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Johann Sebastian Bach: Cello Suite V Rezensionen
BWV 1011, transcribed for Traverso (Flute, Oboe) by Yat-Ho Tsang, Magdeburg 2025, Edition Walhall, EW1292, € 21,80
Die Verlockung, Bachs Musik für Solostreicher auch auf Flöteninstrumenten spielbar zu machen, ist nicht neu. Ich erinnere mich, bereits während meines Flötenstudiums in den 70ern sog. „Bach-Studien“ geübt zu haben: zumeist schnelle Einzelsätze, die hauptsächlich als anspruchsvolle technische Etüden zur Entwicklung von Finger-, Atem- und Zungentechnik herhalten mussten. („Jetzt mal alles im durchgehenden Doppelzungen-Tremolo!“)
Die ersten drei Cellosuiten dienten Anfang der 70er Jahre Frans Brüggen auch in ihrer Gesamtheit als Konzert- und Schallplattenrepertoire. Brüggen war ein äußerst skrupulöser Musiker; deshalb spürte er deutlich die Möglichkeiten, aber auch Grenzen solcher Arrangements – und fühlte sich sicher selbst nicht ganz wohl bei einigen seiner operativen Eingriffe in den originalen Notentext (s. Takt 1 der 3. Cello-Suite, der auf der Blockflöte in C-Dur nur als recht erbärmlicher Rest ausgeführt werden kann!).
Jedenfalls schrieb Brüggen dann zu einer späteren Ausgabe von 11 Sätzen aus den Violinsonaten und -partiten. „One expects the ideal recorder student to come up with a better version himself, autograph facsimile edition in hand. I personally felt uneasy about arranging more – or –less – of BWV 1001-1006 than has been printed here.”)
Die ganze Problematik solcher Bearbeitungen steckt in diesen Bemerkungen, vor allem die Einsicht, dass man diese Annäherungen nur mit viel philologischer Sorgfalt und stets im Bezug auf die Originalquellen wagen und sich der Vorläufigkeit bzw. Unvollkommenheit einer jeden Version immer bewusst sein sollte.
Damit wird man als Spieler eines jeden gedruckten Arrangements nicht aus der Verpflichtung entlassen, sich im Hintergrund immer die jeweilige Originalquelle und die jeweiligen Abweichungen davon zu vergegenwärtigen.
Ja! in der Tat: auch Bach selbst hat viele seiner Werke umgearbeitet: aber diese Tatsache ist beileibe kein Freibrief für willkürliche Änderungen im Notentext: in seine Verläufe, vor allem in die verschiedenen Oktavlagen, die Tonartenwahl, den Umgang mit Doppelgriffen und Akkorden etc. Ab einer gewissen Grenze kann man manche Verfahren nur als Frevel an Bachs meisterlichen Werken begreifen (etwa beim Versuch, die Chaconne aus der d-Moll-Partita auf der Blockflöte spielbar zu machen!).
Der aus Hongkong stammende Flötist (und professionelle Fotograf) Yat-Ho Tsang hat jedenfalls keine Mühe und Sorgfalt gescheut, um wenigstens eine der 6 Cellosuiten mit hochentwickeltem Verantwortungsgefühl auf einer Flöte (bzw. Oboe) spiel- und damit in seinem Gehalt erfahrbar zu machen.
Schon die Auswahl gerade der 5. Suite war sicher kein Zufall: wegen der sehr „nach Frankreich riechenden“ Stilistik und vor allem der Tatsache, dass von ihr als einziger der 6 Suiten eine Bearbeitung von Bach selbst (für Laute) vorhanden ist – und somit eine weitere, sogar autographe Textquelle zu Rate gezogen werden kann.
Für Traversflöte solo erschien ihm eine Version in d-Moll am ehesten geeignet, auch wenn damit hohe spieltechnische Anforderungen einhergehen wie z. B. das häufige Vorkommen von f3.
Im englischsprachigen Vorwort gibt Yat-Ho Tsang nicht nur ausführliche Hinweise zu seinem Umgang mit der Quellenlage und seinen Überlegungen, inwieweit er jeweils der Lauten- oder der Celloversion den Vorzug gegeben hat; er behandelt dort auch Fragen von Rhythmus und Ornamentation im französischen Stil, Artikulation und Bogensetzung und den Umgang mit Doppelgriffen und Akkorden. In den meisten Fällen orientiert sich Tsang eher an der Lauten- denn an der Celloversion (z. B. in der Bogensetzung der Sarabande). Bemerkenswert und sehr pragmatisch sind seine ausführlichen Angaben für alternative Griffe auf verschiedenen Traversflöten unter Berücksichtigung der Grifftabellen von Quantz und Hotteterre.
Diese Griffprobleme fallen bei einer Ausführung auf moderner Flöte mit Böhm-Mechanik ebenso weg wie bei einer auf einer modernen Oboe. Tsang hat seine Ausgabe gezielt auch für diese Instrumente erstellt und als Alternative dazu auch eine zweite Version in c-Moll beigefügt.
Fortgeschrittenen Flötistinnen und Flötisten, gleich ob auf Traverso oder moderner Böhmflöte und – hier jedoch ausschließlich „modernen“ – Oboisten sei das Studium der Suite in dieser Ausgabe dringend ans Herz gelegt, nicht nur als teilweise extreme technische Herausforderung, sondern vor allem, um auf ihren jeweiligen Instrumenten dem Gehalt eines Bachschen Meisterwerks nahe zu kommen, ohne in Respektlosigkeit gegenüber den originalen Quellen zu verfallen.
Dass das Stück in dieser Form auch auf einer einklappigen Traversflöte „funktionieren“ kann, beweist Tsang selbst in einem auf YouTube einsehbaren Videoclip, der zusätzlich mit eindrucksvollen (wenn auch zuweilen durchaus beklemmenden) fotografischen Impressionen aus seiner Heimatstadt Hongkong unterlegt ist.
Die neue Walhall-Ausgabe kommt in hochwertiger Anmutung daher, auf der Frontseite mit einem schönen Gemälde, das den britischen Colonel William Wollaston mit einer einklappigen Traversflöte porträtiert. Allen Verkaufsexemplaren liegen 2 lose Seiten bei, um in beiden tonartlichen Versionen ein Umblättern während des langen zweiteiligen Preludes vermeiden zu können.
Eine echte Herausforderung – aber mit Sicherheit eine lohnende!
(Nur vorher ausprobieren, ob man auf seinem Traverso ein gutes f3 hervorbringen kann!)
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Michael Schneider(...)





