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David Lasocki/Robert Ehrlich: The Recorder Rezensionen
The fascinating story of a hugely popular instrument, detailing its rich and varied history from the Middle Ages to the present, with a contribution by Nikolaj Tarasov and an epilogue by Michala Petri, Series: Yale Musical Instrument Series, USA-New Haven 2022, Yale University Press, ISBN 9780300118704, 392 S., 15,5 x 23,4 cm, geb.
The Recorder ist als 9. Monographie der „Yale Musical Instrument Series“ erschienen. In dieser Buchreihe wird den Verfassern die Aufgabe übertragen, „die Geschichte und die Entwicklung des Instruments von ihren Anfängen bis in die Gegenwart darzustellen, mit besonderer Berücksichtigung der Aufführungspraxis.“ David Lasocki, emeritierter Musikbibliothekar der Indiana University Bloomington, hat darin die Blockflötengeschichte von den Anfängen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts übernommen (ca. 200 Seiten). Nikolaj Tarasov, Blockflötist und Instrumentenfachmann, schreibt über das 19. Jahrhundert (ca. 20 Seiten). Robert Ehrlich, Professor für Blockflöte an der Hochschule für Musik und Theater Leipzig, berichtet über das 20. Jahrhundert (ca. 65 Seiten). Die dänische Blockflötistin Michala Petri hat einen Epilog beigetragen, in dem sie ihr persönliches Verhältnis zur Blockflöte beschreibt.
Geschichtsschreibung zwingt immer zu einer Kultur des Weglassens, vor allem, wenn es eine Beschränkung des Seitenumfangs gibt. Die Entscheidung, was unverzichtbar ist und was entfallen kann, ist subjektiv. Die Verfasser müssen dies abwägen und ihren Lesern gegenüber verantworten. Die Bedeutung dieser Verantwortung kann nicht hoch genug veranschlagt werden, weil das Erscheinen eines solchen Buches das Wissen einer ganzen Generation von Lesern prägt. Alles, was hier ausführlich dargestellt wird, wird von den Lesern als bedeutend wahrgenommen, das Weggelassene für unwichtig gehalten. Die Gewichtung der Epochen ist jedoch vielleicht nicht von den Verfassern zu verantworten, sondern eine Vorgabe des Verlags.
In diesem Buch bekommen die Renaissance- und die Barockzeit jeweils etwa 75–80 Seiten, das 19., 20. und 21. Jahrhundert zusammen etwa 85 Seiten. Dabei wird die Zeit der Mittelalter-Blockflöten auf etwa 45 Seiten beschrieben – das ist mehr als doppelt so viel wie den Blockflötenarten des 19. Jahrhunderts (Csakan, Französische und Englische Flageoletts) gewidmet wird. Das 20. Jahrhundert und das beginnende 21. Jahrhundert werden auf etwa 57 Seiten zusammengefasst. Mit diesem Konzept wird dem Leser eine Gewichtung vorgegeben, die in den deutschsprachigen Ländern als längst überwunden gelten kann.
Durch die Aufteilung der Epochen auf mehrere Autoren wurde eine hohe inhaltliche Qualität erreicht. Leider konnten dadurch aber die für die Blockflöte so wichtigen Übergangszeiten vom 18. zum 19. und vom 19. zum 20. Jahrhundert nicht adäquat dargestellt werden.
Auch im Detail gibt es Gewichtungen, die überraschen. Positiv, weil es z. B. eine zusammenfassende Übersicht über die erhaltenen mittelalterlichen Blockflöten und Fragmente gibt, negativ, weil z. B. von den deutsch-österreichischen Instrumental- und Vokalkompositionen aus der Zeit der Frühbarock-Blockflöte im 17. Jahrhundert lediglich Stücke von M. Praetorius erwähnt werden. Sind die Werke von Ph. F. Buchner, D. Bollius, A. Poglietti, J. Vierdanck (Instrumentalmusik) und J. R. Ahle, S. Capricornus, J. Krieger, T. Michael, H. Schütz, J. H. Schein und M. Weckmann (Geistliche Konzerte mit Blockflöte) wirklich so unwichtig? Diese Phase der Blockflötengeschichte wird ganz aus dem Blickwinkel „Jacob van Eyck and his contemporaries“ betrachtet und der „Era of Renaissance Recorders, 1501–1667“ zugeschlagen. Wenn man einmal „not just the Alto“, sondern auch die Bassflöten des 17. Jahrhunderts betrachtet, so könnten diese mit dem gleichen Recht in die „Era of the Baroque Recorder“ eingeordnet werden. Stattdessen wird hier das Märchen von der „Übergangs-Blockflöte“ als Tiefpunkt zwischen den bedeutenden Blockflötenepochen Renaissance und Hochbarock lebendig erhalten. Warum nicht ein separates Kapitel für diese Zeit, ihre Instrumente und ihr Repertoire? Dafür könnten z. B. die oft ungenauen Aufzählungen von Blockflöten in alten Inventaren reduziert werden – die meisten der genannten Instrumente sind längst unwiederbringlich untergegangen.
Auch das Kapitel zur Barockblockflöte ist bezüglich der Literatur nicht auf dem neuesten Stand. In den letzten 20 Jahren sind bemerkenswerte Sonaten z. B. von L. Detry, N. Nicolai, I. Sieber und J. Ulich erschienen, außerdem das Blockflötenkonzert in B-dur von J. Chr. Schultze. Von den neu erschienenen Telemann-Vokalwerken mit konzertierender Blockflöte sollte neben Bachs Kantaten wenigstens Daran ist erschienen die Liebe Gottes (TVWV 1:165) erwähnt werden, weil damit ein weiteres Werk vorliegt, in dem von der Altblockflöte das c4 verlangt wird.
Wodurch unterscheidet sich eine Bassano-Flöte von einem Schnitzer- oder einem Rauch-Modell, eine „van-Eyck-Flöte“ von Kynsecker, eine Bressan von Denner, Stanesby von Anciuti? Für manche Blockflötenspieler und -liebhaber wäre wohl auch eine praktische Navigationshilfe durch den Jungle der heute nachgebauten historischen Blockflötenmodelle interessant gewesen.
Trotz kritischer Anmerkungen muss festgehalten werden, dass David Lasocki heute einer der bestinformierten Blockflöten-Wissenschaftler ist. Er hat zahlreiche wichtige eigene Forschungsergebnisse veröffentlicht. Auch in diesem Buch hat er viele Bereiche gut und umfassend beschrieben, z. B. die Abschnitte zu Ganassi und Cardano.
Wie schon festgestellt, wird dem 19. Jahrhundert in diesem Buch nur wenig Raum gegeben. Das passt nicht zu der Tatsache, dass die heutigen Blockflötenspieler das Repertoire der Blockflötentypen des 19. Jahrhunderts seit Jahrzehnten wie selbstverständlich adoptiert haben, so z. B. die Werke von A. Heberle und N. Bousquet. Immerhin enthält der Abschnitt zum Csakan im gegebenen Rahmen alles Wesentliche und bietet auch den aktuellen Forschungsstand. Dagegen sind die Informationen zu den verschiedenen Flageoletts und den traditionellen Blockflöten des 19. Jahrhunderts auf nur 4 Seiten zusammengedrängt. Hier zeigt sich auch, dass die Gliederung dieses Buches für manche Blockflötentypen wie z. B. das Französische Flageolett ungeeignet ist. Ohne die Bau- und Literaturgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts muss eine Betrachtung des Französischen Flageoletts im 19. Jahrhundert aus dem Zusammenhang gerissen und unvollständig wirken.
Im Kapitel zum 20. Jahrhundert wird zu Beginn sorgfältig über die Anfänge des Spiels auf historischen Blockflöten und die ersten neu gebauten Instrumente berichtet. Bemerkenswert ist, dass Ehrlich den Nürnberger Kynsecker-Satz als Instrumente in D und G deutet, während Lasocki im Kapitel „Baroque Recorder“ für die gleichen Instrumente von der C-F-Stimmung bei a1=466 Hz ausgeht. Je nach Stimmton sind beide Deutungen möglich, also haben beide Recht. Trotzdem ist für ein Quart-Quint-Stimmwerk die Intention einer hohen C-F-Stimmung wahrscheinlicher. Mit den hier gewählten unterschiedlichen Stimmungsangaben werden das aber nur wenige Leser durchschauen. Falsch ist jedenfalls die Vermutung, V.-Ch. Mahillon hätte zu seinem Kynsecker-Satz nach einer kleinen Elfenbeinflöte ein Sopranino neu konstruiert. Zu seiner Zeit konnte das in Nürnberg mittlerweile verlorene originale Kynsecker-Sopranino noch als Vorlage dienen.
Die Aktivitäten der Familie Dolmetsch und von Peter Harlan samt Umfeld werden im Wesentlichen korrekt wiedergegeben. Gut gelungen erscheinen auch die Ausführungen zur Entwicklung in Großbritannien und Amerika in der Kriegs- und beginnenden Nachkriegszeit. Etwas zu wichtig nimmt Ehrlich jedoch den Namen eines Blockflötenmodells von Harlan bzw. Kehr, die Volksblockflöte. Hier wird eine Analogie zum Volkswagen konstruiert. Dabei wird besonders auf den niedrigen Preis dieses Modells abgehoben, aber nicht deutlich genug gesagt, dass es bei anderen Händlern noch viel billigere Schulflötenmodelle gab, die in viel größeren Mengen verkauft wurden. Anders als jene Billigflöten wurden Harlans Volksflöten auch als komplettes C-F-Quartett gebaut. Im Vergleich mit anderen Harlan-Modellen waren die Volksflöten nicht marktprägend, weil sie nur in geringen Stückzahlen verkauft wurden.
Zweifellos hatte die Politik der Nationalsozialisten einen deutlichen Einfluss auf die Spielpraxis und die Ideologie der Blockflöte. Die hier grundlegende Dissertation von Cornelia Stelzer von 2016, gedruckt 2021, wird aber nicht erwähnt. Robert Ehrlichs Ausführungen basieren auf eigenen Forschungen, die interessante und bisher unveröffentlichte Details hervorgebracht haben. Allerdings fragt man sich bei der Lektüre des Abschnitts über die Blockflöte „in Nazi Germany“, ob es in diesem Rahmen nötig ist, einzelnen Persönlichkeiten eine bestimmte politische Position zu unterstellen, solange man diesen nicht mehr als Mitläufertum und Überlebensstrategien vorwerfen kann. Müssten wir analog nicht auch die Lebensläufe der Komponisten und Instrumentenbauer des 18. und 19. Jahrhunderts auf ihre politische Meinung hin durchforsten? Die Frage, wer damals in seiner Karriere von der politischen Situation profitiert hat, bestätigt allerdings die Doppelmoral, die heute bezüglich der Musik der Nazizeit vorhanden ist: Die Kompositionen von unbekannteren Komponisten, die Parteimitglied waren, werden geächtet, die Werke von Richard Strauss, dem Präsidenten der Reichsmusikkammer, werden überall bedenkenlos aufgeführt.
Einen großen Teil des Kapitels über das 20. Jahrhundert nimmt eine Würdigung der Verdienste von Frans Brüggen ein. Das überrascht, weil Robert Ehrlich 1993 in der Tibia die Vermarktung seines Lehrers Brüggen deutlich kritisiert hatte. Bei aller Verehrung für Brüggen und seine Auswirkungen auf die Blockflötenszene: Ihm wird fast ein Drittel des Raumes für das 20. Jahrhundert gewidmet und damit fast gleich viel wie dem gesamten 19. Jahrhundert. Andere Persönlichkeiten wie z. B. Hans-Martin Linde werden nur mit wenigen Zeilen erwähnt. Keine seiner Kompositionen findet Erwähnung, auch die Festschrift zu seinem 85. Geburtstag Klangfarbe und Farbklang, Köln 2015, wird totgeschwiegen. Die Neue Blockflötenmusik scheint ausnahmslos von niederländischen Spielern beeinflusst zu sein und mit Andriessen, Berio und Shinohara zu enden. Details zu den erweiterten Spieltechniken der Jahre nach 1970 sucht man vergebens. Zu den neueren Entwicklungen im Instrumentenbau hätte wenigstens die englischsprachige Dissertation von Susanne Fröhlich (Graz 2019) erwähnt werden müssen.
Solche Fehlstellen im Literaturverzeichnis werden umso bedenklicher, wenn man entdeckt, dass an einigen wenigen Stellen doch neueste Literatur mit Erscheinungsdatum 2023 verzeichnet ist, z. B. bei David Lasockis eigenen Publikationen. Offensichtlich war es trotz der langen Entstehungszeit bis kurz vor dem Erscheinen des Buches möglich, Ergänzungen einzufügen.
Davon abgesehen ist das Verzeichnis der verwendeten Literatur umfangreich und sorgfältig erstellt. Bei den älteren handschriftlichen Quellen wie z. B. Virgiliano, Bismantova und Loulié werden leider nur die Fundorte der Originale genannt, nicht aber die vorliegenden Faksimile-Nachdrucke. Das ist unüblich und nicht sehr benutzerfreundlich.
Das Verzeichnis der verwendeten Notenausgaben ist verständlicherweise kurz, weil eine Aufzählung des gesamten Repertoires den Rahmen sprengen würde. Als einziges Stück des 20. Jahrhunderts wird darin das Hindemith-Trio erwähnt – allerdings in der stark bearbeiteten Ausgabe von 1952, obwohl es originalgetreue neuere Ausgaben gibt.
Liest man parallel zu The Recorder das Querflötenbuch aus der gleichen Reihe, The Flute von Ardal Powell von 2002, so wird deutlich, dass die unterschiedliche Herangehensweise der drei Autoren das Entstehen eines echten Gemeinschaftswerkes verhindert hat. Vielleicht hätte ein sachkundiger Lektor helfen können.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass es sich um ein wichtiges Buch handelt, das sich wohl in erster Linie an die amerikanischen und britischen Leser richtet. Durch fehlende Aktualisierungen im Laufe der fast zwanzigjährigen Entstehungszeit und eine wertende Gewichtung der verschiedenen Epochen wurde leider die Chance vergeben, ein sehr gutes und auch für den deutschsprachigen Markt wegweisendes Buch daraus zu machen.
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Peter Thalheimer(...)