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Die Blockflöte im Iran Berichte

 

Foto privat, v.l.n.r.: Farhoud Biglarbeigi, Michael Schneider, Reza Askarzadeh

 

Den Iran dürften die meisten unserer Leserinnen und Leser nur mit politischen Schlagzeilen assoziieren. Über Land und Leute wissen sicher die Wenigsten Bescheid.

 

Auch ich muss gestehen, bis vor kurzem keine Vorstellung gehabt zu haben, wie sich das öffentliche und kulturelle Leben in dieser „islamischen Republik“ so abspielt. Dass es zumindest in Teheran so etwas wie eine Blockflöten-Szene gibt – mit Unterricht und Lehrern, die davon ihren Lebensunterhalt bestreiten – würden mir wohl die Wenigsten glauben, es sei denn, sie hätten vielleicht bei den jährlichen Stockstadt-Events schon mal Mitglieder aus einer Gruppe jener unglaublich freundlichen Iraner getroffen, die hier seit einigen Jahren regelmäßig ihre Infos in Sachen Konzerteindrücke und Notenmaterialien auffrischen. Genau daher rühren auch meine Kontakte. Kurz und gut: die Iraner luden mich in diesem Herbst ein, eine viertägige Masterclass, zwei Seminare und zwei Konzerte in Teheran zu geben, um anschließend noch eine Tour durchs Land zu machen. Der Aufenthalt war in vieler Hinsicht äußerst eindrucksvoll, nicht zuletzt auch wegen der sprichwörtlichen Gastfreundlichkeit und Herzlichkeit der Iraner!

 

Es hat mich verwundert, dass es tatsächlich Musikschulen gibt, in denen regelmäßig (und erstaunlich qualifiziert) Blockflöte auf den verschiedensten Niveaus unterrichtet wird. Meine Kursteilnehmer während der 4 Unterrichtstage waren zwischen 14 und 55 Jahren alt; alle kamen sie gut vorbereitet mit einem Stück in die Klasse: darunter Telemann-Fantasien, Bach-Partita, Vivaldi-Concerti etc. Zwei der Spielerinnen bereiten sich z. Zt. auf eine Eignungsprüfung an einer mitteleuropäischen Musikhochschule vor. Das Repertoire der Baroque Recorder Anthology des Schott-Verlags spielt eine große Rolle im Unterricht. Die Petrucci-Library ist online zugänglich, sodass kein Mangel an gutem Notenmaterial besteht. Die zumeist verwendeten Blockflöten sind Plastikflöten japanischer Produktion, gelegentlich habe ich aber auch Kopien europäischer Blockflötenbauer erlebt. Als Begleitinstrument während des Kurses diente ein E-Cembalo der Firma Roland, auf dem man bekanntlich auch verschiedene historische Stimmungen und Stimmtonhöhen einstellen kann. Es gibt in Teheran mehrere Blockflötenorchester, die auch zusammen mit Streichorchestern und Chören in großen Sälen auftreten. Meine Seminare über grundsätzliche Blockflötentechnik und über Ornamentationspraktiken des 18. Jahrhunderts sowie zwei Konzerte mit unterschiedlichen Programmen waren allesamt ausverkauft (wie mir gesagt wurde, auch mit Interessenten, die von sehr weit her angereist waren). Da die Konzerte ausschließlich Solorepertoire enthielten (ein konzertfähiges Cembalo stand nicht zur Verfügung), enthielten sie zwangsläufig auch in Sachen Rezeption anspruchsvolles Repertoire: neben Ricercaren und Solomusik des 17. und 18. Jahrhunderts auch Werke von Eugene Bozza, Isang Yun, Karlheinz Stockhausen und Gerhard Müller-Hornbach, teilweise mit eingespielter Tape-Musik, die sicher noch niemand dort vorher gehört hatte, offenbar aber auch niemanden abschreckte!

 

Dass die Blockflöte in Teheran einen Lebensraum gefunden hat, ist natürlich einigen wenigen Personen zu verdanken, zuallererst sicher „Trudi“ Zehnder-Falamaki, einer Schweizer Architektengattin, geb 1934 in Chur, die 1969 mit ihrem Mann nach Teheran gezogen war. Sie war und ist seit den 70er-Jahren ungeachtet aller politischen Veränderungen vielfältig aktiv: durch Unterrichten, Spielkreise (in ihrem eigenen Haus) und durch ihre Mitwirkung an der Orgel und im Chor der Deutschen Kirche. Meine beiden Haupt-Ansprechpartner Resa Askarzadeh und Farhoud Biglarbeigi verwiesen jedenfalls immer wieder auf Trudis Einfluss! Bis heute ist sie unermüdlich aktiv und hat alle Jahre über den Kontakt zu ihren Quellen in Europa gehalten. Reza Askarzadeh hatte Gelegenheit, eine Zeitlang  in Frankreich  bei  Pierre Hamon und Pierre Boragno zu studieren.

 

Zu meiner Masterclass und zu den Konzerten wurde trotz Eintrittspreisen persönlich eingeladen – und man sagte mir, dass längst nicht alle Interessenten zugelassen worden seien. Die Menschen sind bestens informiert über weltgeschichtliche Entwicklungen. Fast alle (auch z. B. meine Schüler und Schülerinnen im Teenageralter) sprachen hervorragend Englisch; ein Dolmetscher war tatsächlich nie vonnöten.

 

Der Dank meiner Gastgeber bestand unter anderem in einer anschließenden Rundreise zu atemberaubend schönen und beeindruckenden persischen Stätten: in die Wüste, nach Isfahan und Kashan und natürlich in Teheran selbst. Ein Erlebnis fürs Leben! Wer einen Eindruck bekommen will von den dortigen Aktivitäten, möge bei YouTube z. B. „Farhoud Biglarbeigi“ eingeben. Er hat mehrere Video-Clips hochgeladen, oder z. B. „Mehrdad Teymoori“ bzgl. Blockflötenorchester. Die Iraner Community verdient jedenfalls unser aller Interesse und uneingeschränkte Unterstützung!

 

 

 

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Über den Autor / die Autorin
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