2. Zur Geschichte der Verwandlung der traditionellen polyvarianten Flöte in ein Konzertinstrument.
Die Geschichte der Verwandlung der traditionellen Blockflöte in ein chromatisches Konzertinstrument, dessen Unterricht von der Musikschule bis zur Musikhochschule reicht, ist mit den Initiativen dreier Personen verbunden – Mykhailo Timofiiv, Dmytro Demintschuk und Myroslaw Kortschynskyj.
Die Idee, eine diatonische traditionelle Flöte in eine chromatische zu verwandeln, stammt von Mykhailo Timofiiv (geb. 1944), einem virtuosen Volksmusiker und Forscher der traditionellen karpatischen Musikkultur, der verschiedene Karpaten-Blasinstrumente spielt, dessen Lieblingsinstrument aber die Frilka in „a“ ist.1 Es war die Frilka mit ihrer Molltonleiter, die zum „Versuchslabor“ der Chromatisierung wurde, und 1964 erschien die erste chromatische Frilka, der nur die Griffe zur Erzeugung des Fis fehlten. Das Ziel dieses ehrgeizigen Unterfangens war der Wunsch, ein Instrument für das virtuose Spiel in allen Tonarten zu haben. Dmytro Demintschuk (1942–2010) − ein ukrainischer Musiker, Instrumentenbauer und Inhaber von mehreren Patenten, u. a. für die chromatischen Flöte – übernahm erfolgreich die Idee der chromatischen Griffweise auf traditionellen Blasinstrumenten. 1980 ließ er sein erstes chromatisches Instrument, die Längsflöte, patentieren, nach der er noch sieben weitere verschiedene traditionelle Instrumente entwarf und patentieren ließ. Laut den Worten des Instrumentenbauers wollte er erreichen, was vor ihm noch niemand geschafft hatte: „Eine chromatische Blockflöte, die in allen Tonarten leicht und meisterhaft gespielt werden konnte“.2
Zunächst war die Sopilka ein Objekt des Interesses für Instrumentenbauer, die von der Leidenschaft für Erfindungen, Durchbrüche und der Idee begeistert waren, etwas völlig Neues zu schaffen. Jedoch spielte Myroslaw Kortschynskyj – ein wahrer Ästhet auf diesem Instrument – eine entscheidende Rolle bei der Transformation der Sopilka vom ethnischen Umfeld in den Bereich der schriftlich festgehaltenen, kompositorischen und künstlerischen Musikliteratur.
Myroslaw Kortschynskyj (1941–2021), ein herausragender ukrainischer Komponist, hinterließ einen unvergesslichen Eindruck in der ukrainischen Kultur als Gründer der professionellen akademischen Schule für das Spielen auf der chromatischen Sopilka. Seine innovativen Tätigkeiten brachten die Ästhetik des europäischen Instrumentalklangs in das ukrainische musikalische Erbe ein und schufen einen neuen, edlen Klang für die ukrainische Längsflöte. Die Sopilka als nationale ukrainische Idee und Symbol stieß auf erheblichen Widerstand des sowjetischen Regimes, das Menschen, die nationale kulturelle Werte propagierten, stark unterdrückte. Kortschynskyj, der trotz zahlreicher Repressionen nicht aufgab, arbeitete weiterhin entschlossen an seiner Idee. Die Eröffnung der ersten spezialisierten Sopilka-Klasse an der Lemberger Nationalen M. Lyssenko-Musikhochschule in der Ukraine war der Höhepunkt seiner Bemühungen (1990). Seine künstlerische Leistung und Innovation veränderten für immer die Wahrnehmung der Sopilka und verwandelten sie von einem traditionellen Hirteninstrument zu einem eleganten Konzertinstrument, das die Weltmusikkultur bereichert.
Solche Ideen waren jedoch nicht einzigartig, sondern eher symptomatisch für die Musikkultur der Ukraine und einiger anderer Republiken der ehemaligen UdSSR im 20. Jahrhundert. Das Verständnis des Phänomens der Akademisierung ukrainischer Instrumente traditionellen Ursprungs erfordert die Darstellung eines etwas breiteren historischen Kontextes.
Die Kultur der Kiewer Rus (historische Ukraine, 9.–13. Jahrhundert) war das Ergebnis sowohl innerer Prozesse als auch solcher, die von außen inspiriert wurden. Während sie sich aufgrund lokaler Einflüsse entwickelte, nahm sie gleichzeitig die reichen Errungenschaften des byzantinischen Reiches und über dessen Vermittlung auch die Früchte des europäischen Erbes sowie der östlichen Kultur auf. Ihr eigenes, unverwechselbares musikalisches Gesicht fand seinen Ausdruck vor allem in der Vokalmusik und der Schaffung einer originären kirchlichen Tradition. Hier sei an das Verbot der Verwendung jeglicher Musikinstrumente in der Kirche sowie das orthodoxe Dogma, das die Lobpreisung Gottes ausschließlich durch die menschliche Stimme vorschreibt, erinnert.
Vielleicht liegt gerade darin einer der Gründe, warum der instrumentale Teil der ukrainischen Musikkultur (das betrifft nicht die traditionelle Volksmusikkultur, reich an autochtonem Instrumentarium und eigenen Gattungen), sowohl im Sinne des Instrumentariums als auch der Kompositionsgattungen, vollständig fremdländische Errungenschaften übernommen hat (haupsächlich aus Westeuropa). Und obwohl die Rolle von Musikinstrumenten, insbesondere Flöten, im Laufe der Zeit und infolge der Änderung der Haltung der orthodoxen Kirche zu diesem Thema bedeutender wird, dominiert weiterhin die Tendenz zur Übernahme.
Es sollte daher nicht überraschen, dass die Sopilka, obwohl ursprünglich ein Hirteninstrument, im Laufe der Jahrhunderte nicht in den städtischen Musiktraditionen Fuß fassen konnte und unter den zunehmend bedeutenden Fremdeinflüssen an Bedeutung verlor – zunächst durch den Einfluss des byzantinischen Kulturkreises und später auch durch andere europäische Kulturen. Dies mag paradox erscheinen, aber gerade die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts mit ihrem dynamischen politischen, sozialen und kulturellen Leben bot eine historische Chance für die Wiederbelebung und Entwicklung vieler Bereiche der ukrainischen Kultur, einschließlich der Musikinstrumente.
Versuche der Akademisierung volkstümlicher Musikinstrumente werden bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts verzeichnet. Diese wurden von Musikern aus Charkiw unternommen: H. Chotkewycz (Bandura) und W. Komarenko (Domra) sowie M. Helis aus Kiew (Mandoline, Bajan, Gitarre, Konzertina). In den 1930er Jahren begannen die ersten Rekonstruktionen von Instrumenten zur Vereinheitlichung ihrer Stimmung.
Die Idee, verschiedene volkstümliche Flöten zu einem einzigen Standardinstrument zu synthetisieren, entstand aus einem natürlichen Bedürfnis und fiel auf einen günstigen kulturellen Boden (wenn auch nicht ohne Diskussionen) zur Zeit der Entstehung der ersten Orchester ukrainischer Volksinstrumente.
Als erster formulierte und veröffentlichte diese Idee der ukrainische Musikinstrumentenbauer Iwan Sklar (1906–1970). Ein Zitat aus seinem ersten Lehrbuch Geschenk für Sopilka-Spieler (1968) kann als Credo der gesamten zukünftigen Tätigkeit der Enthusiasten dieses Instruments betrachtet werden: „Das Ziel dieses Buches besteht darin, den Standard und die Identität der Griffweise zu verbreiten, die Aufführungsmöglichkeiten der Sopilka-Gruppe in Volksorchestern zu erweitern, die Grundlage zu schaffen, auf der eine Schule für das Sopilka-Spiel entstehen sollte, aber das wichtigste Ziel ist die Ausbildung von Ausführenden […] auf diesem wunderbaren Volksinstrument.“
Iwan Sklars Absichten wurden innerhalb der nächsten zwei Jahre verwirklicht: 1970 erfand der schon erwähnte Dmytro Demintschuk die chromatische Sopilka, also ein Holzblasinstrument mit zehn Löchern, das als chromatische Längsflöte patentiert wurde (1980).3 Seine Konstruktion ist einzigartig: unter den klappenlosen Flöteninstrumenten ist die Demintschuk-Sopilka bis heute der einzige chromatische Typ (das stufenweise Öffnen der nächsten Öffnung ermöglicht die Erzeugung einer chromatischen Skala, s. Abb. 3). Zu den besonderen Merkmalen, die sie von der europäischen Blockflöte unterscheiden, gehören die intuitive Griffweise, die umfangreicheren Klangmöglichkeiten, der voluminöse, wärmere Ton und die breitere dynamische Skala. Derzeit hat diese Konstruktion noch lange nicht ihre Möglichkeiten erschöpft und kann weiterhin ein Feld für Experimente sein.