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Plädoyer für die Blockflöte – Abschied vom Blockflötenquartett BRISK nach 38 Jahren Inés Zimmermann im Gespräch mit Gründungsmitglied Bert Honig und Marjan Banis Porträts

Foto © Foppe Schut v. l. n. r.: Alide Verheij, Marjan Banis, Susanna Borsch und Bert Honig

 

 

Ines Zimmermann: Liebe Marjan, lieber Bert: Herzlichen Dank für euer letztes Programm, Plädoyer für ein Wunder, für das ihr den Schauspieler Hans Thissen eingeladen habt. Er bringt euer Publikum mit seinen Texten dazu, über die tiefere Bedeutung des Weihnachtswunders nachzudenken, die Komponisten und Texter seit Jahrhunderten zu emotionaler Weihnachtsmusik inspiriert hat. Als Ohrwurm erklingt das französische Weihnachtslied Une jeune fillette, eine wunderschöne Melodie, bei der sich viele Leser an die ergreifende Szene aus dem Film Die siebente Saite/Tous les matins du monde von 1991 erinnern, für den Jordi Savall die Musik gemacht hat. Und zufälligerweise steht hier in Marjans Musikzimmer auch eine Gambe.

 

Marjan Banis: Ja ich habe mit der Gambe als Hobby angefangen und benutze sie gerne bei meinen Schülervorspielen.

 

Zurück in das Jahr 1986. Wie fing alles an?

 

Bert Honig: Unser Ensemble wurde 1985 von Alide Verheij, Jantien Westerveld, Saskia Ouwehand und mir gegründet. Nach einem halben Jahr intensiver Proben gaben wir unser erstes Konzert am 2. Februar 1986 im Bachzaal in Amsterdam. Über den Ensemblenamen haben wir gemeinsam nachgedacht, letztlich hat uns BRISK am besten gefallen, weil wir damals Purcell und Locke gespielt haben und dieses Wort immer wieder als Spielanweisung auftauchte. Es bedeutet: lebhaft, wach und schnell. Wir fanden, dass das gut zu uns passte.

 

 

1986: Alide Verheij, Bert Honig, Saskia Ouwehand und Jantien Westerveld

 

Wie habt ihr euer Repertoire gefunden?

 

BH: In unserer Anfangszeit waren wir natürlich Fans von Loeki Stardust, ließen uns von ihnen inspirieren und haben auch gemeinsam Konzerte gespielt. Doch das Ziel, unsere eigene Identität zu entwickeln, erreichten wir mit speziell auf uns zugeschnittenen Programmen. Wichtig war uns auch die Zusammenarbeit mit anderen Instrumentalisten und Sängern, die Spezialisten für Alte und Neue Musik waren. Zusätzlich haben wir Schauspieler und Regisseure engagiert, die aus dem reinen Konzertformat eine Theatervorstellung machten.

Die Auswahl des Repertoires ist für uns ganz anders als beispielsweise für ein Streichquartett. Es gibt kein Standardrepertoire. Vieles wird erst in verschiedenen Besetzungen ausprobiert, bevor die bearbeitete endgültige Fassung entsteht. Für uns komponierte neue Musik und maßgeschneiderte Bearbeitungen aus dem gesamten Repertoire der Musikgeschichte machen den Charakter von BRISK aus.

Wer den Altersdurchschnitt des klassischen Konzertpublikums kennt, weiß, wie wichtig die Jugendarbeit ist. BRISK hat immer gerne für junges Publikum gespielt. Kinder, die noch nie in einem Konzertsaal waren, machten ihre erste Erfahrung mit klassischer Live-Musik mit uns. Kinder sind ein fröhliches, ein lebendiges Publikum. Mit ihnen lernt man, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen. Es gab Raum für Unerwartetes und Humor, wir konnten voneinander profitieren.

 

Benutzt ihr bewusst Texte und arbeitet zusammen mit Schauspielern, um die Programme dem Publikum leichter näher zu bringen, weil das ein klassische Musikprogramm auflockert?

 

MB: Nein, es war uns ein Bedürfnis, unsere Programme zu erweitern, selber zu schauspielern, Regisseure und Gäste einzuladen. Das hat unsere Arbeit sehr spannend gemacht und veränderte die Dynamik zwischen Ensemble und Publikum.

 

Bis Weihnachten 2023 ward ihr mit diesem Programm unterwegs. Nach 38 Jahren habt ihr euch entschlossen, aufzuhören. Wie fühlt sich das an?

 

Weil unser Publikum seit Januar 2023 wusste, dass wir am Ende des Jahres aufhören würden, wurde jedes Konzert zu einem kleinen Abschiedskonzert. Wir wollten, dass alle früh genug darüber Bescheid wussten. Das war eine gute Idee, weil unsere Fans Gelegenheit hatten, uns noch ein paarmal zu hören und uns ihre Wertschätzung spüren zu lassen. Nach den Konzerten gab es so spontane Reaktionen wie: Ihr könnt doch jetzt nicht aufhören, ich habe euch gerade erst entdeckt. Ein Veranstalter hatte im aktuellen Programmheft, alle von BRISK über die Jahre gespielten Konzertprogramme in einem Heftchen abgedruckt, ein anderer Veranstalter hatte eine Torte gebacken mit der Aufschrift „Brisk 38 Jahre“. Solche Reaktionen machen uns dankbar und ein wenig stolz.

 

Marjan, wie lange warst du bei BRISK?

 

Seit 1992, also 32 Jahre. Damals habe ich Saskia Ouwehand ersetzt, nach 18 Jahren ging Jantien aus dem Ensemble, für sie kam zuerst Saskia Coolen und nach weiteren 10 Jahren Susanna Borsch.

 

Erzähl uns ein wenig über deinen persönlichen Werdegang.

 

Wie mein Bruder habe ich in der Musikschule mit Blockflöte angefangen und bin allmählich und ganz selbstverständlich in die Blockflötenszene hineingewachsen. Wenn du merkst, du hast für etwas Talent, alle unterstützen und fördern dich, du kannst in netten Ensembles spielen und baust Freundschaften auf, dann machst du weiter. Im Anschluss an die Musikschule bin ich schließlich zu Walter van Hauwe an das Sweelinck Konservatorium Amsterdam gekommen, um so gut wie möglich spielen zu lernen und habe nicht ernsthaft darüber nachgedacht, was ich dann nach meinem Studium damit machen würde. Während meines Studiums hatte ich auch Unterricht bei Marijke Miessen (1953–2021), nach dem Studium bei Kees Boeke in Italien.

Als ich 1988 als 2. Diplom mein Konzertexamen bei Walter van Hauwe ablegte, fand ich die Zeit gekommen, meinen eigenen Weg zu gehen. Es ist seltsam, dass man nach einer schönen Studienzeit nicht mehr zum Konservatorium (heute Universität) zurückkehrt, selbst nicht, um bei den offenen Stunden zuzuhören. Eigentlich sehr schade. Aber offensichtlich hatte ich das Bedürfnis, um unabhängig davon zu arbeiten. Ich studierte Musikwissenschaft, habe zehn Jahre lang die Internationalen Blockflötentage von Utrecht, SONBU, organisiert, Kinder bekommen, in BRISK gespielt, Meisterklassen und Unterrichtsstunden gegeben.

Wie du weißt, hat die Niederländische Regierung seit den 90er Jahren die Zuschüsse für die Musikschulen nach und nach gestrichen. Die Musikschulen wurden langsam aber systematisch ausgehungert und 2005 kam für mich das Ende, als meine Musikschule in Bunnik alle Lehrer entließ.

 

Was gingen dir da für Gedanken durch den Kopf?

 

2005 war ich gerade zum dritten Mal Mutter geworden. Meine spontane Reaktion war: wenn die Gemeinde Bunnik kein Interesse hat, eine so erfolgreiche musikalische Einrichtung zu unterstützen, von der sie so viel profitiert hat, habe ich auch kein Interesse dort freiberuflich weiterzuarbeiten. Auf keinen Fall ohne meine geschätzten Kollegen, die weggingen.

Ich dachte: Lieber mache ich etwas anderes, gehe zum Beispiel zum Radio, oder benutze meine musikwissenschaftliche Ausbildung oder fange vielleicht eine neue Ausbildung an?

Gleichzeitig war ich natürlich viel mit BRISK unterwegs und brauchte eine Arbeit, die mir für die Konzerte und Proben Zeit ließ.

Aus heiterem Himmel bekam ich die Schüler von einer Kollegin, die in meinem Wohnort unterrichtet hatte und wegzog. Die Aussicht, keine lange Anfahrt mehr zu haben und Familie und Unterrichten an einem Ort zu vereinen, gab den Ausschlag, ja zu sagen.

 

Es ist wirklich traurig, dass die Niederlande von einem Land, dass die Alte-Musik-Bewegung in Europa seit den Anfang der 60er Jahre geprägt hat und durch die Breitenwirkung der Musikschularbeit so viel heimische Talente aufgebaut hat, inzwischen unter ferner liefen rangieren.

 

Darüber hatte ich gerade ein Gespräch mit Walter van Hauwe. Das Concertgebouworkest hatte ihn um eine Studie gebeten, um herauszufinden, warum seit längerer Zeit keine niederländischen Musiker zu den Probespielen kommen.

Die Zeiten haben sich seit dem Blockflöten-Boom in den 80er Jahren verändert. Wir haben in den Niederlanden gerade Wahlen hinter uns und die Parteien, die den Ton angeben, finden Musik und Kultur nicht wichtig. Wenn überhaupt, dann für großes Publikum und nicht für eine elitäre Minderheit.

Musikunterricht ist heutzutage keine Selbstverständlichkeit mehr. Die jetzige Elterngeneration ist ohne subventionierten Musikunterricht aufgewachsen. Ohne diesen Erfahrungshintergrund sind sie weniger bereit, ihre Kinder zum Instrumentalunterricht anzumelden. Und so bleiben viele musikalische Talent unentdeckt, was ich als eine große Verarmung empfinde.

 

In den Niederlanden wurde früher Blockflöte verpflichtend im Klassenverband unterrichtet. Heute nicht mehr. Was ist deine Meinung dazu?

 

Es ist gut, dass die Verpflichtung weggefallen ist. Die Generation Niederländer, die mit diesem Klassenunterricht aufgewachsen ist, haben die Blockflöte nicht immer in guter Erinnerung. Das ist natürlich verständlich, wenn sie die Blockflöte nur von dieser Seite kennengelernt haben. Die euphorische Aufbruchstimmung, die uns Hoffnung machte, die Blockflöte als ebenbürtiges Instrument neben allen anderen zu etablieren, hat sich nicht vollständig realisieren lassen.

 

Die Gleichstellung der Blockflöte fand nicht statt?

 

Sicherlich hat sich einiges verändert, aber das Image der Blockflöte in der breiten Öffentlichkeit könnte etwas aufgewertet werden. Ehrlich gesagt macht es mir immer noch etwas aus, wenn die Blockflöte unterschätzt wird. Wenn du dich in deinem Beruf als Blockflötist regelmäßig rechtfertigen musst, liegt noch ein Stück des Weges vor dir.

Auch als Mitglied eines so bekannten Ensembles erfahre ich, dass immer noch viel Aufbauarbeit zu leisten ist und dass ein Blockflöten-Quartett nicht den gleichen Stellenwert wie ein Streichquartett hat, wir sitzen nach wie vor in einer Nische, aber in einer sehr schönen Nische.

Innerhalb unseres Segments sind wir voll akzeptiert und unser Publikum schätzt uns sehr und ist traurig, dass wir aufhören. Gleichzeitig kamen nach jedem Konzert Leute auf uns zu, die sich vorher nicht vorstellen konnten, dass die Blockflöte ein Instrument wie alle anderen auch ist. Bei jedem Konzert, über 30 Jahre lang.

 

Und was ist Deine Corona- Erfahrung?

 

Ich dachte, das geht vorüber, aber hoffentlich passiert es nicht all zu oft, denn wenn so ein Konzertausschuss ein, zwei Jahre nicht zusammenkommt, verlieren die Mitglieder vielleicht die Lust, weiterzumachen. Nach Corona kam die Energiekrise: plötzlich war es zu teuer die Kirche zu heizen. Und so kommt eins zum anderen, was wir erst eine Weile nach Corona wirklich gemerkt haben. Aber dass wir aufgehört haben, hat nichts mit Corona zu tun.

 

Bist du eine bessere Lehrerin, weil du auch regelmäßig auftrittst?

 

Ja, ich glaube schon. Ich denke, es ist eine schöne Balance, bei der sich Spielen und Unterrichten gegenseitig inspirieren. Und natürlich ist es wunderbar, mit all der Erfahrung, die man in der Praxis gesammelt hat, Ensembles zu coachen. Alle meine Fähigkeiten als Berufsmusiker und vor allem der wunderschöne Klang der Blockflöte fließen in einer Unterrichtssituation zusammen, ganz gleich auf welchem Niveau ich unterrichte. Meine eigene Liebe und Bindung zum Instrument motiviert und stimuliert die Schüler.

 

Kannst du dir etwas anderes vorstellen mit dem du die letzten 50 Jahre auch hättest verbringen können?

 

(MB überlegt und lacht) Nein, Musik ist mein Medium, mit dem und durch das ich mich mitteile.

 

Vielen Dank für das Gespräch und allen Ensemblemitgliedern viel Erfolg mit neuen Projekten!

 

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