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Johann Sebastian Bach: Trio Sonata in C Major Rezensionen
for Alto Recorder, Violin & Basso continuo, reconstruction of the source for the Sonata in A major for Flute and Obbligato Harpsichord, BWV 1032, first publication worldwide, reconstructed and edited by Michael Marissen, BRA-São Paulo 2025, Instant Harmony, score and parts, available as a pdf, IH0034, www.instantharmony.net
I
Eine Triosonate für Blockflöte, Violine und Generalbass – von Johann Sebastian Bach? Eine Neuerscheinung in dieser Besetzung und unter diesem Komponistennamen kann der Aufmerksamkeit der Blockflötenszene sicher sein. Vielleicht dämpft das Wort „Reconstruction“ die erste Begeisterung ein wenig; doch der Vermerk „First publication worldwide“ weckt auf jeden Fall Neugier.
Ganz so sensationell freilich ist die Veröffentlichung nicht: Die Vorlage der Rekonstruktion ist die bekannte Querflötensonate mit obligatem Cembalo A-Dur BWV 1032, für die es, da im Autograph beim ersten Satz ein längerer Abschnitt fehlt, schon eine ganze Reihe von Rekonstruktionsversuchen gibt. Und die nun von Michael Marissen vorgelegte Rekonstruktion ist auch nicht die erste in Form einer Triosonate in C-Dur für Blockflöte, Violine und Continuo. Vielmehr liegt seit langem eine Rekonstruktion für ebendiese Besetzung im Druck vor, herausgegeben von Reinhard Gerlach unter dem Titel Concerto a tre C-Dur 1985 im Hänssler-Verlag Neuhausen Stuttgart (seit 1991 im Carus-Verlag Stuttgart). Doch Marissen geht neue Wege.
Beginnen wir bei der Quelle: Es ist das berühmte „Doppelautograph“, das unter der Signatur Mus. ms. Bach P 612 zu den Schätzen der Staatsbibliothek zu Berlin gehört (online unter Bach digital; Faksimileausgabe von H.-J. Schulze Leipzig 1979, Kassel 1980). Die Handschrift verdankt ihre spezielle Bezeichnung der Tatsache, dass sie zwei Instrumentalwerke unterschiedlicher Besetzung in einer besonderen Form der Aufzeichnung enthält, das Konzert für zwei Cembali c-Moll BWV 1062 und die Flötensonate A-Dur BWV 1032. Beide Werke sind in Partitur notiert und erscheinen gemeinsam auf Notenseiten mit 19–20 Systemen, wobei das Cembalokonzert jeweils die oberen 16 Systeme belegt, die Flötensonate aber bis zum Ende des Cembalokonzerts unten auf der Seite jeweils drei Systeme und erst danach (von T. 6 des langsamen Satzes an) das volle Papierformat (mit bis zu 23 Systemen) einnimmt. In Bachs Instrumentalmusik ist das ein Einzelfall; in seiner Vokalmusik dagegen finden sich solcherart „doppelstöckige“ Notenbilder häufiger, etwa in Kantatenpartituren, bei denen unterhalb des Eingangschors bereits das folgende Rezitativ oder die folgende Arie beginnt. Für eine Dirigierpartitur mag das praktisch und vor allem auch papiersparend gewesen sein. Für zwei Instrumentalwerke aber, die nichts miteinander zu tun haben, war es denkbar unpraktisch, zumal, wie sich zeigt, auf einer Doppelseite mit teils mehr als 20 Takten des Cembalokonzerts oben auf der Seite unten nur etwa acht Takte des Flötensonatensatzes Platz fanden und beim Spielen dementsprechend oft geblättert werden musste. Warum Bach diese Form der Aufzeichnung gewählt hat, bleibt ein Rätsel.
Ein zweites Rätsel, das offenbar mit dem ersten zusammenhängt, besteht in einem massiven Schaden, der der Handschrift zugefügt worden ist. Bei den Blättern 9–14 ist jeweils der unterste Teil in Form eines etwa 7 cm breiten Papierstreifens sauber abgeschnitten worden. Es fehlen damit etwa 40 Prozent des ersten Satzes. Das verbliebene Fragment endet mit T. 62, und auf Blatt 15 finden sich lediglich noch die beiden Schlusstakte. Das Merkwürdigste dabei ist, dass die Verstümmelung von Bach selbst vorgenommen oder zumindest von ihm selbst veranlasst worden sein dürfte, denn verschiedentlich hat er, wo beim Abschneiden der Papierstreifen einzelne Tieftöne im Bass des zweiten Cembalos verloren gegangen waren, deren Lesart durch die Beischrift von Tonbuchstaben wiederhergestellt.
Habent sua fata libelli – Bücher haben ihre Schicksale. Die Handschrift hätte noch einiges zu erzählen: Nach dem Tode Bachs zunächst im Besitz des Sohnes Carl Philipp Emanuel, dann in teils unbekanntem und mehrfach wechselndem Privatbesitz, fand sie erst gegen 1880 ihren endgültigen Platz in der damaligen Königlichen Bibliothek zu Berlin. Doch damit war ihre Odyssee nicht zu Ende: Im Zweiten Weltkrieg sicherheitshalber ausgelagert und längere Zeit in dem schlesischen Benediktinerkloster Grüssau (Krzeszów) aufbewahrt, wurde sie nach dem Krieg in die Universität Krakau überstellt und endlich 1977 in einem gemeinsamen Festakt der polnischen und der DDR-Regierung nach Berlin an die Deutsche Staatsbibliothek zurückgegeben. Die Neue Bach-Ausgabe hatte 1963 für den von H.-P. Schmitz betreuten Band VI/3 mit den Werken für Flöte bei der A-Dur-Sonate ohne das damals vermeintlich verschollene Autograph auskommen müssen und konnte daher auch keinen entscheidenden Beitrag zu den in der Folge diskutierten Forschungsfragen leisten. Für den Notentext griff Schmitz teils auf Band 9 der alten Gesamtausgabe (W. Rust, 1860), teils auf eine Ausgabe von K. Soldan (Edition Peters, 1939) zurück. Eine textkritische Ausgabe nach dem Autograph wurde 1997 von B. Kuijken bei Breitkopf & Härtel vorgelegt.
II
Die Forschungsdiskussion im engeren Sinne beginnt 1966 mit Hans Eppsteins Studien über J. S. Bachs Sonaten für ein Melodieinstrument und obligates Cembalo. Noch ohne Kenntnis des Autographs unterzog Eppstein die A-Dur-Sonate einer gründlichen Analyse und kam zu dem Schluss, dass sie auf eine Triosonate in der Originaltonart C-Dur zurückgehen dürfte, deren Oberstimmen für Querflöte und Violine bestimmt waren. Davon ausgehend, bestätigten und entwickelten in den 1980er Jahren Forscher wie Robert L. Marshall (1981), Alfred Dürr (1981) und vor allem Michael Marissen (1985), nun auf der Grundlage des Autographs, schrittweise das Bild einer Originalfassung in C-Dur für Altblockflöte, Violine und Continuo. Schreibversehen Bachs deuteten bei den Ecksätzen auf eine Transposition aus C-Dur, hielten sich aber zahlenmäßig in engen Grenzen; denn bei der angenommenen Besetzung dürfte die Flötenstimme in der Vorlage – wie bei Bach für die Blockflöte üblich – im französischen Violinschlüssel notiert gewesen sein, so dass die Noten bei der Umschrift in den gewöhnlichen Violinschlüssel für die Querflöte ihre Position im Fünfliniensystem beibehielten; ebenso blieb die diastematische Position der Noten in der Violinstimme bei der Umschrift in den Sopranschlüssel für den Cembalodiskant unverändert. Das Notenbild änderte sich also nur marginal.
1985 erschien die oben erwähnte Rekonstruktionsausgabe von Reinhard Gerlach. Im Vorwort äußert Gerlach sich ausführlich zur Wiederherstellung des fehlenden Teils des ersten Satzes. Wie in anderen Rekonstruktionsversuchen bereits erprobt, geht er davon aus, dass Bach die fehlenden ca. 46–48 Takte ausschließlich mit dem zuvor exponierten thematisch-motivischen Material bestritten habe. In diesem Sinne führt er den Satz von der Bruchstelle bei T. 62 an von a-Moll weiter nach d-Moll (in Anlehnung an T. 46ff.) und wiederholt abschließend den gesamten Eingangsteil T. 1–33, nun allerdings von F-Dur nach C-Dur modulierend.
Gerlachs formanalytischem Konzept steht bei Marissen ein neuer, dezidiert quellenphilologischer Ansatz gegenüber. Marissen fragt also nicht in erster Linie nach Bachs kompositorischem Denken und welche Fortführung des Satzes sich daraus für den fehlenden Abschnitt ergeben haben dürfte, sondern widmet sich den winzigen Spuren der Flötenstimme, die beim Beschnitt des Manuskripts von der Schere verschont geblieben waren. Es sind nur wenige Zeichen, die besonders hoch über dem Flötensystem standen, fast ausschließlich Haltebögen. Stark vereinfacht gesagt, besteht Marissens Verfahren darin, dass er versuchsweise die Melodieverläufe, die dafür in Frage kommen, den Stellen mit solchen verbliebenen Haltebögen unterlegt und anhand von Übereinstimmungen in der Bogensetzung herausfindet, welcher Melodieabschnitt hier in der abgeschnittenen Flötenstimme gestanden hat. Es versteht sich von selbst, dass dann weitere Beobachtungen und Überlegungen zur Anlage dieses Abschnitts hinzukommen.
Bei der Rekonstruktion der Vorlage für die unbeschädigt gebliebenen Teile des Fragments geht Marissen minutiös jeder Korrektur und vor allem auch jeder Unregelmäßigkeit im Schriftbild Bachs nach, die erkennen lässt, dass hier etwas gegenüber dem Originaltext verändert worden ist. Dem fallen beispielsweise alle Zweiunddreißigstelpaare, die zwischen zwei Sechzehntelnoten eingezwängt sind, als nachträgliche Zutaten Bachs zum Opfer. Es geht Marissen, wie schon der Untertitel seiner Ausgabe deutlich macht, nicht um ein Arrangement für die Praxis, sondern um die Rekonstruktion der Quelle, die Bach als Vorlage für die A-Dur-Sonate gedient hat. So gesehen ist sein Konzept durchaus schlüssig.
III
Die Rede war bisher von der Rekonstruktion des ersten Satzes. Im Blick auf den dritten Satz ist dem hier nichts hinzuzufügen. Beim zweiten Satz zeigt die A-Dur-Sonate eine Besonderheit, für die sich bisher keine plausible Erklärung hat finden lassen: Der Satz steht gegen alle Konvention nicht in der Paralleltonart fis-Moll, sondern in der Tonikavariante a-Moll. Nicht genug damit, endet er mit einem Halbschluss mit „phrygischer“ Kadenz auf einem E-Dur-Dreiklang, schließt also mit einer Formel, die für den folgenden Satz einen Beginn nicht in A-Dur, sondern in C-Dur erwarten lässt. Es ist die einzige Ausnahme dieser Art in Bachs gesamtem Instrumentalwerk. Der Sonderfall legt die Frage nahe, ob der Satz überhaupt zu jener postulierten Originalsonate in C-Dur gehört hat.
Tatsächlich hat der Satz seine eigene Vergangenheit. Er ist zusätzlich an einer anderen Stelle überliefert, nämlich in einem dreistimmigen „Concerto“ in C-Dur für Violine, Violoncello und Bass, das in einem ziemlich unprofessionellen Arrangement aus dem mittleren 18. Jahrhundert in der Stimmenhandschrift Mus. ms. Bach St 345 der Berliner Staatsbibliothek überliefert ist (Ausgabe von D. Hellmann 1965 bei Breitkopf & Härtel; der zweite Satz auch im Kritischen Bericht NBA VI/3). Und nun wird es kompliziert (und im Einzelnen am besten nachzulesen in meinem Aufsatz dazu im Bach-Jahrbuch 1999): Grundlage des Arrangements ist eine als solche nicht erhaltene Fassung der Orgelsonate Es-Dur BWV 525, bei der das nachmalige Largo der A-Dur-Flötensonate als Mittelsatz diente (bevor dieser für die Endfassung von BWV 525 durch einen anderen Satz ersetzt wurde). In dieser Fassung der Orgelsonate muss das Largo in c-Moll gestanden haben und gelangte von dort, da der Arrangeur die ganze Sonate eine kleine Terz abwärts nach C-Dur transponierte, nach a-Moll. Die tonartliche Übereinstimmung mit dem Mittelsatz der A-Dur-Flötensonate beruht also nicht auf einer direkten Beziehung zwischen den beiden a-Moll-Versionen, sondern auf Zufall.
Der Weg, auf dem der Satz in die A-Dur-Flötensonate gelangte, war ein anderer: Der Satz war ursprünglich – so meine These – nicht für Orgel bestimmt, sondern gehörte zusammen mit dem ersten und mutmaßlich auch dem dritten Satz der Orgelsonate zu einer Triosonate für Altblockflöte, Oboe und Continuo in B-Dur und stand dort in der Paralleltonart g-Moll. Die Triosonate wurde dann für Orgel übertragen; die Transkription stand zunächst in B-Dur und wurde später nach Es-Dur transponiert. In diesem Stadium wurde sie zur Vorlage für den Arrangeur des ominösen Trios der Handschrift St 345. Bachs Vorlage für den langsamen Satz der A-Dur-Sonate aber war der g-Moll-Satz der Triosonate oder ihrer frühesten, noch untransponierten Orgelfassung.
Die in dem C-Dur-Arrangement überlieferte Fassung des langsamen Satzes verkörpert, wie Marissen richtig sieht, im Vergleich zum Autograph der A-Dur-Fassung ein etwas älteres Stadium des Satzes. Marissen greift deshalb für seine Rekonstruktion auf diese Fassung zurück. Methodisch scheint mir dies nicht gerechtfertigt. Denn Marissens Ziel ist doch die Rekonstruktion der von Bach für die A-Dur-Sonate verwendeten Vorlage. Das aber war mit Sicherheit nicht die Fassung in a-Moll aus dem dubiosen Concerto-Arrangement der Handschrift St 345. Vielmehr hat Bach auf eine Fassung in g-Moll zurückgegriffen. Spuren der Transposition aus g-Moll haben sich im Autograph der A-Dur-Sonate erhalten in Form von zunächst eine Sekunde zu tief gesetzten, dann sogleich von Bach – meist durch Verdickung oder Verlängerung nach oben – korrigierten Notenköpfen. Man betrachte etwa die entsprechenden Korrekturen Bachs in T. 2 Basso (2.–3. Note), T. 3 Basso (4. Note), T. 8 Cembalo r. H. (10. Note), T. 18 Basso (2.–3. Note), T. 20 Flauto (3. Note), T. 23 Basso (1. Note), T. 24 Flauto (7. Note), T. 27 Flauto (1. Note). Marissen hält dem entgegen, dass doch auch eine ganze Reihe von Noten zu hoch gesetzt seien und man deshalb genau so gut auf eine Vorlage in h-Moll schließen könne (z. B. in T. 8 Basso, T. 9 Basso, T. 15 Flauto, T. 18 Basso, T. 23 Flauto, T. 25 Cembalo r. H. [Kustos], T. 27 Cembalo r. H.). Das trifft aber nicht zu. Zwar gibt es in der Tat einige Noten, die etwas hoch gesetzt sind, doch stehen sie nie so hoch, dass sie zu Lesefehlern Anlass geben könnten, und vor allem zeigen sie keine Spuren einer Korrektur (etwa durch Verdickung nach unten), waren also in Bachs Augen von vornherein korrekt und unmissverständlich positioniert. ‒ Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass die g-Moll-Fassung des langsamen Satzes, auf die Bach zurückgriff, damals ‒ um 1736 – auf demselben älteren Lesartenstand war wie die Vorlage in c-Moll, die dem Arrangeur des Concerto-Trios der Handschrift St 345 vorlag. Marissens schwer nachvollziehbare Bevorzugung der Fassung aus St 345 hat erhebliche Konsequenzen für Notenlesarten und für die Artikulation.
Auch abgesehen von den Lesartendetails des langsamen Satzes wird man bezweifeln müssen, dass man mit Marissens Rekonstruktion die Urfassung der A-Dur-Sonate in Händen hält. Bei den beiden Ecksätzen braucht man wohl keine Bedenken zu haben. Aber der langsame Satz zieht außer mit den Spuren einer Vorlage in g-Moll noch weiteren Verdacht auf sich: Es bleibt unverständlich, dass er schon bei Bach gleichsam in der falschen Tonart und am Schluss mit der falschen Überleitung erscheint, so als ob er zu Ecksätzen nicht in A-, sondern in C-Dur gehörte. Was könnte Bach gehindert haben, ihn für die Querflötensonate in die Paralleltonart fis-Moll zu transponieren? Im Übrigen dürfte die Herkunft des langsamen Satzes aus einem anderen Werk bedeuten, dass die Ecksätze der Flötensonate ursprünglich mit einem anderen Satz verbunden waren (den Bach aber womöglich schon anderweitig „verbraucht“ hatte?). Es bleiben offene Fragen.
IV
In Vater Bachs Haus sind viele Wohnungen: Ein Blick in einige der Rekonstruktionen des ersten Satzes, die – überwiegend für die Querflötenfassung – im Druck vorliegen, zeigt eine Fülle von Möglichkeiten, die thematisch-motivische Substanz des Fragments mit kompositorischer Phantasie zu entfalten. Marissen geht hier jedoch einen neuen, strikt quellenphilologischen Weg. Das Ergebnis bestätigt seinen methodischen Ansatz: Es ist musikalisch überzeugend und verdient allen Beifall der „Kenner und Liebhaber“. Man wird Marissen zustimmen können, wenn er im Vorwort vermerkt, seine Rekonstruktion sei zumindest weniger problematisch als andere bisher vorliegende; und es berührt sympathisch wenn er die Hoffnung ausspricht, dass seine Ausgabe womöglich helfen könne, den Weg zu einer besseren Lösung zu bahnen. Gerade beim ersten Satz freilich wird das, wie er wohl selbst ahnt, so schnell nicht passieren.
Für Spieler der Triosonate lohnt im Übrigen auch der Blick auf den unbeschädigt erhaltenen Teil des ersten Satzes in der A-Dur-Fassung. Wer keinen strikt antiquarischen Kurs verficht, mag hier wohl auch das eine oder andere der Rekonstruktion zum Opfer gefallene Zweiunddreißigstelpaar wieder aufnehmen und der Motorik der Sechzehntelpassagen auf diese Weise etwas mehr Geschmeidigkeit verleihen.
Die Tonartenfolge des rekonstruierten Trios ist, analog zu derjenigen der A-Dur-Sonate, C-Dur – c-Moll – C-Dur. Bei Marissens streng quellenkritischen Ansatz verbot sich eine Normalisierung, also die Wiedergabe des langsamen Satzes in der Tonikaparallele a-Moll. Es ist schade, dass damit die formale Schwäche in der Satzfolge der A-Dur-Fassung in die Praxis der C-Dur Fassung weitergetragen wird. Es wäre zu begrüßen gewesen, wenn Marissen in einem Anhang das Largo zusätzlich in a-Moll abgedruckt hätte (ggf. mit Stimmtausch und hochoktavierter Mittelstimme wie in meiner Ausgabe der Triosonate B-Dur gleicher Besetzung bei Breitkopf & Härtel).
Im dritten Satz hat die Blockflöte zweimal das problematische fis3 zu spielen, einmal, in T. 115, im Durchgang zwischen g3 und e3, aber kurz davor in T. 113 sehr exponiert in der Folge c3 fis3 c3. Musikalisch ist das plausibel, spieltechnisch aber heikel. Man möchte bezweifeln, dass das so in einer Urfassung in C-Dur gestanden hat, und dass nicht Bach, wie an einigen Stellen des Vierten Brandenburgischen Konzerts, in die Unteroktave ausgewichen ist (siehe meinen Beitrag zum Bach-Jahrbuch 2019). Marissen verteidigt die Stelle zwar in seinem Vorwort und verweist auf die Möglichkeit, den Ton durch Aufstützen des Instruments zu erzielen (ein zu Bachs Zeit wohl noch unbekannter Trick), aber eine Alternative in kleinen Noten (etwa Tiefoktavierung von T. 111, 2. Note bis T. 116, 3. Note) wäre sicher vielen Spielern willkommen.
Ein besonderes Lob ist schließlich auszusprechen für die Ausstattung der Ausgabe, für das gründliche Vorwort, das mustergültige Notenbild in Partitur und Stimmen und für die gut in der Hand liegende Generalbassaussetzung von Jeffrey Grossman.
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