Bsp. 1: J. S. Bach: Sonate E-Dur BWV 1035, 1. Satz
Aus diesem Beispiel erhellt vor allem zweierlei:
1) der kompositorische „Rohbau“ entspricht den im Hochbarock allgemein üblichen „Versatzstücken“ und „Klischees“ hochbarock-galanter Musik, wie sie R. O. Gjerdingen in seinem Buch Music in the galant style so treffend beschrieben und mit einprägsamen Namen belegt hat:
der „Meyer“ zu Beginn mit anschließendem „Prinner“, die charakteristischen Kadenzmodelle, der „Fonte“, der „Monte“ etc., etc.
2) Die ausnotierten willkürlichem Manieren entsprechen in ihrer Formelhaftigkeit und quasi-motivischen Verwendung in hohem Maße den von Johann Joachim Quantz in seiner Flötenschule beschriebenen und in einem „Muster-Adagio“ im musikalischen Zusammenhang demonstrierten Verwendung.
All dies deutet darauf hin, dass J. S. Bach sich dem galanten Geschmack des Berliner Hofes und des Königs, soweit es ihm ohne Verbiegungen möglich war, hat nähern wollen, wobei wir trotz der ungesicherten Überlieferung der E-Dur Sonate einmal davon ausgehen, dass tatsächlich J. S. Bach der Komponist dieses Werks war und dass er es anlässlich eines Besuchs 1741 bei seinem Sohn Carl Philipp Emanuel in Potsdam dem Kammerherrn Michael Gabriel Fredersdorff, der ebenso wie sein König Flöte spielte, überreicht hat – sicher in der Absicht, den Hof ihm gegenüber günstig zu stimmen.
Dieser Beitrag möchte den Ansatz der „Entkleidung“ fortschreiben in dem Sinne, dass zahlreiche Sätze in der Epoche nicht nur durch die Hinzufügung von wesentlichen und willkürlichen Manieren ausgestaltet sind, sondern in Gänze dem Prinzip einer Variation (oder terminologisch besser: eines „Doubles“) entsprechen, ohne dass das diesem Double zugrunde liegende Thema jemals erklungen wäre.
Francesco Barsanti
Um sich dem Sachverhalt schrittweise zu nähern, betrachten wir zunächst (wie auch im Beitrag über die „Manieren“) ein Beispiel aus den Blockflötensonaten Francesco Barsantis – in diesem Falle seiner F-Dur-Sonate für Blockflöte.
Wir kennen nur recht wenige Beispiele für Variationenfolgen, in denen die schrittweise Entwicklung von Veränderungen derart methodisch vorgeführt wird – vor allem deshalb, weil das Thema, ein äußerst simples Menuett, wirklich fast nur in seiner „bis auf die Knochen“ entkleideten Grundsubstanz präsentiert wird. Somit erleben wir anschaulich dessen Metamorphose in verschiedene, fortschreitend virtuosere „Doublierungen“: nach einer Rubato-Version (auch Quantz zeigt in Tab. X, Fig.4e ein Beispiel für diese Art von „Veränderung“) durch Einführung größerer Intervalle und zunehmend schnellerer Figuren. Festzuhalten ist für die weitere Betrachtung, dass die eingeführten Spielfiguren kontinuierlich während der gesamten jeweiligen Variation durchgeführt werden und ihnen damit ihr charakteristisches Gesicht geben.
Man könnte bemerken, dass hier zwei bei anderen Gelegenheiten häufig angewandte Variationsmuster fehlen: das durchgehender Triolisierung und das der Minore-Variante.