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„Musik ist der Weg, nicht das Ziel.“ Jasmin Röder im Gespräch mit dem Blockflötenquartett Quinta Essentia Porträts

Foto: © Paulo Rapoport

 

Das 2006 gegründete Quinta Essentia-Quartett ist ein brasilianisches Blockflötenensemble. Seine Besetzung, aktuell bestehend aus drei Musikerinnen und einem Musiker, inspiriert zu neuen Kompositionen und fördert die brasilianische Kultur und Kammermusik in verschiedenen Ländern. Aktuell besteht das Quartett aus den Gründungsmitgliedern Renata Pereira und Gustavo de Francisco, sowie Francielle Paixão und Marina Mafra.

 

 

 

Jasmin Röder: Seit dem Gründungsjahr 2006 hat Quinta Essentia bereits viel erreicht. Das Ensemble hat diverse Preise gewonnen und einige CDs veröffentlicht. Außerdem gebt ihr Meisterkurse und spielt nebenbei natürlich noch jede Menge Konzerte. Was ist euer Geheimrezept?

 

Quinta Essentia: Unser Schlüssel zum Erfolg war eine Kombination aus harter Arbeit und langfristiger Planung und das über einen Zeitraum von 17 Jahren. In all diesen Jahren haben wir viel gelernt. Am Anfang wollten wir einfach ein professionelles Blockflötenquartett sein, das Konzerte spielt und die Blockflöte als ernstzunehmendes Musikinstrument präsentiert. Damals hatten wir nicht viele Instrumente: jeder von uns hatte eine Sopranflöte und jeweils eine Altflöte in hoher und tiefer Stimmung. Außerdem hatten wir einen Kunststoffbass und einen Tenor aus Kunststoff und Holz für das Ensemble. Keines dieser Instrumente war wirklich gut und wir wussten, dass es zwar für den Anfang reichen würde, wir aber langfristig in neue Instrumente investieren müssen.

 

Viele Jahre lang wurden 80 % unserer Einnahmen aus Konzerten in neue und bessere Instrumente gesteckt. Unsere erste Priorität lag dabei auf dem Wechsel von Kunststoff- zu Holzinstrumenten und danach auf der Anschaffung größerer Bässe, um ein breiteres Repertoire spielen zu können. Heute verfügen wir über mehr als 60 Instrumente in drei verschiedenen Tonhöhen, darunter Instrumente aus der Renaissance, dem Barock und der Moderne.

 

Viele Blockflötengruppen spielen gerne eine Art „tutti-frutti“-Repertoire, d. h. sie spielen Stücke aus allen historischen Epochen in einem einzigen Programm. Zuerst haben wir das auch so gemacht und unser erstes Album La Marca zeigt dies. Daraus haben wir gelernt, was wir gerne anders als andere Ensembles machen wollen: wir spielen brasilianische Musik und wenn wir europäisches Repertoire spielen, machen wir es anders als andere Gruppen. Das macht unsere Auftritte zu etwas Einzigartigem! Wir haben auch entschieden, dass es besser ist, immer ein thematisches Programmkonzept zu entwickeln, indem man Musikstücke rund um eine Idee, einen Stil oder eine historische Periode zusammenstellt.

 

Darüber hinaus proben wir wöchentlich, egal ob wir sonstige Termine haben oder nicht und wir betrachten Musik als eine Sprache. Genau aus diesem Grund spielen wir auch auswendig. Ich vergleiche das gerne mit einer Schauspielerin, die ihren Text auf der Bühne abliest. Wer ist überzeugender? Die Schauspielerin, die ihren Text auswendig gelernt hat oder die, die abliest? Natürlich zieht es noch weitere Konsequenzen nach sich, wenn man Musik als Sprache betrachtet.

 

Wie entwickelt ihr neue CD-Formate? Wer war der Ideengeber von Tunes!, einer CD, die Soundtracks zum Leben erweckt?

 

Viele Ideen existieren bereits seit einigen Jahren und im Laufe der Zeit konnten wir bereits einige davon verwirklichen. Die Idee zu Tunes! entstand zum Beispiel schon 2012. Einige Soundtracks hatten wir schon damals im Kopf, wie etwa die Titelmusik von Super Mario und Zelda. Wir mussten aber noch viel recherchieren und überlegen, um daraus ein rundes Programm zu entwickeln. Ideengebend für dieses Projekt war Gustavo de Francisco, der auch die Arrangements angefertigt hat.

 

Einfach war es Zelda und Mario für die Besetzung eines Blockflötenquartetts zu transkribieren, da die eingespielten Melodien der Spiele dem Klang der Blockflöte sehr ähneln. Außerdem sind viele Soundtracks im Original sowieso schon vierstimmig komponiert. Wir haben uns aber nicht nur auf Titelmelodien von Videospielen beschränkt, sondern auch nach Musik gesucht, die Erinnerungen an die 80er und 90er Jahre und unsere Kindheit weckt. Aus diesem Grund finden sich auf der CD auch Melodien aus Zeichentrickfilmen, Fernsehsendungen und Computerspielen wieder. Unsere zwei Favoriten, die man auf jeden Fall gehört haben muss, sind Die Monster AG und Die Schöne und das Biest.

 

Im Jahr 2016, zehn Jahre nach unserem Start, haben wir J. S. Bachs Die Kunst der Fuge aufgenommen. Wir hatten dieses Projekt schon seit 2006 im Hinterkopf, aber es war unmöglich, es auf unseren damaligen Instrumenten umzusetzen. Außerdem wollten wir Bachs Zyklus gerne in tiefer Stimmung spielen. Im Jahr 2014 haben wir dann unseren Großbass in 415 Hz bekommen und das war der Startschuss für das Projekt. Die Transkriptionen für das Quartett hat Gustavo, basierend auf Bach-Manuskripten und der Bach Erstausgabe, erstellt. Außerdem wurde unser Barock-Consort für dieses Projekt um einen G-Alt, einen B-Sopran und einen B-Tenor erweitert.

 

Die Idee für die CD Caboclo war es, brasilianisches Repertoire aus dem 20. Jahrhundert mit großen und bekannten Komponisten, großartiger Musik und modernen Blockflöten zusammenzubringen. Das Programm enthält dabei zwei Originalstücke für Blockflöte, von denen eines dem Ensemble gewidmet ist. Die übrigen Stücke wurden ursprünglich für Streicher, Klavier, Blechbläser oder Gesang komponiert und von Gustavo für moderne Blockflöten arrangiert.

 

Welche Schritte braucht es von einer Idee bis zur Umsetzung?

 

Es ist schwer zu sagen, wie viele Schritte es von der Idee bis zum fertigen Programm sind. Jedes Repertoire ist einzigartig und die Herausforderungen sind jedes mal andere. Bei einigen Projekten benötigen wir mehr Instrumente, manchmal brauchen wir andere Dinge wie einen Beamer oder andere Bühnentechnik, und natürlich hat jede Musik selbst ihre eigenen Herausforderungen. Wenn wir ein neues Repertoire einstudieren, wird  normalerweise auch schon darüber nachgedacht, welches Projekt als nächstes ansteht. Parallel zum Einstudieren des aktuellen Programms wird also schon nach neuer Musik recherchiert, es werden neue Arrangements konzipiert und so weiter. Manchmal merken wir auch bei Probenphasen, dass das Arrangement nicht funktioniert und wir eine andere Richtung einschlagen müssen.

 

Man kann es vielleicht so zusammenfassen: Es gibt eine Idee, dann wird das Repertoire dazu recherchiert, es wird Musik dazu angehört und die Arrangements werden angefertigt. Danach wird alles ausprobiert. Natürlich muss man auch an das Marketing und an die Texte denken. Danach wird wieder geprobt, ein Probekonzert wird organisiert und schließlich wird dann das Album aufgenommen (wobei der letzte Schritt viele weitere Teilschritte enthält). Vom Beginn der Repertoiresuche bis zum Premierenkonzert können leicht mehr als zwei Jahre vergehen. Von der ersten Probe bis zum Konzert dauert es etwa ein Jahr.

 

Wie organisiert ihr euch?

 

Wir proben regelmäßig, pro Woche ist ein ganzer Tag dafür vorgesehen. Blockweises Proben ist für unsere Art und Weise an die neue Erarbeitung von Repertoire heranzugehen nicht ideal. Die Tatsache, dass wir uns regelmäßig treffen, ist ausschlaggebend dafür, dass wir immer wieder neue Ideen für Repertoire und andere Dinge haben. Die Aufgaben sind dabei verteilt. Gustavo bereitet die Arrangements vor und kümmert sich um die Agentur/Produktion, Renata macht das Marketing und alles, was mit dem Bereich Social Media zu tun hat. Wir alle spielen das Repertoire auswendig, das ist schon eine Herausforderung für sich.

 

Ihr spielt eure Stücke auswendig? Was ist der Grund dafür und worin seht ihr die Stärken in dieser Praxis?

 

Unser Ziel ist es, immer alles auswendig zu spielen. Manchmal verwenden wir zur Sicherheit bei der Premiere eines neuen Repertoires noch zusätzlich Noten, aber eigentlich können zu diesem Zeitpunkt alle Ensemblemitglieder ihre Stimmen schon auswendig. Im Englischen gibt es die schöne Redewendung „to play something by heart“ und auch auf portugiesisch bedeutet das Wort „decor“, das wir verwenden, um das Auswendigspielen zu beschreiben, das gleiche. Und das ist auch unsere Idee dahinter. Wenn du etwas mit dem Herzen machst, dann verbindet sich der Körper mit dem Geist und beide führen zusammen die Aktion aus. Man braucht dann nichts weiter außer sich selbst. Das steigert nicht nur das Selbstbewusstsein, sondern auch die Kommunikation mit dem Publikum. Wie ich schon erwähnt habe, ist Musik eine Sprache und wenn wir diese sprechen (oder spielen) schauen wir währenddessen auch nicht im Wörterbuch nach. Um unsere Botschaft zu vermitteln, kommunizieren wir über Noten, Rhythmus, Artikulation und noch viele weitere Parameter. Um dies authentisch tun zu können, spielen wir auswendig. Außerdem schafft der Notenständer eine Barriere zwischen Publikum sowie Musikern und Musikerinnen. Die Kommunikation ist so extrem eingeschränkt und versperrt häufig auch die Sicht auf Künstlerinnen und Künstler. Auch beim Erlernen eines neuen Instruments ist das Auswendigspielen eine tolle Sache. Ich könnte ein ganzes Buch über die Vorteile schreiben, aber das ist ein Thema für ein anderes Interview.

 

Wie kann man sich die Blockflötenszene in Brasilien vorstellen? Ist die Blockflöte ein beliebtes Instrument? Entscheiden sich viele junge Leute für die Blockflöte?

 

Was das angeht, gibt es in keinem Land eine so große Tradition des Blockflötespielens wie in Deutschland oder den Niederlanden. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass wir in Zukunft noch einiges aus Taiwan hören werden. Dort gibt es einige hervorragende junge Blockflötistinnen und Blockflötisten. In Brasilien wird die Blockflöte häufig im Musikunterricht an Schulen eingesetzt und es gibt viele Blockflöten-Enthusiasten. An Musikschulen und an den Konservatorien haben wir außerdem viele gute Blockflötenlehrkräfte. Im Gegensatz zu Europa mangelt es uns aber an professionellen Blockflötisten und Blockflötistinnen. Auch viele Kinder und Jugendliche entscheiden sich anfänglich für die Blockflöte, geben diese aber nach einiger Zeit häufig zugunsten eines Orchesterinstruments auf. Ich glaube aber, dass die Blockflöte aufgrund ihrer Einfachheit, den geringen Kosten in der Anschaffung und der handlichen Größe immer ein beliebtes Instrument sein wird. Was wir tun müssen, nicht nur in Brasilien, sondern überall auf der Welt, ist, die Blockflöte in Musikszenarien einzusetzen, in denen sie bisher noch nicht etabliert ist. Ich denke hier zum Beispiel an Popmusik, im Orchester aber auch in Kammermusikprojekten mit anderen „kanonischen“ Instrumenten wie Streichern, Klavier und Gesang. Wenn wir dies tun, haben wir die Möglichkeit, ein viel größeres Publikum zu erreichen.

 

Gibt es „Traumprojekte“ oder Ziele, die ihr in der Zukunft gerne erreichen würdet?

 

Unser Ziel ist es, dass Quinta Essentia sich einmal verselbständigt und auch ohne uns weiter existiert. In all den Jahren haben viele Blockflötistinnen und Blockflötisten mit uns gemeinsam gespielt und wir haben viel Arbeit und Energie in den Erhalt des Ensembles gesteckt, auch wenn immer mal jemand beschlossen hat, die Gruppe zu verlassen. Das war keine leichte Aufgabe. Aber es hat sich ausgezahlt! Wir spielen etwa 25 Konzerte im Jahr plus eine Tour außerhalb Südamerikas. Unser bisher größtes Konzert  haben wir vor 2000 Leuten gegeben und wir haben auf jedem Kontinent konzertiert. Nein, das stimmt nicht. Die Antarktis war noch nicht dabei, aber vielleicht hätten ja die Pinguine Lust. In nächster Zeit stehen noch zwei Projekte an, die wir gerne umsetzen möchten: Impressionist Season – ein Programm, das sich mit Ravel, Debussy, Satie, Piazzolla und Boulanger beschäftigt. Und Abendmusik mit Werken von Buxtehude, Muffat, Pachelbel, Telemann und Bach. Beide Programme sind sehr besonders. Vor allem Arrangements des impressionistischen Programms sind sehr ungewöhnlich, da wir moderne und Renaissance-Blockflöten mischen.

 

Was denkt ihr, benötigt ein Blockflötenensemble, um erfolgreich zu sein? Reicht es aus, einfach nur gut zu spielen?

 

Es ist nie genug, einfach nur gut zu spielen. Ich glaube, dass wir alle Leute kennen, die ihr Instrument perfekt beherrschen, aber nicht erfolgreich auf dem Musikmarkt sind.

 

Natürlich müssen wir auch hervorragende Musiker und Musikerinnen sein, denn das ist unser wertvollstes Gut; aber es bedeutet nichts, wenn man dieses Gut nicht in andere Güter umwandeln kann, die das Interesse der Menschen wecken. Das erfordert Planung, Marketing, Produktion, Investition, den Umgang mit verschiedenen Menschen, das Erlernen anderer Sprachen, das Eingehen von Risiken, und das alles aus Spaß an der Sache. Am Ende nutzen wir die Musik, um Menschen zu verbinden. Musik ist der Weg, nicht das Ziel.

 

 

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