Vor zehn Jahren wurde in der TIBIA 3/2015 eine Liste der damals bekannten Kompositionen für Flauto d’amore veröffentlicht.1 Diese geht zurück auf einen grundlegenden Beitrag zur Geschichte des Flauto d’amore aus dem Jahr 19832, auf Untersuchungen zur Wiener Tradition des Flauto d’amore von 19993 und eine Geschichte der Querflöte in B von 2006/2008.4 Inzwischen wurden wesentliche Werke mit Flauto d’amore neu entdeckt und weitere Erstausgaben bisher ungedruckter Stücke verlegt. Zur Einführung in die Liste der Aktualisierungen sollen hier die beiden ersten Absätze des TIBIA-Artikels von 2015 in Erinnerung gerufen werden:
Der Begriff Flauto d’amore wurde zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Analogie zur Oboe d’amore geprägt.5 Er bezeichnet eine einklappige Traversflöte, die – wie die Oboe d’amore – eine kleine Terz tiefer gestimmt ist als das Normalinstrument. Als Sechsfingergriff, zugleich als tiefster Ton des Flauto d’amore, erklang also das kleine h. Die Notation erfolgte transponierend in A. Unter dem Einfluss der regionalen Stimmtonunterschiede wurden nach 1730 auch tiefe Querflöten anderer Stimmung Flauto d’amore genannt, insbesondere Instrumente in As (Sechsfingergriff b) und B (Sechsfingergriff c1). Im 19. Jahrhundert findet sich die Bezeichnung Flauto d’amore gelegentlich sogar bei Partien, die in G transponierend notiert sind.
Nach der Erfindung der konischen Boehmflöte im Jahr 1832 wurden die neuen Bauprinzipien auch auf Flauti d’amore in A und As übertragen. Theobald Boehms zylindrisches Flötenmodell von 1847 bildete schon ein Jahr später die Grundlage für seine Deckelklappenflöte oder Flute d’Amour in B-Stimmung. Als Boehm dann 1858 seine zylindrische Altflöte in G präsentierte, wurde sogar dieses Instrument gelegentlich Flauto d’amore genannt.
Im Folgenden werden die Aktualisierungen in die 2015 angelegten Kategorien eingeordnet. Ergänzungen, Korrekturen und neu aufgenommene Titel erscheinen in grüner Schrift. Das Transpositionsverhältnis des Flauto d’amore wird nach der Instrumentenbezeichnung in Klammern angegeben. Originale Titel und Besetzungsangaben erscheinen in Kursivschrift. Die Herausgeber der Neuausgaben werden nach den Titeln in Klammern genannt. Die Fundorte der Quellen werden mit den RISM-Bibliothekssigeln6 zitiert.
Ergänzungen zum
Repertoire für den konischen Flauto d’amore in B, A und As und die große Quartflöte (Flauto d’amore) in G
Anonymus (um 1750)
Solo Flauto D’Amour E-Dur. Fl d’am (A), Bc;
D-RH Ms. 988, Depositum D-MÜu; Edition.Papier.Klänge (Rosenberger, Schäfer)
Bisher war keine einzige Solosonate bekannt, die ausdrücklich für Flauto d’amore bestimmt ist. Die anonym überlieferte Sonate für Flauto d’amore und Generalbass stellt deshalb eine wichtige Ergänzung des Repertoires dar. Sie ist mehr dem galanten als dem empfindsamen Stil zuzuordnen und vermutlich nach 1750 entstanden. Die Erstausgabe ist online unter www.papierklaenge.de zu finden.
Drechsler, Joseph (1782–1852)
Trio Es-Dur (1817), 2 Fl, Fl d’am (As). Autograph A-Wst Hs 39.008; Erstausgabe für 2 Flöten und Altquerflöte (G): NotaBene-Edition, Schwäbisch Hall 2025, NB 1.021 (Thalheimer)
Aus dem Nachlass des Wiener Magistratsrats und Flötendilettanten Alois von Gulielmo (1763–1823) erschienen zwei Trios von Joseph Drechsler und Giuseppe Richter als Erstausgaben. Beide sind original für 2 Flöten und Flauto d’amore in As bestimmt. Von letzterer verlangt Drechsler in der Tiefe das notierte d1, klingend b0, Richter sogar das h0, klingend g0. Die Ausgaben sind für die Altflöte in G eingerichtet.
Gänsbacher, Johann (1778–1844)
Adagio con espressione A-Dur. Fl d’am (A), Va, Git.
A-Wn Suppl. Mus 3489
Der gebürtige Südtiroler Johann Gänsbacher war Vorgänger von Joseph Drechsler als Domkapellmeister in Wien. Mit seinem Adagio-Satz lieferte er den einzigen bekannten Beitrag zum reichhaltigen Repertoire für Flöte, Viola und Gitarre, der für Flauto d’amore bestimmt ist.
Gianella, Luigi (1778–1817)
- Eight | Favorite National | Melodies, | Arranged & Composed for | A Third, Concert, | & B Tenor Flute or Bassoon op. 46, Stimmendruck Monzani & Hill, London, zwischen 1807 und 1813. I-Nc MS 2636
- A | Third Set | of | Favorite Airs | Arranged & Composed | for A Third, Concert, & B. Tenor. | Flute op. 54, Stimmendruck Monzani & Hill, London, zwischen 1808 und 1819. I-Nc MS 2643
Je ein Satz aus op. 46 und op. 54 ediert als:
Luigi Gianella: Two Favorite Airs für zwei Querflöten und Altquerflöte (G); NotaBene-Edition, Schwäbisch Hall 2019, NB 1.015 (Thalheimer)
Abb. 1: Das originale Instrumentarium zu den Favorite Airs von Luigi Gianella: Third Flute (Terzflöte in Es), Concert Flute und B flat Tenor Flute (Flauto d’amore in As), gebaut von Tebaldo Monzani, London 1813–1819
Graupner, Christoph (1683–1760)
Concerto G-Dur Fl d’am (A), Ob d’am, Va d’am, 2 Vl, Va, Bc (GWV 333). D-DS Mus. ms. 411/13; KatGro 1432-G; Edition Floeno (Wehlte)
Mercadante, Saverio (1795–1870)
[Septett] Flauto in F.ut (Terzflöte in Es), Flauto in D.re (Querflöte in C), Flauto d’amore (As), Corno Inglese (F), Corno Bassetto (F), Fagotto, Armonica (+ Corno Bassetto secondo); I-OS Mss. Mus. B 4820
Dieses mehrsätzige Werk ist in einer Handschrift ohne Titelblatt und ohne Nennung des Komponisten überliefert. Durch Handschriftenvergleich konnte es Saverio Mercadante zugewiesen werden. – Mit Armonica ist vermutlich eine Glasharmonika oder ein Glasschalenspiel gemeint. Der Spieler dieses Instruments hatte auch den Part des zweiten Bassetthorns zu übernehmen. – Das Zusammenspiel von drei Flöten, die zueinander im Terzabstand stehen, war bisher hauptsächlich durch die Trios von Luigi Gianella belegt.
Richter, Giuseppe
Trio in C | a | Flauto Imo | Flauto IIdo | Flauto d’Amore | No. 5, 2 Fl, Fl d’am (As). A-HE VI a 4;
Erstausgabe für 2 Flöten und Altquerflöte (G): NotaBene-Edition, Schwäbisch Hall 2025, NB 1.020 (Thalheimer)
Abb. 2: Beginn der autographen Flauto d’amore-Stimme des Trios C-Dur von Giuseppe Richter. Die Stimme ist transponierend in As notiert.
Toeschi, Carl Joseph (1731–1788)
Ballettmusik „Mars et Vénus” (1766), einzelne Sätze mit 2 Fl und 2 Fl d’am (A);
D-B KHM 5455; A-R Editions, Recent Researches in the Music of the Classical Era, Vol. 47, Middleton 1997 (Baker)
Woelfl, Joseph (1773–1812)
Quartett D-Dur, 3 Fl, Fl d’am (A), bisher unter „Anonymus“ genannt; A-HE VI c 2;
jetzt ediert als Divertimento WoO 17 von Joseph Woelfl für 3 Flöten und Altquerflöte (G): Apollon Musikoffizin Bonn 2018, AM 11.102 (Dechant)
Woelfl, Joseph (1773–1812)
Quattro G-Dur WoO 16, 4 Fl bzw. 3 Fl, Fl d’am (A). A-HE VI c 2 (ohne Autorenangabe). Erstausgabe für 3 Flöten und Altquerflöte (G): Apollon Musikoffizin Bonn 2017, AM 11.101 (Dechant)
In Alois von Gulielmos großer Sammlung von Flötenquartetten sind auch zwei Werke ohne Komponistenangabe enthalten. Eines in D-Dur ist für drei Flöten und Flauto d’amore bestimmt, eines in G-Dur für vier normalgestimmte Flöten. Die Handschrift des G-Dur-Quartetts wurde von Margit Haider-Dechant als Autograph von Joseph Woelfl erkannt, das D-Dur-Quartett ebenfalls Woelfl zugeschrieben.7 Letzteres war bisher unter „Anonymus“ gelistet und liegt jetzt unter „Woelfl“ in einer Ausgabe von Hermann Dechant gedruckt vor. Die Partitur enthält die Stimme für den Flauto d’amore transponierend in A notiert, die Einzelstimme ist für Altflöte in G eingerichtet. – Das Woelfl-Autograph des Quartetts in G-Dur ist für vier Flöten in Normalstimmung gedacht. Wie Hermann Dechant im Vorwort der Erstausgabe schlüssig erklärt, muss die Partie der Flöte IV ursprünglich für Flauto d’amore bestimmt gewesen sein. Deshalb wird dieses Quartett in die Flauto d’amore-Repertoireliste aufgenommen. Die Ausgabe von Hermann Dechant enthält außer der originalen Partie für Flauto traverso 4to eine rekonstruierte Flauto d’amore-Stimme, transponierend notiert für Altflöte in G.
Ergänzungen zu den
Zeitgenössischen Bearbeitungen für den konischen Flauto d’amore in B, A und As und die große Quartflöte (Flauto d’amore) in G
Cramer, Johann Baptist (1771–1858) / Woelfl, Joseph (1773–1812)
Andante von Cramer et Polonoise di Sig. Wölfl Es-Dur, bearb. von Joseph Baptist de Palm, 2 Fl, 2 Fl d’am (As). A-HE VI c 2.
Das von Joseph Baptist de Palm zusammengestellte und bearbeitete Pasticcio nach Sätzen von Johann Baptist Cramer und Joseph Woelfl liegt in Heiligenkreuz in zwei Stimmensätzen (C 8 und C 90) vor. Die Vorlage für die Bearbeitung der Polonoise von Joseph Woelfl konnte jetzt ermittelt werden: Es handelt sich um den 2. Satz der Sonate pour Pianoforte, Violon ou Flûte D-Dur op. 27/3, erstmals erschienen 1803 in Paris.8
Händel, Georg Friedrich (1685–1759)
Andante (Arie „God is a constant”) E-Dur aus dem Anthem „In the Lord put I my trust” (HWV 247/3) für Fl, Fl d’am (A), Streicher, Bc. S-Skma OA-R
Der unbekannte Bearbeiter hat Händels Arie von F-Dur nach E-Dur transponiert und die Singstimme durch einen Flauto d’amore ersetzt.
Ergänzung zum
Repertoire für zylindrische Boehmflöte in B und A
Koechlin, Charles (1867–1950)
Trois Divertissements op. 91 (1923/1924) für une flûte ordinaire, une Fl. grave en Sib, une flûte grave en Sol. Autograph F-Pn Ms. 15882; Erstausgabe Paris 1939: pour 3 Flûtes dont une Flûte grave en Sol ou 2 Flûtes et une Clarinette Sib; revidierter Nachdruck der Erstausgabe: NotaBene-Edition, Schwäbisch Hall 2021, NB 1.017 (Thalheimer)
Abb. 3: Autograph von Charles Koechlin, Trois Divertissements op. 91, Ende des ersten Satzes.
Die Trois Divertissements op. 91 von Charles Koechlin gehören zu den wenigen Werken des 20. Jahrhunderts, in denen original eine Böhmflöte in B vorgesehen ist. Weil Theobald Böhm in den Jahren 1848 bis 1851 solche Instrumente gebaut und Flûte d’Amour genannt hat, wird Koechlins Trio dem Flauto d’amore-Repertoire zugerechnet. Allerdings hat der Komponist die entsprechende Partie schon im Erstdruck von 1939 einer normalen C-Flöte übertragen. Der anhand des Autographs revidierte Nachdruck der Erstausgabe enthält deshalb keine transponierend notierte Stimme für B-Flöte.
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Zusammen mit den hier genannten Titeln umfasst das Repertoire für Flauto d’amore etwa 200 Werke. Von den erhaltenen Kompositionen und Bearbeitungen ist etwa ein Viertel für den einklappigen Flauto d’amore bestimmt, drei Viertel für die mehrklappige Variante. Allein das Repertoire des Kreises um Alois von Gulielmo umfasst etwa 100 Titel mit Flauto d’amore in As.
Für heutige Aufführungen der barocken Kompositionen bieten mehrere Flötenbauer Kopien einklappiger Flauti d’amore an. Viele der späteren Werke sind damit allerdings nicht ausführbar, weil sie mehrklappige Instrumente mit c1- oder h0-Fuß voraussetzen. Solange Kopien solcher Instrumente nicht erhältlich sind, können die entsprechenden Werke nur mit Originalinstrumenten oder – zusammen mit sogenannten „modernen“ Instrumenten – mit Böhm-Altflöten aufgeführt werden.
Anmerkungen:
[1] Peter Thalheimer: Das Repertoire für Flauto d’amore; in: Tibia 40 (2015), S. 483–495.
[2] Peter Thalheimer: Flauto d’amore, B flat Tenor Flute und „tiefe Quartflöte“. Ein Beitrag zur Geschichte der tiefen Querflöten im 18. und 19. Jahrhundert; in: Tibia 8 (1983), S. 334–342.
[3] Peter Thalheimer: Die Wiener Tradition des Flauto d’amore. Repertoire und Instrumentarium; in: Scripta Artium No. 1, Festschrift Rainer Weber, Leipzig 1999, S. 91–100.
[4] Peter Thalheimer: Von „Zwerchpfeifen ... um einen Ton niederer“ über Händels „Traversa bassa“ zur „B flat Flute“. Versuch einer Geschichte der Querflöte in B; in: Geschichte, Bauweise und Spieltechnik der Querflöte. 27. Musikinstrumentenbau-Symposium Michaelstein, 6. bis 8. Oktober 2006. Hrsg. von Boje E. Hans Schmuhl in Verbindung mit Monika Lustig (Michaelsteiner Konferenzberichte, Band 74); Augsburg und Michaelstein 2008, S. 181–192.
[5] Anthony Baines: Woodwind Instruments and their History; London 21962, S. 304; Werner Schulze: Die Oboe d’amore und die Zahl 5; in: Oboe – Fagott. Das Magazin für Doppelrohrblattbläser 6/3 (1985), S. 21–24.
[6] www.rism.info/de/rism-bibliothekssigel.html
[7] Margit Haider-Dechant: Joseph Woelfl. Verzeichnis seiner Werke; Wien 2011, S. 238–240.
[8] Vgl. Margit Haider-Dechant, S. 86–88, dort jedoch ohne Hinweis auf die Bearbeitung von Joseph Baptist de Palm.
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