolles Werk von geringem technischen Schwierigkeitsgrad für die Blockflöte: F-Dur ist eine typische Blockflötentonart und liegt besonders angenehm auf der Altblockflöte. In der vorliegenden Sonate wird dieser unkomplizierte Charakter durch die unterstützende Rolle des Basses noch verstärkt. Als typische Solosonate des ersten Viertels des achtzehnten Jahrhunderts hat Correr 127.46 vier Sätze: Andante – C, Allegro – C, Largo – 12/8 und Allegro – 3/8, die alle in der Grundtonart verbleiben (wobei die tonale Praxis der traditionellen sonata da camera auch in den langsamen Sätzen beibehalten wird – ein typisches Merkmal von Vivaldis Sonaten und Konzerten).19 Alle vier Sätze sind zweiteilig angelegt, die beiden schnellen sogar in zweiteiliger Reprisen-Form. Der Tonumfang der Bassstimme ist konventionell (D-d 1), ebenso wie der Tonumfang der Blockflötenstimme (f 1–d 3) – in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit des (Amateur-)Blockflötenrepertoires dieser Zeit. Die Komposition ist perfekt idiomatisch und stilistisch homogen.

 

Abb. 6: Sonata per Flauto, I-Vc Correr 127.46, Incipits.
../../fileadmin/user upload/Figure 6. I-Vc Correr B 127.46  incipits

 

Das eröffnende Andante kombiniert punktierte Rhythmen und eine Folge von Sechzehnteltriolen in der Blockflötenstimme mit einem „schreitenden“ Bass innerhalb eines Rahmens von großer harmonischer Schlichtheit.20 Der „schreitende“ Bass setzt sich im folgenden Allegro fort, nun begleitet von Arpeggien in der Blockflötenstimme und durchsetzt mit Orgelpunkten. Das darauf folgende Largo ist ein typischer „Siciliano“-Satz, in dem die Tonwiederholungen im Bass die wiegende Wirkung des trochäischen Rhythmus erzeugen.21 Im abschließenden Allegro kontrastiert ein quasi-perpetuum-mobile der Sechzehntelnoten in der Oberstimme stark mit der Schlichtheit des Basses und bildet einen „Corrente-artigen“ Abschluss.22

 

„Vivaldi komponiert gerne modular, das heißt, kleine, flexible Einheiten werden nebeneinander gestellt, um größere Einheiten (Perioden, Sätze) zu bilden. Die Abtrennbarkeit dieser Einheiten und ihr normalerweise recht einfacher Unterbau [...] ermöglichen es ihm, sie von Werk zu Werk wiederzuverwenden.“23 Die Selbstentlehnung von Einheiten oder Werkteilen ist gewiss keine Vivaldische Exklusivität; dieses Merkmal ist jedoch zweifellos praktisch, wenn es darum geht, eine Autorschaft zu postulieren, denn die Identifizierung von erkennbar persönlichen Markenzeichen bietet uns ein besonders konkretes Werkzeug für Vergleiche, wie wir im Folgenden sehen werden.

 

Wir haben über hundert Konkordanzen verschiedener Art zwischen Correr 127.46 und einer großen Anzahl von Werken Vivaldis gefunden, die in Tabelle 1 aufgeführt sind.24 Zu den von uns ausgewählten Beispielen gehören strukturelle Ähnlichkeiten, identische Konkordanzen (die zumindest die obere Zeile umfassen), Konkordanzen, die Abweichungen aufweisen, und paraphrasierte Konkordanzen.25

 

Konkordanzen zwischen Correr 127.46 und Werken Vivaldis
RVWerkDatum
Sonate für Violine op. 2 no. 6spätestens 1709
Sonate für Violine und B. cvermutlich 1716/1717
Sonate für Violine und B. c.vermutlich kurz nach 1717
10  Sonate für Violine und B. c.Datum unbekannt
12  Sonate für Violine und B. c.vermutlich nach ca. 1717, spätestens 1736
17a  Sonate für Violine und B. c.vermutlich nach 1720/1724, spätestens 1736
18  Sonate für Violine und B. c.spätestens 1716
19  Sonate für Violine und B. c.vermutlich 1716/1717
20  Sonate für Violine und B. c., op. 2 no. 4spätestens 1709
21  Sonate für Violine und B. c., op. 2 no. 10spätestens 1709
22  Sonate für Violine und B. c.vermutlich nach ca. 1717, spätestens 1736
23  Sonate für Violine und B. c.spätestens 1709
32  Sonate für Violine und B. c.spätestens 1709
41  Sonate für Violoncello und B. c.1740 veröffentlicht aber in den 1720er Jahren komponiert
43  Sonate für Violoncello und B. c.1740 veröffentlicht aber in den 1720er Jahren komponiert
47  Sonate für Violoncello und B. c.1740 veröffentlicht aber in den 1720er Jahren komponiert
52  Sonate für Blockflöte und B. c.1710er Jahre?
107 

Konzert für Traverso, Oboe, Violine,
Fagott und B. c.

Datum unbekannt
178  Konzert für Violine, Streicher und
B. c., op. 8 no. 12
spätestens 1725
184  Konzert für Violine, Streicher und
B. c.
Datum unbekannt
268  Konzert für Violine, Streicher und
B. c.
vermutlich nach 1720/1724
428  Konzert Il gardellino für Traverso, Streicher
und B. c., op. 10 no. 3
in dieser Besetzung spätestens1729
429  Konzert für Traverso, Streicher und
B. c.
vermutlich nach 1720/1724, spätestens 1736
433  Konzert La tempesta di mare für Traverso,
Streicher und B. c., op. 10 no. 1
in dieser Besetzung spätestens1729
439  Konzert La notte für Traverso, Streicher und B. c., op. 10 no. 2spätestens 1729
519  Konzert für zwei Violinen, Streicher und B. c.,
op. 3 no. 5
spätestens 1711
548  Konzert für Violine, Oboe, Streicher und B. c.vermutlich nach 1720/1724
617  Salve Regina für Sopran, Violine solo, Streicher
und B. c.
1713–1717
630  Nulla in mundo pax sincera für Sopran, Streicher und B. c.zwischen 1713 und 1735
704  La Cundace1720
711  Farnace1727 – d. h. 1726 eher Venezianisch
738  Tito Manlio1719
754  Sonate für Violine und B. c.vermutlich nach 1717, spätestens 1736
756  Sonate für Violine und B. c.vermutlich nach 1720/1724, spätestens 1736
758  Sonate für Violine und B. c.vermutlich nach 1717, spätestens 1736
760  Sonate für Violine und B. c. vermutlich nach 1717, spätestens 1736
798  Sonate für Violine und B. c.Datum unbekannt
806  Sonate für Blockflöte und B. c.vermutlich 1716/1717
820  Triosonate für Violine, Violoncello und B. c.1700–1703

 

Vivaldi schrieb fünfundzwanzig seiner derzeit bekannten Instrumentalwerke für die Blockflöte: zwei Sonaten (RV 52 und 806), zwei Trios, fünf Solokonzerte, acht Kammerkonzerte und acht Konzerte für größere Besetzungen.26 Im Folgenden werden wir eine Auswahl von Konkordanzen zwischen Correr 127.46 und anderen Werken Vivaldis untersuchen. Die in den Notenbeispielen (NB) angegebenen Taktnummern beziehen sich auf den Takt, in dem das Beispiel beginnt (auch wenn es sich nicht um einen ganzen Takt handelt).27 Die Beispiele 1–7 zeigen identische melodische Konkordanzen, entweder in der gleichen Tonart F-Dur oder in einer anderen Dur-Tonart. In den Beispielen 8–10 weisen die melodischen Konkordanzen einen gewissen Grad an Variation auf. Beispiele 11–19 illustrieren Paraphrasen und 20–23 ähnliche Strukturen. Die anschließenden Beispiele (NB 24–NB 25) beziehen sich auf andere Aspekte, die im nachfolgenden Text erwähnt werden.

 

Das Motiv in NB 1, das untrennbar mit der allgemeinen melodischen Figuration des ersten Satzes von Correr 127.46 verbunden ist, findet auch eine variierte Parallele in RV 617 und RV 474 (hier nicht gezeigt).

 

NB 1: B. 127.46, I. T. 13; RV 2, I, T. 8; RV 19, V, T. 12
../../fileadmin/user upload/Example 1

 

Die Notenbeispiele NB 2.1 und NB 2.2 enthalten einige zusätzliche Takte, bevor die eigentliche Konkordanz beginnt (wie in der Partitur angegeben), da in beiden Fällen der Konkordanz dieselbe Sequenz vorausgeht. Die ausgiebige Verwendung von Sequenzen ist in der Tat eines der Markenzeichen Vivaldis,28 und dies ist eine seiner Lieblingssequenzen: die aufsteigende chromatische 5-6-Konsekutive, wie in NB 2.3 dargestellt.29

 

NB 2: B127.46, III, T. 9; RV 630, I, T. 3; aufsteigende chromatische 5-6-Konsekutive
../../fileadmin/user upload/Example 2

 

Neben ihrem häufigen Vorkommen in Vivaldis Musik weist diese Sequenz zwei besondere Merkmale innerhalb seines Stils auf:

1) sie wird oft als zweites Strukturelement eines Satzes oder Abschnitts verwendet, unmittelbar nach dem Hauptthema, der ersten Phrase oder der einfachen Exposition der Tonart;

2) nach dem erneuten Erreichen der Subdominante (der Sext-Akkord nach der Subdominantparallele in NB 2.3), neigt Vivaldi zu einem ausgeprägten Abstieg in der Oberstimme, meist mit einem Sprung von der vierten Stufe zum Leitton, gefolgt von einem weiblichen Schluss (cadence féminine).30

 

Diese Sequenz findet sich an fünf Stellen in Correr 127.46 und dient als zweites Strukturelement eines Abschnitts: im zweiten Satz, T. 4–7 (NB 13.1; hier ist die Sequenz leicht abgekürzt) und T. 27–30 (NB 15.1; in NB 13.1 und 15.1 ist auch der für Vivaldi typische treibende Achtelbass zu hören); im dritten Satz, T. 9–14 (NB 2.1); und im vierten Satz, T. 7–18 (NB 14.1) und T. 58–65 (NB 15.2; Chromatik ist hier nicht vorhanden). Der melodische Abstieg der Oberstimme am Ende ist bis auf eine Ausnahme (zweiter Satz, T. 4–7) in allen diesen Fällen zu hören. Der erste Satz, der hier nicht berücksichtigt wird, verwendet ein Fragment dieser Sequenz (nur zweigliedrig, d. h. bis zum ersten Dominantakkord) als zweites Element des Satzes.

 

Neben den Konkordanzen finden wir starke stilistische Ähnlichkeiten zwischen Correr 127.46 und RV 806,31 das wahrscheinlich aus den Jahren 1716–1717 stammt.32 Wie in Correr 127.46 bleiben alle vier Sätze von RV 806 (Andante – C, Allegro – 3/8, Largo – 12/8, Allegro – 12/8) in der Grundtonart. Alle Sätze stehen in der zweiteiligen Form ‒ auch die langsamen, ein typisches Merkmal von Vivaldis Sonaten33 – und die beiden schnellen sind in zweiteiliger Reprisen-Form angelegt. RV 806 hat auch mit Correr 127.46 eine Besonderheit, die alle vier Sätze gemeinsam haben: die Ausarbeitung des Tonika-Schlussakkords nach der Kadenz am Ende jedes Abschnitts,34 entweder durch Wiederholung des Schlussakkords (mit einem Arpeggio oder durch melodische Ausarbeitung der Harmonie) oder durch Wiederholung der Dominant-Tonika-Kadenz (NB 22, s. u.).

 

Außerdem ist im ersten, zweiten und vierten Satz von RV 806 das allgemeine harmonische Schema I-V für den ersten Teil und V-vi-I für den zweiten Teil, das gleiche Schema wie in den schnellen Sätzen von Correr 127.46.35 Der zweite Satz von RV 806 (Allegro – 3/8) hat eine Parallele im letzten Satz von Correr 127.46 (ebenfalls Allegro – 3/8), denn auch er besteht aus einem quasi-perpetuum-mobile von Sechzehntelnoten über einem sehr einfachen harmonischen Unterbau, wobei der Bass meist nur eine Note pro Takt spielt.36

 

Das darauf folgende Largo in RV 806 ist ebenfalls eine Vivaldi-typische „Siciliana“, bei der sich der Bass in einem kontinuierlichen Viertel-Achtel-Muster unter einer melodischen Linie bewegt, die genau die gleichen rhythmischen Muster verwendet wie Correr 127.46. Dieser Satz enthält zwei identische melodische Konkordanzen mit dem dritten Satz von Correr 127.46 (NB 3 und NB 4), sowie ein fast wörtliches Zitat eines längeren Fragments desselben Satzes (NB 9, s. u. ).37 

 

NB 3: B. 127.46, III, T. 13; RV 806, III, T. 12
../../fileadmin/user upload/Example 3
NB 4: B. 127.46, III, T. 5, T.15 und IV, T.25; RV 798, II, T. 35; RV 806, III, T. 6
../../fileadmin/user upload/Example 4

 

Die nächsten drei Gruppen zeigen weitere Figuren mit identischen Konkordanzen in anderen Werken Vivaldis.

 

NB 5: B. 127.46, IV, T. 5; RV 20, IV, T. 3, T. 24, T. 41, T. 67
../../fileadmin/user upload/Example 5
NB 6: B. 127.46, IV, T. 52; RV 548, III, T. 39
../../fileadmin/user upload/Example 6
NB 7: B. 127.46, IV, T. 55; RV 758, II, T. 3 und T. 31
../../fileadmin/user upload/Example 7

 

NB 8 präsentiert einen Vivaldi-Topos: den schrittweise diatonisch absteigenden Bass, der sich in parallelen Terzen (oder Sexten oder den aus beiden Intervallen zusammengesetzten Oktaven) mit der Oberstimme bewegt,38 gepaart mit einem Ostinato-Orgelpunkt, der alle daraus resultierenden harmonischen Zusammenstöße außer Acht lässt.39

NB 8: B. 127.46, II, T. 7, T. 30; RV 429, I, T.24
../../fileadmin/user upload/Example 8
NB 9: B. 127.46, III, T. 5; RV 806, III, T. 6
../../fileadmin/user upload/Example 9
NB 10: B. 127.46, IV, T. 55; RV 17a, II, T. 4 und T. 29
../../fileadmin/user upload/Example 10

 

Für die Figuren in NB 11 finden sich auch Parallelen in anderen, hier nicht aufgeführten Werken, wie RV 107, I, T. 31–35 und T. 40–41, RV 569, I, T. 53–62, und RV 711, I.12, T. 18–19, T. 45–46 und T. 73–74 (wo die Oberstimme dieselbe ist wie in NB 11.7).

 

NB 11: B. 127.46, I, T. 3, T. 10, T. 12; RV 617, I, T. 2, T. 6, T. 29; RV 711, I.12, T. 7, T. 30 und T. 41
../../fileadmin/user upload/Example 11
NB 12: B. 127.46, IV, T. 27 und T. 65; RV 41, IV, T.1
../../fileadmin/user upload/Example 12

 

In den nächsten Beispielen werden wir sehen, dass die Sechzehntel-Arpeggien im Sopran gepaart mit einem treibenden Achtel-Bass ein für Vivaldi typisches Merkmal sind, das oft zusammen mit der aufsteigenden 5-6-Konsekutive Sequenz verwendet wird. NB 13 zeigt die im zweiten Satz von Correr 127.46 verwendete Figur und, zusammen mit NB 14, die charakteristische dreiteilige Phrasenstruktur (A, A, A' oder A, A', A"),40mit der der zweite und vierte Satz von Correr 127.46 beginnen (NB 13.1, NB 13.4, NB 13.7, NB 14.1 und NB 14.4; auch im zweiten Abschnitt von RV 756, IV, und in RV 759, IV, T. 1–16, der eine Folge von 5-6-Konsekutive-Sequenzen enthält).

 

Diese Struktur hat im vierten Satz von Correr 127.46 eine zusätzliche Ebene, nämlich die auf- und absteigende melodische Kontur (NB 14.1); Konkordanzen für dieses Eröffnungselement sind in NB 14.2 und NB 14.4 dargestellt.

 

../../fileadmin/user upload/Example 13 1
../../fileadmin/user upload/Example 13 2
../../fileadmin/user upload/Example 13 3
../../fileadmin/user upload/Example 13 5
../../fileadmin/user upload/Example 13 6
NB 13: B. 127.46, II, T. 1;
RV 519, I, T. 46; RV 10, II, T. 1; RV 19, IV, T.1; RV 184, III, T. 22; RV 433, I, T. 16; RV 756, IV, T. 1
../../fileadmin/user upload/Example 13 7
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../../fileadmin/user upload/Example 14 2
../../fileadmin/user upload/Example 14 4
NB 14: B. 127.46, IV, T. 1;
RV 20, II, T. 1 und IV, T. 1; RV 23, II, T. 1; RV 760, II, T. 1
../../fileadmin/user upload/Example 14 5
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../../fileadmin/user upload/Example 15 4
NB 15: B 127.46, II, T. 26 und IV, T. 58;
RV 18, I, T. 12; RV 52, II, T. 3; RV 820, VI, T. 6
../../fileadmin/user upload/Example 15 5
 

 

Die unmittelbare Wiederholung kurzer Abschnitte war nicht Vivaldis einziges Merkmal, aber er setzte dieses kompositorische Mittel sehr häufig ein, insbesondere als thematisches Material oder am Ende von Abschnitten oder Sätzen (in der Regel ein oder ein halber Takt, wobei jede wiederholte Einheit oft auf einer harmonischen I-V-Basis aufgebaut ist).41 Strukturelle Konkordanzen dieses Merkmals sind in NB 13, NB 14 und NB 21 (s. u.) zu sehen.

 

Neben der variierten Konkordanz in NB 8.3 sind einige Paraphrasen in NB 16 und NB 17 zu sehen.42 NB 17.1 zeigt auch den darauf folgenden Abschnitt mit auf- und absteigenden Bewegungen über einem Pedal-Ton im Bass, der den anderen Fragmenten in NB 17 ähnelt, entweder weil die Motive ähnlich sind oder weil der „Pedal“-Abschnitt nach einer absteigenden Progression kommt (oder auch beides, im Fall von NB 17.2). Obwohl RV 178 vielleicht die ähnlichste Konkordanz in Bezug auf die motivische Gestaltung ist, ist RV 6 strukturell näher dran: Sowohl der erste Abschnitt des zweiten Satzes von Correr 127.46 als auch der zweite Abschnitt des vierten Satzes von RV 6 beginnen mit der Präsentation des thematischen (oder motivischen) Materials, das in einer absteigenden Sequenz fortgesetzt wird, die zu einem dominanten Orgelpunkt führt, der durch einen sekundären Leitton im Bass vorbereitet wird, über dem die Oberstimme eine wellenförmige Figur ausarbeitet. Diese Figur findet sich übrigens auch in RV 433, I, T. 9–11, und RV 798, II, T. 85–100 (wo der Bass in einer ähnlicher Weise durch einen zweiten Leitton eingeleitet wird).

 

NB 16: RV 19, IV, T. 25; RV 22, II, T. 16 und T. 22; RV 47, IV, T. 5
../../fileadmin/user upload/Example 16
NB 17: B. 127.46, II, T. 7;
RV 178, I, T. 42; RV 6, IV, T. 19; RV 704, III.11, T. 1; RV 738, III.10, T. 6
../../fileadmin/user upload/Example 17 CORRIGIDO 2021

 

Der dritte Satz von Correr 127.46 beginnt mit einem eher ungewöhnlichen harmonischen Schema (I–V; IV–I), das auch zu Beginn von RV 439, I verwendet wird, wie in NB 18 zu sehen ist. NB 18.3 zeigt eine weitere paraphrasierte Konkordanz mit Correr 127.46, in Verbindung mit dem typischen, von Vivaldi gerne in „Siciliana“-Sätzen verwendeten Bass.43

 

NB 18: B. 127.46, III, T. 1; RV 439, I, T. 1; RV 107, II, T. 1
../../fileadmin/user upload/Example 18
NB 19: B. 127.46, IV, T. 47; RV 806, II, T. 19; RV 268, III, T. 89
../../fileadmin/user upload/Example 19

 

NB 20 zeigt eine Parallele zu RV 754, um zu demonstrieren, wie weit Vivaldi gehen kann, wenn er ein Motiv im selben Satz immer wieder wiederholt; genaue Wiederholungen eines anderen Motivs sind in RV 754, II (NB 21.12 und NB 21.14) zu sehen.

 

NB 20: B. 127.46, I, T. 5, T. 9 und T. 12; RV 754, IV, T. 1 und T. 22
../../fileadmin/user upload/Example 20
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NB 21: B. 127.46, I, T. 6 und T. 12; III, T. 14, IV, T. 21;
RV 12, II, T. 29; RV 21, II, T. 14; RV 43, III, T. 12 und IV, T. 9;
RV 47, IV, T. 13 und T. 42; RV 806, IV, T. 31; RV 754, II, T. 6, T. 11 und T. 32
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Ein interessantes strukturelles Merkmal von Vivaldis Sonaten, das bereits in Bezug auf RV 806 erwähnt wurde, ist die Ausarbeitung der Tonika am Ende eines Abschnitts oder eines Satzes, entweder durch Wiederholung des Schlussakkords (mit einem Arpeggio oder durch melodische Ausarbeitung der Harmonie) oder durch Wiederholung der V-I-Kadenz. NB 22 zeigt diese Schlüsse.44 Dieses Merkmal kann auch in den RVs 1, 21, 32, 52 und 428 beobachtet werden und ist z. B. auch in den RVs 798 und 820 vorhanden.

 

 

 

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NB 22: B. 127.46, I, T. 6 und T. 13, II, T. 13 und T. 38, III, T. 5 und T. 14, IV, T. 25 und T. 63;
RV 1, II, T. 9 und T. 23; RV 21, III, T. 13; RV 32, I, T. 7; RV 52, II, T. 15; RV 428, II, T. 5;
RV 806, I, T. 4 und T. 13, II, T. 22 und T. 66, III, T. 6, IV, T. 10 und T. 31
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NB 23 zeigt ein weiteres Vivaldi-Merkmal: die Reprise des Anfangsthemas auf einem Sext-Akkord, die im ersten und zweiten Satz von Correr 127.46 vorkommt und auch in RV 756 und RV 798 zu finden ist.

 

NB 23: B. 127.46, II, T. 22, IV, T. 49; RV 756, I, T. 1 und T. 13;
RV 798, III, T. 1 und T. 10
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Wie wir sehen, gibt es Ähnlichkeiten zu Werken Vivaldis, die vermutlich zwischen 1700 und 1740 entstanden sind, dem Zeitraum, der sein gesamtes Wirken umfasst. Allein auf der Grundlage der Konkordanzen ist es daher schwierig, ein Datum für Correr 127.46 abzuleiten. Wenn man jedoch die in diesem Manuskript gefundenen textlichen und nicht-textlichen Elemente in das Schaffen Vivaldis einordnet, erscheint es am plausibelsten, dass es sich um eine Komposition aus den 1710er Jahren handelt, die in den 1730er Jahren kopiert wurde.

 

Bevor wir unsere „Beweissammlung“ abschließen, wollen wir einen kurzen Abstecher zu anderen in Frage kommenden Komponisten für Correr 127.46 machen, indem wir wichtige Punkte in deren Werken ansprechen. Vivaldi war natürlich tief in den Strukturen seiner Zeit verwurzelt. Er war jedoch auch ein großer Erneuerer mit einer starken musikalischen Persönlichkeit, und als sein Ruhm sich in Europa verbreitete, wurden seine Werke und sein Stil in großem Umfang paraphrasiert, kopiert und plagiiert. Talbot schreibt dazu:

 

Das praktische Problem besteht darin, dass es nicht ausreicht, Ähnlichkeiten zwischen dem untersuchten Werk und Werken des mutmaßlichen Komponisten festzustellen: Es müssen auch Unähnlichkeiten zwischen dem Werk und der Musik anderer möglicher Komponisten festgestellt werden, oder, um es anders auszudrücken, es müssen in dem strittigen Werk Merkmale gefunden werden, von denen bekannt ist, dass sie dem mutmaßlichen Komponisten eigen sind.45

 

A priori gibt es eine Fülle von Möglichkeiten;46 wir werden uns jedoch auf die wenigen Komponisten beschränken, deren Stil unserer Meinung nach starke Ähnlichkeiten mit dem von Vivaldi aufweist und deren überliefertes Werk Sonaten enthält, damit wir einen möglichst direkten stilistischen Vergleich anstellen können. Bei einem Ausschluss nach den oben genannten Kriterien kämen Bigaglia, Meneghetti und Sieber in Frage, deren Musik, wie wir weiter unten sehen werden, als die von Vivaldi durchgehen könnte. Aufgrund dieser Kriterien hätten wir Giovanni Porta ausschließen müssen, der zwischen 1726 und 1737 maestro di coro an der Pietà war und dessen Stil ebenfalls dem von Vivaldi ähnelt, von dem aber keine Sonaten überliefert sind.

 

In Anbetracht seiner stilistischen Ähnlichkeiten mit Vivaldi und nachdem wir uns einige der erhaltenen Werke Portas angesehen haben, möchten wir dennoch einige wesentliche Aspekte hervorheben, bevor wir kurz auf Meneghetti eingehen und dann zu Sieber und Bigaglia kommen.

 

Obwohl die Verbindung zu Vivaldi deutlich ist, ist Portas Stil sicherlich moderner als der von Vivaldi und bewegt sich in Richtung eines leichteren, vorklassischen Stils. Porta teilt nicht Vivaldis Vorliebe für den intensiven Gebrauch von Sequenzen, und seine eigenen Sequenzen sind oft nur zweigliedrig. Außerdem hat er eine gewisse Neigung zur melodischen Variation, die bei Vivaldi nicht oft vorkommt, schon gar nicht in den Basslinien.47 Es ist auch erwähnenswert, dass der Bass von Portas „Siziliana-artiger“ Arie im 12/8-Takt Cara sposa (Argippo, 1717) mit seinen unterschiedlichen Rhythmen und melodischen Bewegungen, dem von Bigaglia in ähnlichen Sätzen ähnelt. Keines dieser Merkmale von Portas Stil findet sich in Correr 127.46. Schließlich moduliert Porta in seinen vier in Dresden erhaltenen Sinfonien48 und in seinem Konzert für Traversflöte im langsamen Mittelsatz in eine eng verwandte Tonart (in der Regel die entsprechende Moll-Tonart). Wie bereits erwähnt, bleiben in Correr 127.46 alle Sätze auf der Tonika, was der Tatsache entspricht, dass Vivaldi in seinen Sonaten (und sogar in seinen Konzerten) häufig die tonale Praxis der traditionellen Sonata da camera beibehält.

 

Obwohl Meneghettis zwölf handschriftliche Sonaten für Violine und Basso continuo (datiert 1717)49 in gewisser Weise altmodisch sind, weisen sie auch einige modernere „Anklänge“ auf und erinnern zuweilen an Antonio Bonporti, Giovanni Benedetto Platti oder Giuseppe Tartini. Einige Aspekte, die Meneghetti von Vivaldi unterscheiden, sind eine Vorliebe für Variationen in den Sequenzen und auch eine Vorliebe für kontrapunktische Aktivität im Bass, anstelle einer einfacheren (aber ausdrucksstarken und effektiven) Begleitung ‒ beide Vorlieben finden sich bei Bigaglia, Sieber und Porta, aber nicht bei Vivaldi. Meneghettis Sequenzen sind in der Regel entweder zu kurz (zweigliedrig) oder zu lang (bis zu achtgliedrig) für Vivaldi. Ein weiteres charakteristisches Merkmal von Meneghettis Sonaten sind ihre abrupten oder kurzlebigen Modulationen (bei denen ein neuer Dominantakkord nur einmal verwendet werden darf). Keines dieser Merkmale findet sich in Correr 127.46.

 

Ignazio Siebers einzigen bekannten Werke – die letzten sechs der XII Sonates à une flûte et basse continue, die um 1717 in Amsterdam erschienen sind – sind Teil einer umstrittenen Publikation. Sie kann nur dann als solide Quelle für eine Diskussion über die Zuschreibung dienen, wenn ihre Aspekte eingehender analysiert werden.50 Ungeachtet dessen misst Sieber der Variationstechnik erhebliche Bedeutung bei: Etwa ein Drittel der Sequenzen mit mehr als drei Gliedern weist eine Variation im zweiten oder dritten Glied in der Oberstimme auf, wie in NB 24 zu sehen ist. Vivaldi hingegen entwickelt seine Sequenzen eher systematisch: die gesamte Figur, aus der das erste Glied besteht, wird in der Regel ohne Variation ins nächste Glied übertragen (siehe zum Vergleich NB 2.2, NB 13.4–NB 13.6, NB 14.2–NB 14.4, NB 15.4 und NB 15.5). Die Verwendung von Sequenzen in Correr 127.46 auf diese typisch vivaldische Weise findet sich in NB 13.1, NB 14.1, NB 15.1 und NB 15.2.

 

NB 24: I. Sieber, Sonata Nr. 8, III, T. 25 und Sonata Nr. 12, III, T. 20
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Sieber verwendet eine breite Palette von Sequenztypen mit dem Zusatz einiger freier harmonischer Progressionen, bei denen die Intervall-Abstände nicht konstant gehalten werden (wie es in einer normalen Sequenz der Fall wäre), aber das motivische Material beibehalten wird (z. B. Sonate Nr. 8, II, T. 47–52; Sonate Nr. 9, II, T. 14–17). In allen sechs Sonaten verwendet Sieber die 5-6-Konsekutive-Sequenz viermal auf unterschiedliche Weise. Darüber hinaus weist Siebers Komposition Merkmale arrangierten Repertoires auf: Bei der Motivwiederholung werden Kompromisse gemacht, um den Tonumfang dem der Blockflöte anzupassen, etwas, das wir in Correr 127.46 nicht finden. Obwohl Sieber von den fünf Komponisten derjenige sein sollte, der die Funktionsweise der Blockflöte am besten kannte (Meneghetti und Vivaldi waren Violinisten, Porta und Bigaglia waren wahrscheinlich Spieler von Tasteninstrumenten),51 ist seine Komposition die am wenigsten idiomatische.

 

Bigaglias Kompositionsstil „ist vielleicht stärker von Vivaldi beeinflusst als der irgendeines anderen venezianischen Zeitgenossen des Prete rosso, mit Ausnahme vielleicht von Giovanni Porta, aber er hat auch seine individuellen Züge“.52 Diese Eigenheiten sind in Bigaglias XII Sonate a Violino Solo o Sia Flauto e Violoncello o Basso Continuo, ebenfalls um 1725 in Amsterdam erschienen, deutlich spürbar.53 „Vor allem ist Bigaglia weniger an virtuoser Zurschaustellung interessiert als an solider kontrapunktischer Verarbeitung, formschöner Melodie und äußerst rationalem und sparsamem Einsatz seines thematischen Materials."54

 

Bigaglia widmet dem melodischen Aspekt des Basses in seinen Sonaten viel mehr Aufmerksamkeit als Vivaldi.55 Vivaldi verfügt über eine Reihe bewährter Formeln und rhythmischer Gestaltungen für die Basslinie, die er immer wieder verwendet und die eher dazu beitragen, die Struktur des Stücks aufrechtzuerhalten, als dass sie als eigenständiges melodisches Mittel fungieren. Dieser Unterschied ist leicht zu erkennen, wenn man die schnellen Sätze vergleicht, aber vielleicht noch deutlicher in den „Siciliana“-Sätzen, in denen Bigaglia bewegte Basslinien verwendet, manchmal mit ausdrucksstarken Sprüngen und einer vielfältigen Palette von melodischen und rhythmischen Figuren, während Vivaldi statische Bässe mit wiederholten Noten und Rhythmen bevorzugt. Die Kadenzformeln, die Bigaglia für langsame 6/8- oder 12/8-„Siciliana“-Sätze verwendet, sind denen Vivaldis sehr ähnlich; Bigaglias Lieblingsformel ist in Beispiel 25 dargestellt, eine Formel, die auch Vivaldi verwendet.56 Im dritten Satz von Correr 127.46 (Largo ‒ 12/8) beobachten wir jedoch die Verwendung einer anderen Reihe von Kadenzformeln, die nicht in den „Siciliana“-Sätzen von Bigaglias op. 1 vorkommen, sondern im langsamen Satz von RV 806/810 (NB 3, NB 4.1, NB 4.2, NB 4.5 und NB 9).

 

NB 25: Kadenzformel
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Ein besonderes Merkmal von Bigaglias Sonaten ist die Verwendung von rhetorischen Pausen innerhalb von Phrasen, und zwar in beiden Stimmen.57 Vivaldi hingegen verwendet solche Pausen vor allem zwischen Phrasen oder nach Kadenzen,58 was auch in Correr 127.46 (NB 23.2) zu beobachten ist. Schließlich steht der dritte Satz in Bigaglias Sonaten immer in einer verwandten Tonart (der zugehörigen Moll- oder Dur-Tonart oder der gleichnamigen Moll-Tonart), was bei Vivaldi nicht die Regel ist und in Correr 127.46 auch nicht vorkommt.

 

Wie wir gesehen haben, ist Correr 127.46 in der Tat voll von Vivaldi-Merkmalen: all die spezifischen melodischen Konkordanzen, die mit der häufigen Verwendung dreiteiliger Phrasenstrukturen verbunden sind, Ostinato-Orgelpunkte, die ausgiebige Verwendung der 5-6-Konsekutive mit wenig oder gar keiner Variation (in spezifischer, Vivaldis Stil entsprechender Weise und oft in Kombination mit Arpeggien), ein einfacher, treibender Bass, der die Struktur formt und eher rhythmische und harmonische Unterstützung als kontrapunktisches Zusammenspiel beiträgt, die ausgearbeitete Verlängerung des Schlussakkords eines Abschnitts usw. Insgesamt hinterlassen die zahlreichen charakteristischen Merkmale, die wir identifiziert haben, einen überzeugenden Eindruck von Vivaldis Idiolekt.

 

Vivaldis kompositorische Praxis bestand aus einer Kombination von Selbstanleihen und Neukompositionen, und genau diese Arbeitsmethode der Wiederverwendung, Neuzusammensetzung und Neuschöpfung liefert uns Schlüsselelemente für die Zuschreibung von Correr 127.46 zu Vivaldi. Unsere Zuschreibung des Correr 127.46 zu Vivaldi stützt sich daher auf vier Aspekte: die historische Bedeutung des Fondo Esposti des Conservatorio Benedetto Marcello in Venedig und seine Verbindungen zu seinem beruflichen Leben in der Pietà; das Papier und die Rastrografie, die wir aus anderen Handschriften von Vivaldis Musik kennen; die verschiedenen charakteristischen kompositorischen Merkmale, die in der Sonate zu finden sind und die auch in anderen Werken Vivaldis auftauchen; und schließlich die wichtigsten Unterschiede, die wir bei der Gegenüberstellung mit Werken anderer möglicher Komponisten feststellen. In Anbetracht all dessen halten wir Correr 127.46 für sehr geeignet, um als neu entdecktes Werk von Vivaldi eingestuft zu werden.

 

 

Anmerkungen:

 

* Eine erweiterte Fassung dieses Artikels wurde 2021 veröffentlicht: Inês de Avena Braga und Claudio Ribeiro: A newly discovered recorder sonata attributed to Vivaldi: considerations on authorship, in: Recercare, XXXIII (2021), S. 121–161. Eine digitale Version ist erhältlich unter https://www.lim.it/en/recercare/6177-a-newly-discovered-recorder-sonata-attributed-to-vivaldi-considerations-on-authorship-9788855431040.html#/1-tipo_prodotto-pdf_lim (Stand 29. März 2022). Nach der Veröffentlichung unseres Artikels für Recercare wurde dieses Manuskript unter der ID-Nummer 850729277 in RISM aufgenommen https://opac.rism.info/search?id=850729277&View=rism (Stand 29. März 2022).

[1] Wir möchten der Emily Harvey Foundation von ganzem Herzen dafür danken, dass sie uns 2018 und auch 2020 wieder so herzlich empfangen hat. Unser Dank gilt auch Chiara Pancino, ihrem Nachfolger Paolo Da Col, Silvia Urbani und Giovanna Bigai von der Biblioteca del Conservatorio „Benedetto Marcello“, sowie Tommaso Maggiolo vom Istituto Italiano Antonio Vivaldi. Unser aufrichtiger Dank gilt Michael Talbot und Paul Everett für die Großzügigkeit, mit der sie ihr Fachwissen und ihre wertvollen Überlegungen zum Thema dieses Artikels geteilt haben. Schließlich sind wir auch Micky White sehr dankbar für ihre Hilfe und ihren Rat.

[2] Zwei dieser Werke wurden im Oktober 2018 in der Sala della Musica of the Ospedaletto in Venedig aufgenommen und hatten ihre Weltpremiere auf der CD Anonimo Venexian (RAM 1905), 2019 erschienen beim Label Ramée/Outhere Music. Rezensiert von Olivier Fourés in: Diapason, no. 685, Dezember 2019, S. 113. Michael Talbot: The Consort, 76, 2020, S. 147–151. Die erste (digitale) Edition der hier diskutierten Sonata ist seit November 2020 erhältlich unter https://www.avenaribeiro.com/shop-vivaldi (Stand 29. März 2022): Sonata per flauto, Inês d’Avena und Claudio Ribeiro (Hg.), Oatbrook Editions, Venezia Series SP, AR 20.02. Die Sonate ist auch im Druck erhältlich unter https://www.ars-antiqva.com/libro/vivaldi-sonate-diverse-rv-28-rv-52-rv-53-rv-798-rv-810-rv-815-rv-816-rv-820-anonima_15009 (Stand 29. März 2022): Antonio Vivaldi: Sonate diverse, RV 28, 52, 53, 798, 810, 815, 816, 820, anonima, in: Vivaldi Instrumental Opera Omnia, Olivier Fourés (Hg.), Madrid: Ars Antiqva 2020 (ISMN 979-0-805441-15-3).

[3] Michael Talbot: Vivaldi in The Foundling Museum: some discoveries in London, in: Early Music Performer, 28, 2011, S. 4–16: 14.

[4] Im frühen achtzehnten Jahrhundert bezog sich flauto in Italien eindeutig auf die Blockflöte (und nicht auf das Traverso), wie die Beschreibungen in verschiedenen Ausgaben eines zeitgenössischen Wörterbuchs als Strumento musicale di fiato, ritondo [sic], e diritto, e lungo intorno a un braccio (1691) und Strumento musicale di fiato [...] e lungo meno d'un braccio (1729–1738) belegen. Als Kuriosität wird in dieser zweiten Veröffentlichung traverso als Obbliquo, non diritto definiert. Siehe den Eintrag für „Flauto“ im Vocabolario degli Accademici della Crusca, Florenz, Stamperia dell' Accademici della Crusca, 1691, Bd. III, S. 698, bzw. im Vocabolario degli Accademici della Crusca, Florenz, Domenico Maria Manni, 1729–1738, Bd. II, S. 325. Vivaldi hat hier sehr genau unterschieden.

[5] Chiara Pancino: Il fondo musicale Correr nella Biblioteca del Conservatorio di Venezia: un progetto di riordino, in: Da Napoli a Napoli: musica e musicologia senza confine, Mauro Amato, Cesare Corsi und Tiziana Grande (Hg.), Lucca: LIM 2012, S. 211–219. Laut Pancino erstrecken sich die bisher untersuchten datierten Quellen über den Zeitraum von 1732 bis 1841. Vgl. Chiara Pancino: Le musiche per le Putte della Pietà: riordino dei manoscritti musicali del 'Fondo Correr', in: Antonio Vivaldi. Passato e futuro, Francesco Fanna und Michael Talbot (Hg.), Venedig: Fondazione Giorgio Cini 2009, S. 529-533; https://www.cini.it/pubblicazioni/antonio-vivaldi-passato-e-futuro-it (Stand 2. Dezember 2020). Es gibt jedoch auch frühere Quellen wie in Paul Everett: Vivaldi's Italian copyists, in: Informazioni e studi vivaldiani, 11, 1990, S. 27–88: 64, Anmerkung 9.

[6] Vivaldi war maestro di violino an der „Pietà“ zwischen 1703 und 1709, und zwischen 1711 und 1716. 1716 wurde sein Vertrag für diese Position nicht verlängert, sondern er wurde stattdessen zum maestro de’ concerti ernannt, blieb aber nur ein Jahr lang. Von da an blieb er in gewisser Weise mit der „Pietà“ verbunden, indem er sporadisch auf einer weniger formellen Basis engagiert wurde, aber nicht mehr regelmäßig anwesend war. Zwischen 1723 und 1729 sollte er jeden Monat zwei Konzerte liefern und einige Proben leiten, wenn er in Venedig war. Zwischen 1735 und 1738 stand Vivaldi erneut auf der Gehaltsliste der „Pietà“ als Maestro di cappella, und 1740 wurde er gebeten, einige Konzerte und eine Sinfonia zu liefern und zu leiten. Vgl. Michael Talbot und Nicholas Lockey: Art. Vivaldi, Antonio, in: Grove Music Online, 2001; www-oxfordmusiconline-com.access.authkb.kb.nl/grovemusic/view/10.1093/gmo/9781561592630.001.0001/omo-9781561592630-e-0000040120 (Stand 18. Dezember 2020).

[7] Im Folgenden bezeichnen wir dieses Werk als Correr 127.46 (B. 127.46 in den Notenbeispielen). Der Rest der Mappe (busta) 127 enthält die Art von unterschiedlichen, meist anonymen musikalischen Quellen, die typischerweise den Fondo Esposti ausmachen: Fragmentarische musikalische Skizzen verschiedener Art (oft von nicht professionellen Schreibern verfasst), venezianische Lieder, einige einfache handschriftliche Musikanleitungen, Solo- und Triosonaten, lose Gesangs- und Instrumentalstimmen (u. a. von Bonaventura Furlanetto, Gaetano Latilla und Nicola Porpora) sowie das Autograph der Arie Sovvente il sole aus der Pasticcio-Serenata Andromeda liberata (1726) von Vivaldi, um nur einige Beispiele zu nennen.

[8] „The kind Vivaldi most commonly used.“ Vgl. Paul Everett: Towards a chronology of Vivaldi manuscripts, in: Informazioni e studi vivaldiani, 8, 1987, S. 90–107: 100.

[9] Bereits 2018 hatten wir dieselbe Handschrift bei einer anderen anonymen Sonata p[er] Flauto, ebenfalls in F-Dur, wiedererkannt, die in einer unvollständigen Abschrift auf einem einzigen Doppelblatt erhalten ist, was darauf hindeutet, dass das andere innere Doppelblatt des Binios verloren gegangen ist. Nur der erste Satz ist vollständig (f. 1r); der zweite Satz ist nur teilweise erhalten (f. 1v) und wurde (realtiv unbeholfen) um die letzten fünf Takte ergänzt, die in einem anderen Stil und in einer anderen Handschrift geschrieben wurden (f. 2r). Der kompositorische Stil dessen, was von diesem Werk übrig geblieben ist, unterscheidet sich jedoch deutlich von dem des Correr 127.46. Dieses Werk befindet sich in einer anderen Mappe innerhalb desselben fondo, I-Vc Correr B. 79.12. Während eines zweiten Forschungsaufenthaltes in Venedig im Oktober 2020 haben wir in einem Teil des Fondo Esposti nach dieser Handschrift gesucht, ohne Erfolg. Allerdings konnten wir mehrere Ähnlichkeiten mit anderen Handschriften in dieser und anderen venezianischen Sammlungen feststellen. Die Tatsache, dass, so weit bekannt, in dieser Handschrift keine anderen Werke von Vivaldi kopiert wurden, ist an sich kein Grund, es als ein Werk von Vivaldi zu verwerfen, da es nicht-autographe Manuskripte mit Vivaldis Musik in vielen verschiendenen Handschriften gibt. Vgl. Everett: Vivaldi's Italian copyists, S. 30 [FN 5].

[10] Mit „slanted stems and rising beams, [it] is a superb example of the elegant yet perfectly legible kind of musical calligraphy generally in vogue in early eighteenth-century Venice“ beschrieb Everett eine ganz andere Handschrift, aber diese Beschreibung passt hier genauso gut. Vgl. Everett: Vivaldi's Italian copyists, S. 34 [FN 5].

[11] Ausführliche Informationen über die Papierherstellung und die spezifischen Methoden der Notenlinien in venezianischen Musikhandschriften in: Paul Everett: Vivaldi Concerto Manuscripts in Manchester: II, in: Informazioni e studi vivaldiani, Band 6, 1985, S. 3–56: 9.

[12] Bis 1987 hatte Everett bereits siebenundvierzig Papiere mit drei Halbmonden (wobei jeder Fall von Zwillingsformen als ein Typus zählt) allein in den Manuskripten aus Turin und Manchester klassifiziert. Vgl. Everett: Towards a chronology of Vivaldi manuscripts, S. 96 [FN 8].

[13] Manchmal auch als „A F Z“ gelesen. Dies zeigt sich zum Beispiel bei der Zeichnung Hercules Standing (um 1718) von Giovanni Battista Tiepolo, die sich heute in der Sammlung der Morgan Library & Museum befindet, New York: Pierpont Morgan Library Dept. of Drawings and Prints 1981. 108; https://www.themorgan.org/drawings/item/142775 (Stand 14. Februar 2023). In diesem Papier wurden die drei Halbmonde nicht gefunden (Polly Cancro, private Mitteilung, Dezember 2020).

[14] Die Maße in Abb. 2–5 sind ebenfalls in Millimetern angegeben, wobei die gleiche Methode angewandt wurde. Die Abstände zwischen den Notenlinien wurden von der Oberkante der einen Notenlinie bis zur Oberkante der anderen gemessen. Beim Kopieren der Wasserzeichen wurden die Linien, die deutlich identifiziert werden konnten, mit einer durchgehenden Linie gezeichnet, während die Linien, die nur vermutet werden konnten, mit einer gestrichelten Linie nachgezeichnet wurden.

[15] Wir sind Paul Everett sehr dankbar, dass er unsere Aufzeichnungen mit den seinen verglichen und seine Erkenntnisse mit uns geteilt hat (private Mitteilung, Dezember 2020). Der vollständige Wortlaut dieser privaten Korrespondenz kann nachgelesen werden unter: de Avena Braga/Ribeiro: A newly discovered recorder sonata attributed to Vivaldi: considerations on authorship, S. 128–130 [FN *]. Weitere Erläuterungen zu Everetts Methodik und den Gründen für seine Schlussfolgerungen hinsichtlich der Notenpapiere, siehe Paul Everett: Vivaldi at work: the late cantatas and the consignment for Dresden, in: Fulgeat sol frontis decorae, Studi in onore di Michael Talbot, Alessandro Borin und Jasmin Melissa Cameron (Hg.), Venedig: Fondazione Giorgio Cini 2016, S. 97–112 (insbesondere Anmerkungen 2, 9, 28, 46 and 47).

[16] I‐Tn, Giordano 30, fols 184–206.

[17] I‐Pca, A‐II‐79. Der Franziskaner Francesco Antonio Calegari (1656–1742) war ein Komponist und Theoretiker, der sowohl in seiner Heimatstadt Venedig als auch in Bologna und Padua tätig war. Seine überlieferten Kompositionen sind allesamt Vokalwerke, zumeist geistliche Werke. Walter W. Schurr und Patrizio Barbiere: Art. Calegari [Callegari, Caligari], Francesco Antonio, in: Grove Music Online, 2001; www-oxfordmusiconline-com.access.authkb.kb.nl/grovemusic/view/10.1093/gmo/9781561592630.001.0001/omo-9781561592630-e-0000004584 (Stand 31. Dezember 2020).

[18] Die Spanne der 10 Systeme beträgt 182.25 mm.

[19] Wie auch in mehreren Konzerten und Sonaten von Vivaldi, unter anderem, RV 2, 5, 12, 17a, 26, 758, wie auch RV 806 (der „Blockflöten-Zwilling“ zu RV 810).

[20] Die harmonische Einfachheit dieses Satzes findet Parallelen zum Beispiel in RV 798, I.

[21] Da Vivaldi diese Angabe nie verwendet, zögern wir, solche Stücke als Sicilianas zu bezeichnen (daher die Anführungszeichen), vor allem wenn man bedenkt, wie selten diese Bezeichnung in zeitgenössischen venezianischen Partituren verwendet wird, in denen langsamere Stücke im 12/8-Takt mit den charakteristischen trochäischen (Viertelnote + Achtelnote) und daktylischen (punktierte Achtelnote + Sechzehntelnote + Achtelnote) Rhythmen oft keine Satzbezeichnung außer der Tempobezeichnung haben. Über die Siciliana und Vivaldi siehe Nicholas Lockey: Vivaldi and the Siciliana: Towards a Critical Appraisal, in: Antonio Vivaldi. Passato e futuro, S. 141–160; https://www.cini.it/pubblicazioni/antonio-vivaldi-passato-e-futuro-it (Stand 2. Dezember 2020). Sehr ähnliche „sizilianisch anmutende“ Sätze finden sich in RV 40, III; RV 428, II; RV 806, III, and RV 816, III.

[22] Auf https://oh.lnk.to/AnonimoVenexian_DAvenaRibeiro kann man die Aufnahme dieser Sonate von der CD Anonimo Venexian (RAM 1905, die ersten vier Tracks) streamen (Stand 13. Juli 2022).

[23] Michael Talbot: The Vivaldi Compendium, Woodbridge: The Boydell Press 2011, S. 56.

[24] RV 810 wurde nicht separat aufgeführt, da es eine Doppelung mit RV 806 darstellen würde. Die angegebenen Daten stammen aus Peter Ryom: Antonio Vivaldi, Thematisch-systematisches Verzeichnis seiner Werke, Wiesbaden: Breitkopf & Härtel 2007, mit Ausnahme von RV 617, für das wir die überarbeiteten Daten verwendet haben aus: Peter Ryom und Federico Maria Sardelli: Antonio Vivaldi, Thematisch-systematisches Verzeichnis seiner Werke, 2. überarbeitete Ausgabe, Wiesbaden: Breitkopf & Härtel 2018, und RV 820 aus Federico Maria Sardelli: Vivaldi prima di Vivaldi. La nuova sonata RV 820, in: Fulgeat Sol Frontis Decorae, Studi in onore di Michael Talbot, S. 189–206.

[25] Wir haben uns von den in Sardelli: Catalogo delle concordanze musicali vivaldiane, Florenz: Olschki 2012, S. CXLVI vorgestellten Kategorien inspirieren lassen.

[26] Federico Maria Sardelli: Vivaldi's Music for flute and recorder, Michael Talbot (Übers.), Aldershot: Ashgate 2007.

[27] Korrekturen in den Beispielen sind durch ein Sternchen gekennzeichnet.

[28] Bella Brover-Lubovsky: Tonal Space in the Music of Antonio Vivaldi, Bloomington: Indiana University Press 2008, S. 169.

[29] In einigen Fällen wird die Dominante, die zur Kadenz führt, verlängert, bevor die Sequenz endet. Der erste Teil der Sequenz (vor Erreichen der ersten Dominante) wird manchmal auch in einer Variante mit Akkorden ausschließlich in Grundstellung (NB 13.5) oder in der ersten Umkehrung (z. B. RV 569, I, T. 83–90) oder ohne Nebendominanten (I – IV – ii – V – iii – vi – IV - V, ohne die Chromatik, wie in NB 13.5 und NB 15.3 gezeigt) verwendet – oder sogar mit der chromatischen Linie des Basses, die in die Oberstimme übertragen wird, in diesem Fall beginnend auf der dritten Stufe der Skala. Sowohl in RV 184 als auch in RV 569 entfällt der Schlussteil und die Sequenz wird als modulatorisches Mittel eingesetzt.

[30] Variationen in dieser Form können die Verzierung dieses Sprungs durch Diminution oder die Verwendung der sechsten Stufe als Umdeutungs-Note beinhalten – entweder durch Wiederholung im Dominant-Akkord vor dem melodischen Abstieg oder durch Verwendung in einem (Durchgangs)-Akkord auf der Supdominantparallele, der zwischen der Subdominante und der Dominante liegt. Andere, oben nicht erwähnte Vivaldi-Werke, in denen die gleiche Sequenz auf die gleiche Weise verwendet wird, sind RV 19, NB 13.4 (aber auch in II, T. 35–44 und IV, T. 29–37), RV 20, NB 14.2 (aber auch in II, T. 10–14) und NB 14.3, RV 23, NB 14.4 (in diesem Fall wird die Subdominante durch die Subdominantparallele ersetzt), RV 52, NB 15.4 (aber auch in II, T. 28–33, in diesem Fall als erstes Element der Reprise), RV 433, NB 13.6 (als zweites Element im ersten Soloabschnitt) und RV 820, NB 15.5, wo Vivaldi die Sequenz als drittes Element des Abschnitts, aber auch mit dem Abstieg am Ende verwendet, während sie in RV 756 (NB 13.7) direkt nach den ersten drei Einleitungstakten kommt, aber keinen Abstieg am Ende enthält. Weitere Vivaldi-Werke (hier nicht exemplarisch aufgeführt), in denen diese Sequenz vorkommt, sind RV 28 (II, T. 17–21), RV 297 (II, T. 11–16, ohne die Chromatik), RV 383 (III, T. 9–16) und RV 806/810 (II, T. 13–18, mit einer verkürzten Form dieser Sequenz als drittes Element des Satzes). RV 760 (NB 14.5) verwendet eine ähnliche Funktion, bei der eine Sequenz anderer Art als zweites Element des Satzes verwendet wird. Diese Liste ist natürlich nicht vollständig.

[31] Die in G-Dur stehende Sonata Flauto Solo & Cembalo Sig.re Vivaldi RV 806, die 2006 in den Vivaldi-Katalog aufgenommen wurde, nachdem sie in der Sammlung des Archivs der Sing-Akademie zu Berlin wieder aufgetaucht war, hat eine Parallelquelle in RV 810 (D-Dur), die ihrerseits erst 2007 in den Katalog aufgenommen wurde. Federico Maria Sardelli: Una nuova sonata per flauto dritto di Vivaldi, in: Studi vivaldiani, Band 6, 2006, S. 41–52. Nikolaus Delius: Anmerkungen zu RV 806 und zu RV 759, in: Studi vivaldiani, Band 7, 2007, S. 111–113. RV 810 wurde von Antonio Pizzolato in seinem um 1750 in London veröffentlichten op. 1 Nr. 5 übernommen, wobei die Reihenfolge der Sätze geändert wurde. Vgl. Federico Maria Sardelli: Catalogo delle concordanze musicali vivaldiane [FN 25], S. xclx. Der Rest des Manuskripts mit der Kopie von RV 806, enthält entweder Sonaten für Traversflöte oder Sonaten mit einem Umfang, der für die Traversflöte geeignet ist. Dies ist ein wichtiges Detail: Die Tatsache, dass RV 806 das einzige Werk für Blockflöte ist, deutet darauf hin, dass die ursprüngliche italienische Quelle, aus der das deutsche Manuskript kopiert wurde, dieses Stück wahrscheinlich bereits für die Blockflöte vorgesehen hatte. Wäre die D-Dur-Violinfassung der Sonate die Quelle für die deutsche Abschrift gewesen, wäre nicht nur die Transposition von D-Dur nach G-Dur unnötig gewesen, sondern es wäre auch ungewöhnlich, dass das Werk als Blockflötensonate in einer Sammlung erscheint, die ansonsten ausschließlich dem Traverso gewidmet ist. Dies ist bei dem dritten Satz von RV 810 (Largo) der Fall, der mitten in einer anonymen Sonate in einer anderen deutschen Sammlung von „Traverso-Sonaten“ enthalten ist: Bonn, Universitäts- und Landesbibliothek (D-BNu, S 2981). Diese Sammlung – die größtenteils keine Angaben zur Besetzung enthält, mit Ausnahme einer Sonate „A due Traversse [sic] senza Basso, die Gemeinsamkeiten mit einer Triosonate von Johann Christoph Pepusch aufweist – enthält unter anderem Werke von Arcangelo Corelli, wie seine Violinsonate op. 5 Nr. 10, die von der ursprünglichen Tonart F-Dur nach G-Dur transponiert wurde, und seine Violinsonate op. 5 Nr. 7, bei der einige Passagen um eine Oktave nach oben transponiert wurden, um sie dem Tonumfang des Traversos anzupassen. Der dritte Satz von RV 810 erscheint in dieser Sammlung ohne jegliche Transposition, da dies für das Spiel auf dem Traverso nicht notwendig gewesen wäre. Dieses Bonner Manuskript wird in Michael Talbot: The Bonn manuscript S 2981: a miscellany of European music for flute from the early eighteenth century, in: The Consort, Band 77, 2021, eingehend untersucht.

[32] Sardelli: Vivaldi's Music for flute and recorder, S. 285. [FN 26]

[33] Talbot und Lockey: Art. Vivaldi, Antonio. [FN 6]

[34] Die einzige Ausnahme ist der dritte Satz (Largo) von RV 806, wo dies nur am Ende des ersten Abschnitts geschieht, nicht am Ende des Satzes selbst.

[35] Dieses Schema findet sich zum Beispiel auch in RV 20, II; RV 20, III; RV 20, IV; RV 23, II und in RV 52, II. Interessant ist, dass Vivaldi im zweiten (T. 22–23) und dritten (T. 27–28) Satz von RV 20 und im zweiten Satz von RV 52 (T. 25) einen Abstieg im Bass von D über C nach H vornimmt, um die Tonikaparallele zu verlassen und die Rückkehr zur Ausgangstonart einzuleiten. Dieser identische melodische Abstieg findet sich in Correr 127.46, II, an der gleichen Stelle der Struktur (NB 23.1, T. 22–23).

[36] In der Art, wie man sie auch in den schnellen 3/8-Sätzen von RV 6, RV 22, RV 26 und RV 47 findet.

[37] Ein Vergleich der beiden Largos, bei dem sich der erste und zweite Abschnitt abwechseln, wobei RV 806 nach F-Dur transponiert wird, ist unter youtu.be/XZ85uenewcs zu finden (Stand 13. Juli 2022). Die Figur in NB 4 findet sich auch in RV 798.

[38] Walter Kolneder: Melodietypen bei Vivaldi, Berg am Irchel (Zürich): Amadeus 1973, S. 105.

[39] Michael Talbot: Vivaldi, London: Dent 1993, S. 82. RVs 19, 22 und 47 sind weitere Beispiele für Werke, in denen Vivaldi dieses Mittel verwendet.

[40] Zur Satzstruktur Vivaldis siehe Talbot: Vivaldi, S. 76–77, und Michael Talbot: Vivaldi’s ‘late’ style: final fruition or terminal decline?, in: Vivaldi, Motezuma and the opera seria: Essays on a newly discovered work and its background, Michael Talbot (Hg.), Turnhout: Brepols 2008, S. 147–168: 162–167.

[41] Die Verwendung der harmonischen Beziehung zwischen Tonika und Dominante wird in einer anderen Diskussion über Vivaldis Urheberschaft kurz angesprochen. Siehe Michael Talbot: Two more new Vivaldi finds in Dresden, in: Eighteenth-Century Music, Band 3, 2006, S. 35–61: 50.

[42] Andere Werke, die dieses Merkmal aufweisen, aber hier nicht als Beispiel dienen, sind RV 9, III, T. 2–5 und 14–17; RV 485, III, T. 53–55 und 57–59; RV 564, III, T. 18–21; RV 569, III, T. 129–137 (wo der Bass in der oberen Oktave verdoppelt wird, wie in RV 178); und (mit einer aufsteigenden melodischen Bewegung) RV 316a, I, T. 144–147.

[43] Das gleiche Material wie in RV 107, II wird auch in RV 548, II und RV 764, II verwendet.

[44] Dieses Merkmal findet sich auch in RV 32, II und IV (erster und zweiter Abschnitt), RV 52, II (zweiter Abschnitt), RV 798, II (zweiter Abschnitt) und RV 820, I und IV (erster und zweiter Abschnitt).

[45] Michael Talbot: The genuine and the spurious. Some thoughts on problems of authorship concerning Baroque compositions, in: Vivaldi, Vero e falso. Problemi di attribuzione, Antonio Fanna und Michael Talbot (Hg.), Florenz: Olschki 1992, S. 13–24: 13. Für eine ausführlichere Diskussion über Fragen der Zuschreibung, die sich auf das Instrumentalrepertoire des Veneto des 18. Jahrhunderts beziehen, siehe Guido Viverit: Problemi di attribuzione conflittuale nella musica strumentale veneta del Settecento, Ph.D. diss., Università di Padova, 2015.

[46] Betrachtet man die Zeitgenossen, deren Musik in den Fondo Esposti aufgenommen wurde (unabhängig davon, ob sie für eines der Ospedali arbeiteten oder nicht), so wären beispielsweise Antonio Biffi (1666/1667–1733), Diogenio (al secolo, Antonio) Bigaglia (1678–1745), Francesco Feo (1691–1761), Francesco Gasparini (1661–1727), Johann Adolf Hasse (1699–1783), Antonio Lotti (1666–1740), Giovanni Porta (ca. 1675–1755), Nicola Porpora (1686–1768), Giovanni Battista Sammartini (1700/1701–1775), Giuseppe Tartini (1692–1770) und Benedetto Vinaccesi (1666–1719) zu nennen. Von denjenigen, die an den Ospedali angestellt waren, deren Musik aber nicht im Fondo Esposti überliefert ist, sind Carlo Luigi Pietragrua (ca. 1665–1726), Giovanni Antonio Pollarolo (1676–1746) und Ignazio Sieber (ca. 1688–1761) zu nennen, um nur einige anzuführen. Darüber hinaus wurden im 18. Jahrhundert unter anderem Werke von Tomaso Giovanni Albinoni (1671–1751), Paolo Benedetto Bellinzani (ca. 1690–1757), Antonio Caldara (1671–1736), Benedetto Giacomo Marcello (1686–1739) und Francesco Maria Veracini (1690–1768) gedruckt und aufgeführt. Es gibt auch Komponisten, deren Musik als die von Vivaldi durchging: so z. B. Gaetano Meneghetti (fl. 1714–1757), wie bei RV 809, jetzt RV Anh. 136, und RV 351, jetzt RV. Anh. 150. Zu Bigaglia siehe Michael Talbot: Vivaldi, Bigaglia, Tartini and the curious case of the ‘Introdutione’ RV Anh. 70, in: Studi vivaldiani, Band 20, 2020, S. 41–67: 52.

[47] Siehe z. B. den Bass im ersten Satz von Portas Konzert für Traversflöte, wo der treibende Allegro-Achtelbass bereits in der zweiten Hälfte des ersten Taktes durch die Verwendung von Sechzehntelnoten variiert wird. Lund, Universitetsbiblioteket (S-L), Saml. Engelhart S. 108.

[48] D-Dl, Mus.2788-N-1, bis 4.

[49] Robert Maria Haas: Die Musik des Barocks, Wildpark-Potsdam: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion 1929, S. 215. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung (A-Wn), EM.19 MUS MAG.

[50] Wie Sardelli hervorhebt „the whole of the opening movement of Siber's first sonata [...] is a close paraphrase of the first movement of the third sonata from Vivaldi's Op. 2 [RV 14], published some eight years previously.“ Eine weitere Anspielung auf Vivaldi findet sich „in the last movement of the same first sonata [i.e., Sonata no. 7] by Siber, which paraphrases the third movement of the concerto a quattro RV 127.“ Sardelli: Vivaldi’s Music for Flute and Recorder, S. 31 u. S. 33 [FN 26] (Anmerkung 38. Wenn diese als Paraphrasen interpretiert werden können, könnte das Folgende anders gesehen werden: Siebers Sonate Nr. 11 ist das gleiche Werk wie Veracinis Sonate Nr. 5. Es gibt jedoch einige Abweichungen zwischen den beiden Quellen: z. B. Appoggiaturen, Vorzeichen, Bindebögen und dynamische Markierungen, die in Veracinis Manuskript zu finden sind, fehlen (manchmal) in Siebers Druck. Außerdem bietet Veracinis Manuskript im zweiten Satz (Allegro) in den Takten 6–8, 26–27 und 66–68 eine rhythmische Vielfalt, die in Siebers Druck fehlt. Die Widmungsseite des möglicherweise autographen Manuskripts von Veracinis Sonate a violino, o flauto solo, e basso ist auf 1716 in Venedig datiert (D-Dl, Mus.2413-R-12). Das Erscheinungsdatum von Siebers Sonaten liegt zu nahe an dem von Veracinis Manuskript, als dass sich eindeutig feststellen ließe, welches Werk zuerst erschienen ist.

[51] Bezüglich Bigaglia, siehe Michael Talbot: Vivaldi or not Vivaldi? The unreliable attribution of the sonata RV 34, in: De musica disserenda, 16/1 2020, S. 57–72: 65.

[52] Talbot: Vivaldi or not Vivaldi? The unreliable attribution of the sonata RV 34, S. 66. Kursiv im Original.

[53] Wie man sieht bedeutete „flauto“ in dieser Zeit nicht „traverso“, nicht einmal in Amsterdam: nur wenige Jahre später wurde Vivaldis op. 10 als VI Concerti a flauto traverso, violino primo e secondo, alto viola, organo e violoncelo veröffentlicht. Talbot ist jedoch der Meinung, dass es sich hierbei um gute Beispiele für die Art von „Mehrzwecksonaten“ handelt, die entweder auf der Violine oder auf einem Holzblasinstrument mit entsprechendem Umfang gespielt werden können. Vgl. Talbot: Vivaldi, Bigaglia, Tartini. Vielleicht fehlen hier aber auch einfach hilfreiche Hinweise, wie sie Charles Dieupart (oder sein Verleger Estienne Roger) in den Six Suittes [sic] (Amsterdam, 1701) für die Aufführung einiger Werke auf der flute de voix und anderer auf der flute du quatre (oder im italienischen Kontext flautino) anbietet, Größen, die weniger beliebt sind als die Altflöte. Größere Blockflöten wie Voice Flutes waren in Amsterdam bekannt, wo Bigaglias Sonaten von Michel Charles Le Cène veröffentlicht wurden: 1743 listet das Inventar der Musikinstrumente von Le Cène eine schwarze Voice Flute mit Elfenbein auf, die von dem in Frankreich geborenen und in London ansässigen Holzblasinstrumentenmacher Peter Bressan (Pierre Jaillard) hergestellt worden war. Vgl. Jan Bouterse: The Inventory of the Musical Instruments of Michel Charles Le Cene (1743), in: FoMRHI Quarterly, 90, 1991, S. 18–19. Darüber hinaus scheinen einige wenige erhaltene Voice Flutes des venezianischen Holzblasinstrumentenbauers N. Castel die Verwendung dieser Blockflötengröße auch in Italien zu dokumentieren, und, falls N. Castel mit Anzolo Castel (Mitglied der Arte de' Tornidori im Jahr 1720) verwandt war, insbesondere im venezianischen Umfeld. Für detaillierte Informationen zu Castels Instrumenten siehe Inês de Avena Braga: Three Castel recorders: Rome, Edinburgh and especially Nice, in: Recercare, XXV, 2013, S. 75–93; EAD. Dolce Napoli: Approaches for performance, insbesondere S. 45–49, 69–71; Giacomo Silvestri: Un nuovo flauto diritto contralto di Castel a Perugia, in: Recercare, XXXI, 2019, S. 205–217.

[54] Talbot: Vivaldi or not Vivaldi?, S. 66.

[55] Entweder schließt er sich der Oberstimme an oder geht einen eigenen Weg (komplementärer Kontrapunkt ist keine Seltenheit), bis hin zu manchmal unorthodoxen Intervallen mit der Oberstimme (z. B. Sonate Nr. 1, II, T. 64).

[56] Lockey: Vivaldi and the Siciliana, S. 155, [FN 21].

[57] Siehe z. B. Sonata no. 3, IV, T. 1–7; Sonata no. 4, II, T. 3–4, Sonata no. 5, III, T. 3.

[58] Talbot: Vivaldi, S. 78 [FN 39].

 

Übersetzung aus dem Englischen: TIBIA

 

 

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Über den Autor / die Autorin
Inês d'Avena und Claudio Ribeiro ,

Die Blockflötistin(...)