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Der Wechsel zwischen den verschiedenen Instrumenten und Stilepochen bleibt auf jeden Fall spannend und herausfordernd für mich! Karl Kaiser im Gespräch mit Daniela Lieb Porträts

 

Karl Kaiser: Liebe Daniela, nachdem du schon viele Jahre im Freiburger Barockorchester gespielt hattest, wurdest du vor inzwischen fast 8 Jahren zur Soloflötistin gewählt. Daneben spielst du im Concentus Musicus Wien und vielen anderen Ensembles. Und seit 2 Jahren bist du Professorin für Historische Querflöten an der Musikhochschule Frankfurt und unterrichtest Traverso an der Musikhochschule Freiburg. Hast du eine spezielle Strategie, diese vielen, extrem anspruchsvollen Aufgaben anzugehen und zu bewältigen?

 

Daniela Lieb: Zum Einen sehe ich das ganz pragmatisch. Ich wohne in der Nähe von Frankfurt und unterrichte 2–3 Tage die Woche an der Musikhochschule Frankfurt. Zudem pendle ich häufig für Projekte mit dem Freiburger Barockorchester nach Freiburg, das lässt sich gut mit dem Unterricht an der Musikhochschule Freiburg verbinden.

 

Ich brauchte eine gewisse „Eingewöhnungszeit“, um zu lernen, meine Kräfte einzuteilen. Es erfordert eine gute Vorarbeit und Planung. Die Semester haben zwar einen klar begrenzten Zeitrahmen, aber durch Tourneen muss ich doch hin- und wieder meine Unterrichtstage verlegen. Dazu kommen noch administrative Arbeiten und einige andere Verpflichtungen, die ihre Zeit in Anspruch nehmen! Ich möchte aber sagen, dass mich diese Aufgaben sehr erfüllen und ich bin dankbar, dies alles machen zu dürfen.

 

Welchen musikalischen Hintergrund haben deine Studierenden tendenziell? Wo willst du sie hinbringen? Wie gehst du konzeptionell und methodisch vor und wie siehst du ihre Chancen am „Markt“?

 

Viele Studierende haben vorher moderne Querflöte oder auch Blockflöte studiert und möchten sich gern ein Zweitinstrument aneignen bzw. sich in die historische Spielpraxis einarbeiten, um auf dem Markt bestehen zu können und auch mehr Chancen zu haben.

 

Ich sehe meine Aufgabe als Lehrende darin, ihnen in den (momentan 4) Semestern des Aufbaustudienganges Historische Interpretationspraxis einen guten Überblick über die verschiedenen Stile und Epochen zu geben und ihnen die Grundlagen des Traversospiels auf Ein- und Mehrklappenflöte zu vermitteln.

 

Das bedeutet für mich, in jedem der Semester einen Schwerpunkt zu bieten, beispielsweise die Stile aufzugreifen (französisch, italienisch etc.). Oft bleibt nicht die Zeit, um auch das Spiel der Mehrklappenflöte zu vertiefen. Natürlich muss ich auf den individuellen und persönlichen Stand und Ausgangspunkt der Studierenden eingehen. Ich versuche, sie dort abzuholen und im Bezug auf Technik, Ton, spezielle Zungenartikulation und historisches Verzieren usw. zu coachen.

 

Kammermusik, Ensemblespiel und auch Coaching bei Bühnenpräsenz und Orchesterstellenspiel sind für mich ein wichtiger Teil im Studium geworden, den ich meiner Klasse gerne anbiete. In vielen Ensembles werden heutzutage ein Probespiel oder Aufnahmen verlangt, mit denen sich die Flötisten und Flötistinnen bewerben müssen. Ich glaube, es ist viel schwieriger geworden, auf dem heutigen Musikmarkt zu bestehen! Auch durch Corona hat sich die Lage verschärft und ist hürdenreicher geworden als noch vor 15 bis 20 Jahren. Meiner Meinung nach sollte man heute Vielfältigkeit und Phantasiereichtum mitbringen. Allem voran sollte natürlich das technische Know-how vorhanden sein!

 

Bei der sogenannten Alten Musik spielte ja immer das Studium der Quellen neben der instrumentalen Praxis eine erhebliche Rolle. Nun hat sich das Repertoire in den letzten 15 Jahren ja enorm ins 19. Jahrhundert ausgeweitet. Und sicher ist auch die Verfügbarkeit von Informationen im Internet ein entscheidender Punkt, der die Welt der Alten Musik erheblich verändert hat. Wie sind Praxis und Recherche heute vereinbar? Trennen sich diese Bereiche nach deiner Wahrnehmung zunehmend?

 

Früher war es erheblich schwieriger, an Quellen und Manuskripte zu kommen. Der/die Interessierte musste dafür noch in Archive oder Bibliotheken reisen, um seine Recherchen zu tätigen. Mit dem Internet ist das sehr viel einfacher und unkomplizierter geworden. Das Material kann heute relativ einfach über frei zugängliche Datenbanken gesucht werden. IMSLP (International Music Score Library Project) oder RISM (Repertoire International des Sources Musicales) sind beispielsweise solche Online-Kataloge. Diese Sammlungen und Kataloge werden ständig erweitert und es gibt meiner Meinung nach auch immer mehr Spezialisten, die sich ausschließlich um dieses Segment kümmern.

 

Ich denke, dadurch entsteht auch eine größere Trennung zwischen Musizierenden und Forschenden. Speziell für das 19. Jahrhundert sind die Verfügbarkeiten an Quellen leider noch lange nicht so gut ausgebaut wie für das 17. und 18. Jahrhundert.

 

Wie nimmst du dein Repertoire in Kammermusik und Orchester wahr? Hat sich da in den letzten 20 Jahren ein signifikanter Wandel ereignet?

 

Nach meiner Wahrnehmung verändert sich gerade sehr viel in der historisch informierten Kammermusik- und Orchesterlandschaft. Die Literatur weitet sich mehr und mehr aus. Standen vor etwa 20 Jahren noch hauptsächlich barocke Kompositionen oder auch der Empfindsame Stil auf dem Konzertprogramm, sind es heute vermehrt klassische Sinfonien, auch viele Opern aus der Zeit der Klassik und in den letzten Jahren zunehmend romantische/spätromantische Werke, die auf nachgebautem und/oder originalem Instrumentarium aufgeführt werden.

 

Als Flötist bzw. Flötistin und Musiker muss man heute mittlerweile eine ganze Palette an Instrumenten besitzen und beherrschen, um die Literatur spielen zu können. Unterschiedliche Stimmtonhöhen, Tonumfang und auch technisch hohe Anforderungen (man denke beispielsweise an Kompositionen von Mendelssohn, Bruckner oder auch Verdi) verlangen dem Ausführenden einiges ab.

 

Auch in der Kammermusik formieren sich immer mehr Ensembles, die sich auf die „späten“ Epochen spezialisieren.

 

Wie ist es für dich, wenn du von der Hotteterre-Flöte bei Charpentier über die spätbarocke Traversflöten, die Klappenflöten bis zur frühen Böhmflöte und den entsprechenden Piccoli alle Flöteninstrumenten auf höchstem Niveau spielen musst? Hast du eine entsprechende Übestrategie? Und gibt es bei dir eine favorisierte Stilepoche mit entsprechendem Instrument?

 

Der Wechsel zwischen den verschiedenen Instrumenten und Stilepochen bleibt auf jeden Fall spannend und herausfordernd für mich! In meiner momentanen Situation mit den vielen Arbeitsfeldern ist es nicht leicht, noch die nötige Zeit und Energie zu finden, um jede Epoche und das dazugehörige Instrument durchweg „warm“ zu halten.

 

Ich habe mit der Zeit eine gute Übetechnik für mich entwickelt, um schnell und effektiv auf ein angemessenes Niveau zu kommen. Auch kann ich behaupten, dass mir das Vorbereiten mit der klassischen Flöte oder auch das Piccolo-Üben leicht von der Hand gehen.

 

Bei tiefer französischer Stimmung gerate ich persönlich an meine körperlichen Grenzen, da die Flöten länger sind und damit auch die Grifflöcher größere Abstände haben. Das bringt die Handgelenke und Finger auf Spannung. Dort will die Übezeit gut eingeteilt werden, um Schmerzen und Entzündungen vorzubeugen.

 

Eine „Lieblingsepoche“ gibt es für mich eigentlich nicht; für mich sollte immer eine gute Mischung aus dem Repertoire zwischen 1600 und 1900 bestehen – ich möchte auf nichts verzichten und freue mich auf alles, was ich spielen darf und jedes Jahrhundert hat für mich seinen besonderen Reiz.

 

Es ist allgemein zu beobachten, dass die sogenannten modernen Orchester stilistisch ungemein „aufgeholt“ haben. Das Chamber Orchestra of Europe z. B. spielt seit der Zusammenarbeit mit Harnoncourt die Musik des späten 18. Jahrhunderts und der Romantik vom Geiste her sehr ähnlich wie die Originalinstrument-Orchester. Die Grenzen zwischen modernen und historisch orientierten Orchestern ist unscharf geworden. Siehst du weiterhin ein Alleinstellungsmerkmal der Orchester mit Originalinstrumenten? Wo geht die Reise hin?

 

Wo die Reise hingeht, ist eine gute und zugleich schwierige Frage! Ich persönlich glaube, dass wir auf Originalinstrumenten Spielende sozusagen immer auch eine Nische für ein ganz spezielles Publikum sind. Es ist richtig, dass schon viele „moderne“ Orchester vermehrt an der historischen Spielpraxis orientiert sind, und ich finde das auch sehr gut. Dennoch macht es einen Unterschied im Klang und auch in der Artikulation und Phrasierung, ob ich auf modernen oder historischen Instrumenten musiziere.

 

Wichtig ist, dass wir „Alten-Musik-Menschen“ nicht den Anschluss verlieren und auf hohem Niveau konzertieren, trotz der aufwändiger zu spielenden Instrumente. Und wir sollten auch das Publikum immer darüber aufklären, was uns besonders macht.

 

Gibt es einen Punkt, der dir in der Musikausübung neben der Lehre und dem Konzertbetrieb in besonderem Maße am Herzen liegt?

 

Ich möchte an dieser Stelle einen für mich sehr, sehr wichtigen Punkt nennen: Education- und Jugendarbeit gehören zu unseren sehr wichtigen Aufgaben, damit wir auch in Zukunft ein Publikum in den Konzertsälen haben, die sich für unsere Art des Musikmachens begeistern.

 

Liebe Daniela, ganz herzlichen Dank für das Gespräch und alle guten Wünsche für dich und deine musikalischen Tätigkeiten.

 

 

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