Hier wechselt Händel für vier Noten vom gewöhnlichen in den französischen Violinschlüssel (mit g1 auf der untersten Linie):16
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Abb.: Thomas Hudson (1701–1779): Georg Friedrich Händel
I
Mit dem Autograph der „Fitzwilliam“-Sonate in G-Dur (HWV 358) hat Händel der Nachwelt ein Rätsel hinterlassen, das trotz aller Bemühungen bisher nicht befriedigend gelöst werden konnte. Es geht dabei einerseits um die Frage, für welches Soloinstrument die Sonate bestimmt ist, andererseits um den Notentext und speziell um vier Noten im vorletzten Takt des Schlusssatzes. Eine besondere Schwierigkeit besteht darin, dass die beiden Fragen so eng miteinander zusammenhängen, dass die eine nicht ohne die andere zu beantworten ist.
Das Autograph der Sonate, das zu den Schätzen des Fitzwilliam-Museums in Cambridge gehört,1 stammt aus Händels früher italienischer Schaffensperiode um 1707–1709.2 Es ist Händels Erstniederschrift. Das Notenbild zeigt Spuren großer Eile; die Aufzeichnung ist teilweise außerordentlich flüchtig und auch nicht frei von Fehlern und Unklarheiten. Ein Werktitel fehlt ebenso wie Tempobezeichnungen für die einzelnen Sätze, vor allem aber fehlen Besetzungsangaben.
Der alte Musikalienkatalog des Fitzwilliam-Museums von J. A. Fuller-Maitland und A. H. Mann (1893) hatte die Sonate noch dem Cembalo zugeschrieben.3 Dabei liegt auf der Hand, dass es sich um Musik für ein Melodieinstrument und Generalbass handelt. Nur für welches Melodieinstrument – daran scheiden sich die Geister seit vielen Jahren.
Zwei Sichtweisen stehen sich gegenüber: Prominentester Vertreter der einen Seite ist der Händel-Forscher Terence Best (1929–2024). In einem Aufsatz über „Händels Solosonaten“ aus dem Jahre 1977 vermerkt er kurz und entschieden, die Violine sei „das einzig mögliche Soloinstrument“.4 Diesen Standpunkt hat er auch später vertreten, so 1982 in seiner Ausgabe der Solosonaten Händels in der Hallischen Händel-Ausgabe (HHA)5 und 2002 in der daraus hervorgegangenen praktischen Ausgabe der Violinsonaten bei Bärenreiter, wenngleich hier mit der Modifikation, dass es sich vielleicht auch „um eine Art Violino piccolo“ gehandelt haben könne.6 David Lasocki hat sich 1980 in einem Aufsatz über Händels Holzbläser-Sonaten der Festlegung auf die Violine angeschlossen,7 ebenso Bernd Baselt 1984 in Band 3 des Händel-Werkverzeichnisses (HWV).8 Nicht ganz so entschieden zeigt sich Siegbert Rampe in seinem Handbuch Händels Instrumentalmusik (2009). Er behandelt die Sonate zwar als Werk für „Violine und Continuo“, diskutiert andererseits aber auch Alternativen und plädiert am Ende – freilich wenig plausibel – für eine dreisaitige Tanzmeistergeige (Pochette) mit der tiefsten Saite g1.9
Die andere Sichtweise geht zurück auf die Erstausgabe der Sonate, die ich 1974 im Hänssler-Verlag Neuhausen-Stuttgart als dritte der so genannten „Fitzwilliam-Sonaten“ für Altblockflöte und Generalbass vorgelegt habe.10 Meine Zuweisung an die Altblockflöte erfolgte ausdrücklich unter dem Vorbehalt, dass es sich dabei um „eine vorläufige und mehr praktische Lösung des Problems“ handle, und in der Absicht, die Besetzungsfrage auch für andere, womöglich plausiblere Lösungen offenzuhalten. Im Vorwort zog ich auch bereits als mögliche Alternative eine Blockflöte in g1 in Betracht, ohne allerdings näher darauf einzugehen. Diesen Gedanken habe ich erst 1981 in einem in dieser Zeitschrift veröffentlichten Aufsatz weiter ausgeführt und mich dabei speziell auf die 1677 von Bartolomeo Bismantova unter dem Namen „Flauto italiano“ beschriebene Blockflöte dieser Stimmung bezogen.11 1990 machte sich Jean-Claude Veilhan diese These zu eigen und gab die Sonate in Transposition nach F-Dur – und damit grifftechnisch der Darstellung auf dem Flauto italiano entsprechend – bei Leduc in Paris heraus.12 2019 schlossen sich Michael Schneider und Panagiotis Linakis mit Band II ihrer Gesamtausgabe der Blockflötensonaten Händels an.13 Hier ist die Sonate sowohl in der Originaltonart G-Dur als auch in Transposition nach F-Dur wiedergegeben.
II
Hauptkriterium für die Bestimmung des von Händel vorgesehenen Soloinstruments ist der Ambitus des Parts. Der notierte Umfang reicht von g1 bis e4. Das lässt zunächst an die Violine denken; denn der Spitzenton e4 ist allein für sie, aber für keines der gängigen Blasinstrumente, die auch das g1 spielen können, erreichbar. Gegen die Violine spricht allerdings der untere Grenzton g1.14 Denn dass Händel eine Violinsonate geschrieben hätte, in der die G-Saite nicht berührt wird, kann man bedenkenlos ausschließen. Die Untergrenze g1 lässt eher an ein Blasinstrument denken, also etwa eine Blockflöte entsprechender Lage. Freilich wurde solchen Überlegungen mit einem gewissen Recht entgegengehalten, dass der erste Satz mit seinen langen Sechzehntelketten für Bläser wenig geeignet sei, da er dem Spieler kaum Atempausen biete.15 In der Tat ist der Part auf einem Blasinstrument nur mit langem Atem und einer ausgefeilten Atemtechnik zu bewältigen. Aber unspielbar, oder genauer gesagt „unblasbar“ ist er nicht.
Kritisch zu betrachten ist allerdings die Obergrenze des Parts. Der Spitzenton e4 ist auch für die Geige ungewöhnlich hoch. In seinen Violinsonaten führt Händel das Instrument nur bis e3, bleibt also eine Oktave darunter. Nun ist e4 auch keineswegs die Obergrenze des gesamten Soloparts, vielmehr beschränkt sich dieser mit Ausnahme nur eines Taktes auf den Ambitus g1–e3, liegt insoweit also nicht nur im üblichen Bereich der Violine, sondern auch der Blockflöte in f 1 oder g1. Die Stelle, an der der Ambitus bis e4 erweitert wird, ist der vorletzte Takt (T. 33) des dritten Satzes (siehe Faksimile Abb. 1).
Hier wechselt Händel für vier Noten vom gewöhnlichen in den französischen Violinschlüssel (mit g1 auf der untersten Linie):16
Die vier im französischen Violinschlüssel geschriebenen Noten lauten h3 c4 d4 e4. In der Einschätzung dieser Lesart gehen die Meinungen auseinander. Ich hatte in meinem Tibia-Aufsatz von 1981 in einer ausführlichen Analyse die Ansicht vertreten, dass Oberstimme und Bass nach den satztechnischen Normen der Zeit nicht zusammenpassen und der Oberstimmenverlauf von Händel so nicht intendiert sein könne.17 Best (der meinen Aufsatz damals offenbar noch nicht kannte) hat die Lesart des Autographs jedoch tongetreu in den 1982 erschienenen Gesamtausgabenband übernommen. Zusammen mit der dort beigefügten Generalbassaussetzung ergibt sich folgendes Bild:18
Händels Kadenzen sehen anders aus. Der pompöse Quartsextakkord und der (verkürzte) Dominant-Septnonenakkord lassen eher an das folgende Jahrhundert denken.
Ich war und bin mir bis heute sicher, dass die von Händel notierte Lesart nicht die von ihm gemeinte sein kann. Aus meiner Sicht war damals die einzig mögliche Erklärung, dass Händel sich bei der Notierung der extrem hohen Noten mit ihren vielen Hilfslinien geirrt habe. Sicher zu sein schien mir nur, dass Händel vier Töne habe notieren wollen, die in Sekundschritten eine Quarte aufwärts steigen. Durch probeweises Verschieben der Wendung nach unten ergaben sich zwei Alternativen: a3 h3 c4 d4 und e3 fis3 g3 a3. Beide sind satztechnisch zwar nicht unproblematisch,19 schienen mir aber damals als Kompromisslösungen denkbar. Ich entschied mich in meiner Ausgabe für die zweite Version.
Ich weiß nicht, inwieweit meine Lösung des Problems in der musikalischen Praxis Zustimmung gefunden hat. Von David Lasocki kam 1980 entschiedener Widerspruch (zu dem ich 1981 auch Stellung genommen habe).20 Bemerkenswert scheint mir, dass Best später in seiner praktischen Ausgabe bei Bärenreiter (2002) die um eine Sekunde abwärts verschobene Quartwendung in der Form a3 h3 c4 d4 als Alternative einbezogen hat.21
Jean-Claude Veilhan geht in seiner Ausgabe von 1990 einen Schritt weiter: Er verschiebt die Quartwendung nochmals ein Stück abwärts und gelangt zu einer dritten Lösung in Gestalt der Tonfolge a2 h2 c3 d3 (in seiner Ausgabe in F-Dur g2 a2 b2 c3). Die Lösung ist satztechnisch korrekt und musikalisch überzeugend, beruht allerdings auf einer spekulativen Fehlinterpretation des Quellenbefundes.22
III
Es ist bemerkenswert, wie sehr sich die Diskussion um das von Händel intendierte Soloinstrument auf technische Momente fokussiert hat, während ästhetische Aspekte weitgehend außer Acht blieben. Etwas von der Irritation, die von der extrem hohen Wendung am Schluss des dritten Satzes ausgeht, klingt an, wenn Michael Schneider im Vorwort seiner Ausgabe die Stelle als „aberwitzig hohe Passage“ bezeichnet.23 Für den Spieler stellt sie eine außerordentliche technische Herausforderung dar, für den Hörer aber bedeutet der abrupte Sprung ins höchste Register eine massive klangliche Überraschung.
Die ungewöhnliche Stelle verlangt nach einer Erklärung: Welche Absicht verfolgt Händel damit? Ich selbst hatte 1981 von „einer sehr direkt auf Applaus zielenden Schlußpointe“ gesprochen und für möglich gehalten, dass es Händel darum ging, mit der Sonate und ihrem besonderen Schluss „einen Virtuosen zu präsentieren“.24
Eine ganz andere, auf den ersten Blick überraschende Deutung stellt Terence Best im Vorwort seines Gesamtausgabenbandes von 1982 zur Diskussion, wenn er vermerkt: „Diese Stelle könnte auch ein Scherz gewesen sein“.25 Das ist gewiss keine naheliegende Erklärung; aber Händel verfügte bekanntlich über eine gute Portion Humor; ein Spaß dieser Art wäre ihm also durchaus zuzutrauen. Siegbert Rampe geht in seinem Handbuch (2009) sogar noch einen Schritt weiter. Nach seiner Vermutung „ist die gesamte Komposition und nicht allein die Passage in der Oberoktave als Scherz zu verstehen“.26 Nichts spricht allerdings ernstlich für eine solche Generalisierung. Bests Grundidee aber bleibt bedenkenswert.
IV
Hypothesen, die in die Jahre kommen, neigen dazu, Faktenrang anzunehmen, und sollten schon allein deshalb von Zeit zu Zeit überprüft werden. Meine Annahme von 1974, dass Händel sich bei den vier Noten im französischen Violinschlüssel mit ihren vielen Hilfslinien vertan und die Notenköpfe falsch positioniert habe, ist eine solche Hypothese. Aber wie realistisch ist sie eigentlich? Händel wechselt mit Bedacht vom gewöhnlichen in den französischen Violinschlüssel, schreibt dann Noten mit vier und fünf Hilfslinien und setzt schließlich die Notenköpfe aus Versehen eine Sekunde oder gar eine Quinte zu hoch? Es bleibt schwer vorstellbar.
Vielleicht wurde bisher zu wenig nach anderen Erklärungen Ausschau gehalten. Ein anderer Lösungsansatz liegt immerhin nahe: Geht man davon aus, dass Händel sich nicht geirrt und die Notenköpfe durchaus richtig gesetzt hat, so kommt als Fehlerursache nur die Schlüsselung in Frage. Und in der Tat: Der französische Violinschlüssel ist der falsche. Richtig wäre ein Altschlüssel. Die Stelle wäre dann so zu lesen:
In dieser Schlüsselung ergibt sich für die Oberstimme eine satztechnisch makellose Lösung. Die vier hohen Noten lauten dann a2 h2 c3 d3; in moderner Umschrift also:27
Musikalisch ist die Stelle bemerkenswert unauffällig; nur die Notation fällt aus dem Rahmen. Doch das ungewöhnliche Notenbild ist inszeniert: Zur Darstellung der vier Noten hätte es weder des französischen Violin- noch eines Altschlüssels bedurft. Das Notenbild bauscht die Stelle auf. Der französische Violinschlüssel und die vielen Hilfslinien täuschen eine besondere Höhe vor; in Wirklichkeit bleiben die vier Noten im normalen Ambitus. Der Schlüsselwechsel ist überflüssig. Dass er dennoch erfolgt, ist schwerlich einem Versehen Händels entsprungen, und auch die Wahl des Schlüssels selbst dürfte auf Absicht beruhen: Der unterdrückte, gleichsam nur virtuell wirksame Altschlüssel sorgt für die zur Verfremdung des Notenbildes erforderliche Häufung von Hilfslinien. Der scheinbar so plausibel gesetzte, aber trügerische französische Violinschlüssel lässt besonders hohe Töne erwarten und stiftet zugleich Verwirrung bei den Tonpositionen.
Die Stelle ist wohl kaum anders als mit Bests Hinweis auf Händels Humor zu deuten: Wir haben es offenbar mit einem Scherz zu tun, einem Spaß, mit dem Händel seinen Solisten zum Besten haben wollte, einem musikalischen Rätsel. Aufgabe des Spielers sollte es sein, den Knoten zu entwirren.
Des Rätsels Lösung ist freilich alles andere als spektakulär; es gibt keine Spitzentöne und keine auf Applaus zielende virtuose Schlusspointe. Und mit der „Entschlüsselung“ der Problemstelle verliert zugleich die Diskussion um das von Händel intendierte Soloinstrument an Brisanz: Der Ambitus der Stimme ist in Wirklichkeit durchgehend g1–e3. Die Frage nach der Bestimmung des Parts wird künftig davon auszugehen haben. Der Zuschreibung an die Blockflöte aber steht, so gesehen, nichts mehr im Wege.
Mag das Rätsel, soweit es Notentext und Besetzung betrifft, damit hinreichend gelöst sein, so wüsste man doch gerne mehr über die Hintergründe, über die Entstehung der Sonate und die anekdotischen Umstände, denen Händels ungewöhnlicher Scherz entsprungen ist. Doch über all dies ist die Zeit hinweggegangen. Zu dem einen Mosaikstein, der erhalten geblieben ist, weitere hinzuzudenken und daraus ein Bild zusammenzusetzen bleibt der Phantasie der Verehrer Händels und seiner Musik vorbehalten.*
Anmerkungen:
[1] Signatur Mus. 30. H. 11., MS. 261 (S. 61–64).
[2] Das Papier ist italienischer Herkunft. Die Niederschrift wird von T. Best aufgrund von Schrift- und Stilmerkmalen auf „ca. 1707“ datiert; vgl. seine Ausgabe, Neun Sonaten für ein Soloinstrument und Basso continuo, HHA IV/18, Leipzig 1982, S. IX und S. 50, sowie seinen Aufsatz „Handel’s chamber music. Sources, chronology and authenticity“ in: Early Music, November 1985, S. 476–499, dort S. 479.
[3] Catalogue of the Music in the Fitzwilliam Museum, London 1893, S. 200.
[4] T. Best, „Händels Solosonaten“, in: Händel-Jahrbuch, Jg. 23 (1977), S. 21–43, dort S. 25f.
[5] HHA IV/18 (wie Anm. 2), S. IX.
[6] T. Best in: Händel, Sämtliche Werke für Violine und Basso continuo, hrsg. von T. Best, Kassel 2002, Vorwort, S. VI. Ähnlich schon 1985 in dem Aufsatz „Handel’s chamber music“ (wie Anm. 2). S. 479.
[7] D. Lasocki, „Händels Sonaten für Holzbläser in neuem Licht“, in: Tibia 5, Heft 3/1980, S. 166–176, dort S. 175.
[8] Händel-Handbuch, Bd. 3: Thematisch-systematisches Verzeichnis: Instrumentalmusik, Pasticci und Fragmente, von B. Baselt, Leipzig 1986, S. 131 (HWV 358).
[9] S. Rampe, „Für Amateure und Virtuosen: Sonaten und Stücke für Violine (Viola da gamba)“, in: Händels Instrumentalmusik, hrsg. von S. Rampe (Händel-Handbuch, Bd. 5), Laaber 2009, S. 326–342, dort S. 330 bzw. 335ff.
[10] G. F. Händel, Fitzwilliam-Sonaten für Altblockflöte und Generalbaß, hrsg. von K. Hofmann, Heft 3: Sonate G-dur, Neuhausen-Stuttgart 1974 (Hänssler, seit 1992 bei Carus). – Meine Zählung als dritte „Fitzwilliam-Sonate“ weicht von derjenigen Thurston Darts ab, der in seiner Ausgabe der Fitzwilliam Sonatas, London (Schott) 1948, als „Sonata III“ die Sonate d-Moll HWV 367a in einer auf fünf Sätze verkürzten Version wiedergibt.
[11] K. Hofmann, „Zu Händels Fitzwilliam-Sonate in G-dur. Eine Replik“, in: Tibia 6, Heft 3/1981, S. 391–396; zu Bismantova S. 395.
[12] G.-F. Haendel, Sonate en sol majeur pour flûte à bec alto et basse continue, Transcription, hrsg. von J.-C. Veilhan, Paris (Alphonse Leduc) 1990.
[13] G. F. Händel, Die Sonaten für Blockflöte und Basso Continuo, Urtext-Edition in 4 Bänden, hrsg. von M. Schneider und P. Linakis, Bd. 3, Magdeburg (Edition Walhall) 2019.
[14] Die etwas angestrengt wirkende Umgehung des fis1 im vorletzten Takt des ersten Satzes lässt vermuten, dass der Ton nicht verfügbar war, womöglich weil das Instrument in der Tiefe nur bis g1 reichte.
[15] Rampe 2009 (wie Anm. 9), S. 330f.
[16] Händel setzt hier nach älterem Brauch nach Schlüsselwechsel das Tonartvorzeichen neu. Bei dem Kreuz nach dem französischen Violinschlüssel ist ihm ein Fehler unterlaufen: Es steht auf der obersten statt auf der zweitobersten Linie, also in Position a2 statt fis2.
[17] Hofmann (wie Anm. 11), S. 393. Auf dem dritten Taktviertel mit dem Basston d bildet das erste Achtel der Oberstimme, h3, als Teil eines Quartsextakkords einen Sextvorhalt zum Bass, der normalerweise durch einen Sekundschritt abwärts nach a3 aufgelöst würde, hier jedoch regelwidrig aufwärts zu dem Durchgangston c4 weitergeführt wird. Auf dem vierten Taktviertel mit dem Basston fis bildet das e4 eine Dissonanz (Septime), die regelwidrig durch eine Fortschreitung beider Stimmen in gerader Bewegung eingeführt wird und deren regelkonforme Auflösung durch einen Sekundschritt abwärts von e4 nach d4 unterbleibt.
[18] HHA IV/18, S. 5.
[19] Im ersten Fall ergibt sich zu Beginn eine verdeckte Quintparallele zum Bass. Die zweite Lösung ist satztechnisch nicht so „unbedenklich“, wie ich sie in meinem Tibia-Aufsatz von 1981 (siehe Anm. 11) eingeschätzt habe (S. 394): Sie beginnt regelwidrig mit einer in gerader Bewegung der beiden Stimmen erreichten, frei einsetzenden Dissonanz (None), die überdies ausnahmsweise durch einen Aufwärtsschritt der Oberstimme aufgelöst wird. Vergleichbare Fälle wird man bei Händel nicht leicht finden.
[20] Hofmann, wie Anm. 11.
[21] Best, Sämtliche Werke für Violine (wie Anm. 6), S. 5.
[22] Veilhan nimmt an, dass Händel aus einem unbekannten Grund (etwa wegen eines Wasserflecks auf dem Papier) den tiefer gelegenen Teil des Notensystems nicht beschriften konnte und deshalb nach oben auswich. Dabei habe er sich einer ergänzenden Notation bedient, bei der die Noten nicht wie sonst mit g1 auf der zweituntersten oder wie im angegebenen französischen Violinschlüssel auf der untersten Linie, sondern mit g1 auf der obersten Linie zu lesen sind. Diese Position des g1 habe Händel durch einen Markierungspunkt auf der obersten Linie angedeutet. In Wirklichkeit handelt es sich allerdings bei der vermeintlichen Markierung um das wegen des Schlüsselwechsels neu gesetzte Tonartvorzeichen, ein Kreuz, das Händel sehr klein geraten ist (ähnlich wie das nach dem vier Noten später wiederkehrenden gewöhnlichen Violinschlüssel) und das er überdies versehentlich eine Linie zu hoch gesetzt hat. – Im Ergebnis deckt sich Veilhans Lösung gleichwohl mit der von mir in Kap. IV vorgetragenen.
[23] Schneider (wie Anm. 13), Vorwort, S. 4.
[24] Hofmann (wie Anm. 11), S. 396.
[25] Best, HHA IV/18 (wie Anm. 2), S. IX. Best denkt bei seiner Vermutung – freilich wenig plausibel – an „eine kleine Rache an Corelli nach der berühmten Auseinandersetzung zwischen ihm und Händel während einer Probe von Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ (HWV 46a) 1707 in Rom. Der von Händels Biograph John Mainwaring (1760) geschilderte Zusammenstoß entzündete sich an der Ouverture des Oratoriums: Aus Unkenntnis des französischen Aufführungsstils gelang es Corelli nicht, Händels Vorstellungen gerecht zu werden. Händel wurde ungeduldig, entriss ihm die Geige und demonstrierte, wie bestimmte Stellen zu spielen seien. Für die schroffe Bloßstellung des mehr als dreißig Jahre älteren Corelli wäre eine Entschuldigung Händels angebracht gewesen; die von Best vermutete „kleine“, wenn auch scherzhafte Revanche dagegen wäre einem erneuten Fauxpas gleichgekommen. Immerhin hat Händel offenbar eingelenkt: Nach Mainwaring hat er die Ouverture durch eine Neufassung ersetzt, die auf die problematischen französischen Stilelemente verzichtete. Als die Erstfassung der Einleitung gilt die Ouverture B-Dur HWV 336. Vgl. die Kommentare zu HWV 46a und HWV 336 in: Händel-Handbuch, Bd. 2: Thematisch-systematisches Verzeichnis: Oratorische Werke, Vokale Kammermusik, Kirchenmusik von B. Baselt, Leipzig 1984, S. 35, sowie ebenda, Bd. 3 (wie Anm. 8), S. 105f.
[26] Rampe 2009 (wie Anm. 9), S. 337.
[27] Siehe oben Anm. 22.
* Der vorliegende Aufsatz entstand in Zusammenhang mit der Vorbereitung einer Neuausgabe der Sonate in der Originaltonart G-Dur und in Transposition nach F-Dur im Girolamo Musikverlag, Celle (Ed. Nr. G 12.055; in Vorb.).
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Klaus Hofmann, geboren(...)