Abb. 1: Violino I-Stimme der Kantate 1123/46, Choral: Danket ihr Augen. Ein Wust von Vorschlägen.
Wenn wir über den Einsatz von Holzblasinstrumenten bei Graupner sprechen wollen, dann fallen auch hier Quantität, Qualität und Vielfalt auf. Dabei ist es vielleicht doch interessant, zunächst objektive Daten zu nennen (statistische Daten über die Anzahl der Werke in Bezug auf Gattung, Tonart, Besetzung, Kombinationen, Tempi usw.), bevor wir eine eher subjektive und persönlich-pragmatische Einschätzung abgeben, wie wichtig es ist, diese Werke kennen zu lernen und zu spielen als eine doch nicht zu versäumende Ergänzung des ohnehin reichen barocken Repertoires für Holzblasinstrumente.
Die Instrumente und die Hofkapelle
Wie oben genannt, spielen für einen Komponisten wie Graupner, der fast ausschließlich für seine eigene Hofkapelle komponierte, die spezifischen Umstände der sich bietenden Gelegenheiten eine ziemlich entscheidende Rolle: Wer spielt welche(s) Instrument(e) und was sind die technischen und praktischen Grenzen? Bei jeder Note wurde berücksichtigt, wer sie wann, mit wem und auf welche Weise spielen würde. Oft gab es auch Musiker, die für kürzere oder längere Zeit auf der Durchreise waren. Sie wurden dann mit einer schönen Partie geehrt!
In jedem Fall war die Darmstädter Hofkapelle bekannt für ihren reich besetzten Klangkörper mit hochqualifizierten Musikern, Solisten und Sängern.2
Das zeigt sich auch in den Werken: sicher nicht immer sehr virtuos, aber oft anspruchsvoll im Ausdruck und vor allem in der eigenen Interpretation: Anders als z. B. Bach schreibt Graupner nicht jeden Aspekt der musikalischen Ausführung (wie Verzierungen und andere Improvisationen) detailliert auf, sondern weiß in der Regel genau, für wen der Part bestimmt war. Die Gruppe von Musikern, mit denen Graupner seine Aufgabe als Hofkapellmeister zu erfüllen hatte, verfügte trotz der manchmal etwas spärlichen Notation sicherlich über genügend Anhaltspunkte bzw. Freiraum als tägliche Herausforderung. Deshalb vermissen wir oft Angaben z. B. zum Tempo (75% der Arien der geistlichen Kantaten haben keine Tempobezeichnung!) und eine detaillierte Partitur. Manchmal handelt es sich um eine Art falsche Einfachheit, etwas Unfertiges, bei dem man sich vorstellen kann, dass, wie in einer gut eingespielten Jazzband, die eigene Interpretation in solistischen Passagen erfolgte. Graupner war wahrscheinlich selbst durchaus bei den Aufführungen anwesend, als Dirigent oder Continuospieler an der Orgel oder am Cembalo. Viel Gelegenheit also, zu experimentieren und sich als Solist zu beweisen.
Wie so oft in jener Zeit hing auch hier Vieles von den verfügbaren Instrumenten ab: das Budget für den Kauf von (neuen) Instrumenten, das Vorhandensein von geschickten Instrumentenbauern, der Instrumentenbestand der Hofkapelle und die Instrumente der einzelnen kommenden und gehenden Mitglieder der Kapelle, ... All dies spielt eine entscheidende und besondere Rolle bei der Wahl der Besetzungen.
Im Allgemeinen, vor allem im Vergleich z. B. mit der Situation in Leipzig, gibt es nur wenige unerwartete und spezifische Merkmale, was Instrumente, Bauweisen und Stimmungen betrifft. Abgesehen von den exotischeren Instrumenten wie dem Flauto d’amore, den verschiedenen Chalumeaux, der Viola d’amore und der Violetta scheinen Blockflöte, Traverso, Oboe und Fagott in ihrer Bauweise den üblichen Formen im privaten (Hof, Kirche) und öffentlichen Musikleben der Zeit zu entsprechen, vielleicht auch bedingt durch die häufig wechselnden Musiker und das Engagement externer Solisten. Das ist ein Vorteil für die Spielbarkeit heutzutage, besonders wenn wir das mit den Partien für Blockflöte und Fagott in Bachkantaten vergleichen, bei denen ständig Probleme in Bezug auf Tessitur, Tonhöhe und Stimmung gelöst werden müssen.
Originale Instrumente
Sprechen wir – heutzutage fast überflüssig – über die Verwendung barocker Instrumente. Es sollte klar sein, dass Graupner in seinen Werken sehr viel Wert auf spezifische Farben und überraschende Kombinationen legt, mehr als auf Virtuosität oder kompositorische Komplexität. In diesem Sinne ist die Verwendung von Instrumenten der damaligen Zeit (Kopien historischer Instrumente) noch wichtiger als bei einigen anderen Komponisten (z. B. J. S. Bach), die eher Augenmusik als „Ohrenmusik“ schreiben. Graupners oft unkonventionelle, etwas dekonstruierte Schreibweise kommt meines Erachtens erst durch ein möglichst historisch getreues Klangbild voll zur Geltung. Das ist sicher auch der Grund, warum man dieser Musik vor einigen Jahrzehnten absolut keine Beachtung schenkte, zumal Instrumente wie Chalumeau, Flauto d’amore etc. nicht mehr oder noch nicht wieder verfügbar waren.
Genres
Bevor wir zu einer gesonderten Erörterung, gegliedert nach Instrumenten, übergehen, können wir einiges über die allgemeinen Merkmale der von Graupner verwendeten Formen und Gattungen sagen, in denen Holzblasinstrumente solistisch eingesetzt werden: Konzert, Ouvertüre (Suite) und in begrenztem Umfang Sonate und Sinfonie für die Instrumentalmusik, Kantate (sowohl geistliche als auch weltliche) und Oper für die Vokalwerke.
Partiten finden sich nur bei Kompositionen für Tasteninstrumente. Und in den späten 113 Sinfonien finden wir in organisierter Form Stimmen für Flöte und Fagott (kein Chalumeau oder keine Oboe mehr, und schon gar keine Blockflöte), oft paarweise und dann eher als Teil der orchestralen Besetzung.
Auf den ersten Blick ist Graupners Stilwahl für seine Werke relativ einfach: die Konzerte sind so italienisch wie möglich, die Ouvertüren wirklich französisch, die Kantaten zeichnen sich durch den deutschen affektgebundenen Stil aus (basierend auf der italienischen Oper) und die Sinfonien lehnen sich stark an die neue Mannheimer/Wiener Schule an.
Doch zunächst eine Warnung: Sobald man versucht, eine klare Aussage über Graupners Stil oder Arbeitsweise zu formulieren, muss man feststellen, dass es immer wieder unerwartete Ausnahmen gibt, und bei der Suche nach Antworten immer wieder neue Fragen auftauchen. Die Recherchen verlaufen selten so, wie man es erwartet, und oft fehlt es völlig an Konsequenz, Symmetrie oder musikalischer (melodischer, harmonischer, rhythmischer) Logik. Jede Aussage oder Frage wirft sofort neue Fragen auf oder stößt auf verwirrende Ausnahmen!
In den Konzerten (48) bekommen wir einen Graupner zu sehen, der sich offenbar recht gut amüsiert und sich nicht allzu sehr um formale Konstruktionen schert: Die Sätze sind auffallend lang oder kurz, wirken manchmal nicht ganz fertig, haben aber ansonsten immer etwas Frisches, Ungewöhnliches und Lakonisches. Als Spieler muss man mitdenken und die Werke mit Spielfreude, Effekten, Fantasie, Überraschung und Humor angehen. Sie sind technisch oft anspruchsvoll, manchmal allerdings auch wieder nicht, dankbar für das Instrument und immer gut geschrieben, mit einem forschenden, erfrischenden Ansatz und vielen unerwarteten dynamischen Effekten.
Die Form ist drei- oder vierteilig, wie man es auch bei seinen Zeitgenossen findet, und der Gesamteindruck ist schwungvoll, aufgeregt und melodisch, also italienisch angehaucht. Aber ebenso finden wir kunstvoll ausgearbeitete polyphone Sätze, in denen sich die Solisten etwas zurückhalten. Es ist, als wolle Graupner sagen: Das kann ich auch! Besonders überraschend ist der oft begrenzte Beitrag des/der Solisten an der motivischen Ausarbeitung, so als ob sie manchmal etwas aus einem anderen Werk zu spielen scheinen oder wenig Interesse am Verlauf der Dinge zeigen. Jedes Konzert hat so seine Eigenheiten: Wir langweilen uns mit Sicherheit selten, wenn überhaupt!
Auch die Besetzungen der Konzerte bieten ein sehr abwechslungsreiches Bild mit einer überraschenden Auswahl von 1 bis 4 Solisten (21/20/6/1 – davon mit Holzbläsern: 15/13/4/1) in verschiedenen Kombinationen.
In den Ouvertüren (86) präsentiert Graupner wieder die unterschiedlichsten Tänze auf sehr kreative und überraschende Weise: Streicher sind standardmäßig besetzt (mit einer wichtigen Ausnahme!), und Bläser finden sich in vielen Fällen von Beginn an (natürlich nicht in den 35 reinen Streicher-Ouvertüren), oder aber auch nur in einem einzigen Satz, und allen möglichen Variationen dazwischen. So ist der solistische Beitrag manchmal sehr begrenzt, und man fragt sich, was die Bläser im Rest des Werkes zu tun hatten (mitspielen? dirigieren? umblättern?), und manchmal hat jeder Tanzsatz eine Art Trio für die Bläser in den unterschiedlichsten Besetzungen. Wie immer ist Graupner dabei auf der Suche nach spannenden und überraschenden Klangkombinationen und amüsanten formalen, melodischen, rhythmischen oder harmonischen Einfällen.
Die Kantaten (1415 geistliche + 22 weltliche) nehmen natürlich den Spitzenplatz ein, sowohl was die Anzahl als auch was die Variationen in der Besetzung der Arien, Choräle und Chorstücke betrifft. Bei einem Viertel der Arien (766 von 2877) sind ein oder mehrere Holzblasinstrumente vorgeschrieben. Besonders auffallend ist die rhetorische Wirkung ungewöhnlicher Besetzungen, wie z. B. zwei oder drei Chalumeaux, zwei oder drei Oboen, teilweise unterstützt durch Fagott, und aller Arten von untypischen Solopassagen. Nicht so kompliziert, vollgestopft oder technisch anspruchsvoll wie bei Bach, aber besonders gut auf den Inhalt des Textes, die Singstimme(n) und die anderen Instrumente abgestimmt: Auf diese Weise werden wir fast immer eher emotional als intellektuell von diesen ungewöhnlichen Klangfarbenkombinationen und einem scheinbar einfachen, aber treffenden Stil angesprochen. Der enorme Erkenntniswert der Tatsache, dass wir von fast allen Kantaten sowohl die autographe Partitur als auch die (zum Teil von Kopisten) handgeschriebenen Stimmen besitzen, ist kaum zu unterschätzen, liefert aber nicht immer die eindeutigen Informationen, die wir erwarten würden. Jede Kantate besitzt ein Titelblatt mit der Besetzung des Werkes (siehe Abb. 2), aber manchmal tauchen in der Partitur zusätzliche Instrumente auf, bei denen nicht klar ist, welcher Musiker sie spielte und was er in der übrigen Zeit gemacht hat. Wir denken hier vor allem an viele Arien mit dem überraschenden Hinweis, dass z. B. Flöten und Oboen unisono im Pianissimo zusammen mit der Violinstimme spielen (siehe Abb. 3). Woher um alles in der Welt kommen sie?