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Susanne Fröhlich: UKAI Rezensionen

 

 

Susanne Fröhlich (Blockflöten), GENUIN classics, Leipzig 2025, 1 CD, GEN 2588

 

 

 

Die Blockflöte in Bestform

 

Der Blockflöte scheint es wirklich gut zu gehen. Das riesige Heer der Blockflötenspielenden von vor etwa 30 Jahren hat sich mittlerweile zu einer regelrechten Elitetruppe von Spezialistinnen und Spezialisten gelichtet. Und da das Bildungsniveau mit dieser Entwicklung Schritt gehalten hat, ist es nicht verwunderlich, dass das Niveau dieser Spezialisten heute so hoch ist wie nie zuvor. Vor allem dank ihrer eigenen Forschungen sind 6–7 Jahrhunderte sehr unterschiedlicher Literatur verfügbar geworden: Barock, Renaissance, Mittelalter und sogar noch früher, bis zurück ins 12. Jahrhundert. Aber auch die zeitlose Urkraft der Volksmusik bleibt ungebrochen populär. Zugleich werden immer mehr Komponistinnen und Komponisten zeitgenössischer Musik von darauf spezialisierten Spielerinnen und Spielern inspiriert, für die Blockflöte zu schreiben, sei es solo oder in gemischten Ensembles, im Musiktheater und nicht selten in Verbindung mit Elektronik. Aber auch Jazz- und Pop-Einflüsse sind mittlerweile keine Überraschung mehr. Und bei alledem können sie inzwischen unter rund 45 verschiedenen Blockflötentypen wählen. Dank der vielen Möglichkeiten können sich immer mehr Interpretinnen und Interpreten auf mehrere Epochen und Stile gleichzeitig konzentrieren und mit kreativen, kontroversen Programmen ihr Publikum immer wieder aufs Neue überraschen.

Alles in allem hat sich diese spektakuläre Entwicklung innerhalb von nur sechs Jahrzehnten vollzogen; eine beispiellose „Tour de Force“.

 

Eine dieser Spezialistinnen ist mit einem Bündel Blockflöten ins Studio gegangen, um den aktuellen Stand der Entwicklung zu demonstrieren. Es handelt sich um die neue CD UKAI von Susanne Fröhlich. Diese Interpretin hat sich innerhalb und außerhalb der Blockflötenszene einen Namen gemacht, u.a. als Verfechterin der sogenannten mehrklappigen Helder-Blockflöten, bei der die in der Regel klappenlose Blockflöte mit einem ausgeklügelten Klappensystem ausgestattet wurde.

Sie selbst schreibt im Booklet über ihre CD UKAI folgendes:

Auf diesem Album präsentiere ich die besondere Vielfalt der Blockflötenfamilie, einschließlich einiger neuer Blockflötenmodelle, an deren Entwicklungen ich teilweise selbst beteiligt war. Durch meine Auswahl an Stücken möchte ich Verbindungen zwischen archaischen und avantgardistischen Klängen, Tradition und Gegenwart schaffen. Ich kombiniere vertraute Töne mit neuen Spieltechniken und klanglicher Abstraktion, um eine andersartige und eigene musikalische Erfahrung zu ermöglichen.

 

Und genau das wird dem Hörer auch geboten: eine gut durchdachte Auswahl an Blockflötentypen, auf denen Susanne Fröhlich eine wirklich außergewöhnlich große Bandbreite an Blockflötenklängen zu zaubern vermag.

 

Schon im ersten Take, Hon Shirabe (Anonymus um 1600), tastet sie sich so nah an die japanische Shakuhachi heran, dass in vielen Momenten die einzigartige Klangwelt und extreme Dynamik dieses traditionellen Instruments mit großer Überzeugung getroffen wird. Wahrlich schön und ergreifend. Susanne spielt hier auf einem präparierten Rafi-Tenor von Francesco LiVirghi.

 

In den beiden stimmungsvollen Sätzen aus Markus Zahnhausens Jahreszeichen No. 3, hier gespielt auf einer Helder Evo Altblockflöte, werden im 2. und 3. Take die reichen Artikulationsmöglichkeiten der Blockflöte virtuos dargestellt.

 

Im 4. Take, The last leaf von Chaya Czernowin, unterstützt durch ein Mikrofon und ein Lautstärkepedal, werden Vierteltöne, Vibrati, Triller, Tremoli, Sputato-Techniken und der sehr große Tonumfang der Helder Evo Tenorblockflöte überzeugend dargeboten.

 

Mit Take 5, Shin Mukaiji (Anonymus ca. 1700), sind wir wieder in Japan. Und wieder schnuppern wir in das Shakuhachi-Repertoire hinein, aber diesmal wird nicht versucht, in der Nähe der Shakuhachi zu bleiben, sondern wir hören wirklich die Blockflöte selbst. Hier spielt Susanne noch einmal Francesco LiVirghis Rafi Tenor, aber dieses Mal unpräpariert.

 

Take 6: Die äußerst flexible Gesamtkomposition buriedwithdaisy von Gerriet Krishna Sharma und Susanne Fröhlich selbst führt uns in den unendlichen Kosmos der Elektronik und ist ein gutes Beispiel dafür, wie zwei grundverschiedene Klangerzeugungen zueinander gefunden haben. Susanne Fröhlich spielt hier auf einer Paetzold Subkontrabassblockflöte und wird dabei von einem omnidirektionalen Ikosaeder Lautsprecher und einem Subwoofer-Tower unterstützt, womit skulpturale Klanggebilde entwickelt werden, „... die nur durch die kompositorische Verschränkung dieser Instrumente möglich sind“. Kompliziert? Auf jeden Fall, aber mit einem absolut überzeugendem Ergebnis. Faszinierend von Anfang bis Ende. Lang? Nein, eher nicht lang genug. Und das ist gut so, denn Susanne selbst schreibt im Begleittext: „Auf diesem Album handelt es sich um eine Studioversion, die sich live als Konzertinstallation bis zu einer Stunde erstrecken kann.“ Fantastisch! Also macht es einfach!

 

Take 7 präsentiert eine zornige und quasi „unbeholfene“ Geschichte, gespielt auf einer Paetzold Kontrabassblockflöte. Sarah Nemtsov entführt uns mit IRA (2013) in den Berliner Hauptbahnhof, wo ein ständiger Geräuschpegel und eine sehr laute, unberechenbare „Klangkulisse“ sie zu dieser quasi improvisierten Gegenreaktion veranlassten.

 

Take 8 schließlich bringt uns zurück zu Markus Zahnhausen mit dem schönen 3. Satz Nachklang aus seiner Komposition Jahreszeichen No. 4 jetzt gespielt auf einer Denner Altblockflöte von Adrian Brown.

 

Ohne die anderen Aufnahmen schmälern zu wollen, haben vor allem die Takes 1, 4 und 6 den größten Eindruck auf mich gemacht. Und warum? Ganz einfach wegen der Schönheit der Musik und der absoluten Meisterschaft der Interpretin in Bezug auf Atemführung, Klang, Artikulation, Griffcharakteristik (die Blockflöte verfügt über Hunderte von verschiedenen Griffen, jeder mit einer einzigartigen Klangfarbe), und das alles auf einem außergewöhnlich und überwältigend hohen Niveau. Bravo!

 

Aber was mich selbst am meisten freut, auch als Blockflötist, ist, dass die Instrumente zu keinem Zeitpunkt forciert gespielt werden (außer in Sarah Nemtsovs IRA, aber da ist das auch gewollt). Alles, Dynamik, Artikulation, Fingertechnik, ist völlig unter Kontrolle und bleibt überall innerhalb der Grenzen dessen, was die jeweilige Blockflöte bewältigen kann. Hier ist es nicht die Spielerin, die dem Instrument ihren Willen aufzwingt, sondern das Instrument bietet der Spielerin seine spezifischen Möglichkeiten an. Wenn man also spielerisch mehr erreichen will, sollte man sich einfach eine andere Blockflöte besorgen, die einem genau das bietet. Auswahlmöglichkeiten gibt es genug. Susanne Fröhlich hat das hervorragend verstanden und dabei hält sie sich fern von jeder Form von Selbstdarstellung und Exaltiertheit. Einfach schlicht, ehrlich und bescheiden, im Dienste der Musik und der Blockflöte. Aber meiner Meinung nach kann sie auch gar nicht anders.

 

Letztendlich, was habe ich da eigentlich gehört?! Welche Botschaft könnte sich dahinter verbergen. Denn dass es sich nicht um eine wahllose Auflistung einzelner Stücke handelt, scheint mir klar zu sein. Aber was dann? Ist es vergleichbar mit einem ausgewogenen Menü der „Haute Cuisine“, inklusive der „Amuses“ zwischendurch? Oder wie eine barocke, 8-teilige Suite mit der bekannten „Wiedergutmachung“ als letztem Teil (wie z. B. die Badinerie in Bachs Orchestersuite Nr. 2, BWV 1067)? Oder eine Argumentation nach der „Ars Rhetorica“, wie sie einst von Aristoteles niedergeschrieben wurde?

 

Zumindest für mich fühlt sich das gesamte Programm wie eine zusammenhängende Geschichte, eine Kommunikation, eine Komposition an. Am besten hört man sich die CD in Gänze an, im Sessel, vor dem Kaminfeuer, bei geschlossener Tür, ausgeschaltetem Telefon, mit Kopfhörern auf dem Kopf und einem Glas Portwein in der Hand. Und dann einfach die schönsten Blockflötenklänge genießen. Und wenn es zu Ende ist, scheint man nicht einmal sein Glas Portwein ausgetrunken zu haben. Kurzum, eine CD, die man immer wieder neu entdecken kann, und morgen wieder, und übermorgen usw., usw.

Mein persönliches Fazit (wenn Sie mich fragen): In jeder Hinsicht brillant!

 

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