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Annabelle Cavalli und das Barockorchester Lahr (BOL)
Berichte
Im Jahr 2016 hat die Blockflötistin und Musikpädagogin Annabelle Cavalli an der Städtischen Musikschule Lahr das Barockorchester Lahr (BOL) gegründet. 2019 und 2020 gewann das Ensemble einen zweiten Preis und Anfang diesen Jahres den 1. Preis beim Jugendwettbewerb der Händel-Gesellschaft Karlsruhe.
Inés Zimmermann: Herzlichen Glückwunsch zum 1. Preis.
Annabelle Cavalli: Danke, das war eigentlich gar nicht vorgesehen, denn mein Wunsch, das Ensemble durch die Teilnahme am Händel-Wettbewerb zu motivieren und voranzubringen, hatte sich bereits erfüllt. Aber die Kinder wollten unbedingt mitmachen, und es hat Spaß gemacht, das Videoprogramm für den Wettbewerb zusammenzustellen.
Du hast eine der zentralen Ideen umgesetzt, für die die Institution Musikschule geschaffen wurde: Ein Ensemble zu gründen, das instrumenten- und niveauübergreifend allen Musikschülern offen steht. Wie hat dieses Erfolgsprojekt angefangen?
Die Vorgeschichte hat mit meiner eigenen musikalischen Entwicklung zu tun. Ich habe mich erst mit 19 Jahren bewusst für die Blockflöte entschieden und mit unerschütterlichem Enthusiasmus mein Hauptfach bei Prof. Agnes Dorwarth und meinen Master bei Prof. Andreas Doerne in Freiburg gemacht, der u.a. die Online-Plattform musikschullabor.de ins Leben gerufen hat. Sein Ziel ist die Förderung innovativer Musikschularbeit und die experimentelle Gestaltung neuer Musizier-Lern-Orte. Er nennt es schlicht „Haus der Musik“. Während meines Studiums begann ich an der Musikschule in Lahr zu unterrichten, die sehr innovativ ist und in Baden-Württemberg für Pilotprojekte ausgewählt wurde. Es gibt eine klassische Abteilung mit einer sehr guten Streicher-Abteilung und eine große Popmusik-Abteilung. Der Erfolg der Pop-Abteilung inspirierte mich, neue Wege zu gehen und die Ideen umzusetzen, die ich im Master-Studiengang kennen gelernt hatte.
Die Begrenzungen für Auftrittsmöglichkeiten im klassischen Bereich wollte ich nicht nur durch Trio- und Quartettarbeit ausgleichen und war auch klanglich und repertoiremäßig von einem reinen Blockflötenorchester nicht wirklich überzeugt. In meinem Kopf entstand der Plan, ein Ensemble zu haben, in dem auf verschiedenen Niveaus Lernen, Spielen und Musik erfahren möglich sein sollte. Da kam mir der Zufall zur Hilfe. Für unser Jahreskonzert Magic Classic Night organisierte ich ein großes Ensemble, in dem Kollegen, Geigenschüler, meine Blockflötenschüler und einer gut besetzten Bassgruppe ein Stück von Lully gespielt haben. Die Publikumsresonanz war erstaunlich und die lokale Presse schrieb sehr positiv darüber. Mein Schulleiter Tobias Meinen unterstützte mich weiterzumachen und so begann die Geschichte des BOL. Es ist nach wie vor eine Solo-Initiative von mir und wird zusätzlich von meinem Ensemble L’Ephémère unterstützt, das jedes Jahr einen Workshop mit uns macht.
Foto: Valentin Behringer
Ihr seid ein Barockorchester. Spielt ihr auf historischen Instrumenten in barocker Stimmung?
Nein, unser Instrumentarium ist modern, da wir an der Musikschule Lahr keine Barockinstrumente haben. Doch Barockmusik ist unser Kernrepertoire und meine große Leidenschaft. Auch mit meinem Ensemble L’Ephémère, das auf historischen Instrumenten spielt, beschäftigt mich diese Epoche. Barockmusik und Popmusik ähneln sich darin, dass beide Genres die Möglichkeit bieten, den Schwierigkeitsgrad über das Arrangement zu variieren. Begonnen habe ich mit den beliebtesten Barock-Hits, die jeder vom Hören kennt und benutze viele anonyme Stücke der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und französische Musik, die ich sehr gut kenne.
Die Spieler müssen sich nicht an die Musik anpassen, sondern die Musik wird an die vorhandenen Instrumente und Niveaus angepasst. Während dieses Prozesses lerne ich dazu, wie die Kinder arbeiten und was sie sich wünschen. Ich biete ihnen verschiedene Stimmen an. Manche Streicher spielen zunächst nur im Refrain mit, oder beginnen mit leeren Saiten. Aber sie schämen sich nicht dabei, denn sie fühlen sich als ein wertvoller Teil des Ganzen, weil sie zum Beispiel mit ihrem Bogenstrich einen Schwung und Dynamik reinbringen, was die Blockflötisten sehr schätzen.
Für das BOL bearbeite ich das meiste selber und bekomme auch Hilfe von meinen Ensemblekollegen. Neben der Blockflöte spiele ich Cembalo und Cello und dirigiere mit einer Rahmentrommel, da die Schüler damit am besten zurechtkommen. Der Klang des Barockorchesters ist viel farbiger und befriedigender als der eines reinen Blockflötenorchesters. Ich möchte meinen Schülern dadurch mehr bieten als nur Trio- und Quartettrepertoire, was sowieso nur die Fortgeschrittenen spielen könnten. Auf der Suche nach neuem Repertoire höre ich sehr viel Musik und verlasse mich auf meine Ohren, die wie Antennen bei einem Klang ausschlagen, der gut zum BOL passen könnte. Viel Inspiration hole ich mir z.B. bei dem Ensemble Poème Harmonique und seinem Leiter, dem Lautenisten Vincent Dumestre. Durch sein Ensemble beeinflusst, möchte ich auch die Idee für uns weiterentwickeln, instrumentale Interpretationen mit Sängern und dann auch Schauspielern und Tänzern zu erweitern, wobei die Musiker sicherlich auch in Bewegung kommen könnten und vielleicht sogar schauspielern. Für 2023 habe ich eine Oper geplant, Arbeitstitel ist „Ba-Rock“. Diese wird wie ein Mosaik aus französischen, italienischen, englischen und hoffentlich auch deutschen Barockstücken sein. Ein Dramaturg und zwei professionelle Sänger werden auch dabei sein.
Das BOL ist ein demokratisch handelndes Ensemble. Ich treffe die Vorauswahl für die Stücke, dann spiele ich den Kindern die ausgewählten Stücke in der Originalversion vor, und es wird gemeinsam entschieden, was geprobt wird. Vorher arrangiere ich es dann noch ganz individuell, weil ich auch den Anfängern auf dem Instrument, sei es Flöte oder Geige, gleich eine Gelegenheit geben will mitzuspielen. Dafür, dass meine fortgeschrittenen Schüler die ganze Probe mit den Kleinen machen, dürfen sie auch zwischendurch einige schwierige Passagen als Concertino spielen, bevor das Tutti wieder einsetzt. Nachwuchssorgen haben wir keine. Die Mitglieder bringen ihr Freunde mit, die auch dabei sein wollen.
Inwieweit ist die Montessori-Pädagogik in deine Arbeit eingeflossen?
Ich habe von darin ausgebildeten Kollegen Anregungen übernommen, ohne selber eine Spezialausbildung zu haben. Stellvertretend möchte ich meinen Kollege Andreas Kopfmann nennen, der das Lahrer GrooveLAB mitentwickelt hat. Die Idee ist, Spieler aller Altersstufen vom Anfänger bis zum Fortgeschrittenen eine Gemeinschaft bilden zu lassen, das Lernen untereinander zu fördern und Frontalunterricht zu vermeiden. Ich habe während der Proben keine Probleme mit Konzentrationsschwäche oder Langweile. Alle sind Feuer und Flamme und lieben es, da zu sein. Die Kleinen bewundern die Großen für das, was sie können. Und die Großen lieben die sprudelnde Energie und die Begeisterungsfähigkeit der Kleinen.
In meiner pädagogischen Ausbildung haben wir viele Anregungen zur Teambildung und „Aufwärmübungen“ vom Freiburger Sportklub bekommen, was bei den Kindern sehr gut ankommt. Wir beginnen unsere wöchentliche Probe mit einem Musikstück, das die Kinder aussuchen und machen danach einige Übungen im Team. Nach Übungen bei denen die Arme und Beine über Kreuz bewegt werden, klingen die Stücke danach ganz anders. Und was ich jetzt sage, klingt in deinen Ohren vielleicht merkwürdig: Ich unterrichte mit ganz viel Liebe und schaffe eine sehr entspannte Lernatmosphäre, in der ich mich oft zurücknehme und beobachte.
Ich lobe sehr viel und bestärke die Gruppe, über Fehler zu lachen. Vielleicht hat das auch mit meiner französischen Mentalität zu tun. Und alles entwickelt sich: Wir hatten anfangs jede Woche Probe, aber werden jetzt längere Proben und dafür mehr Abstand zwischen den Proben einführen. Dann gibt es die Gelegenheit für eine gemeinsame Pause, die den Zusammenhalt der Gruppe noch mehr fördert. Meine Schüler aus Müllheim unterstützen meine Lahrer Schüler, was die Dynamik erhöht. Ich möchte, dass ein Musikschüler während seines Heranwachsens in der Musikschule alles ausprobieren kann, vom Einzelunterricht über kleine Gruppen bis zu großen Musikproduktionen und eben nicht warten muss, bis er „gut genug“ ist, sondern so schnell wie möglich auf so vielen Ebenen wie möglich einbezogen wird.
In deinen Bearbeitungen spielen die Blockflöten auch Geigenstimmen?
Ja. In dieser Entwicklungsstufe des Orchesters ist es nicht mein Ziel, dass die Stücke so erklingen, wie sie ursprünglich geklungen haben, sondern den Kindern die Möglichkeit zu geben, die Artikulation, das Tempo und die Emotion mit ihren Möglichkeiten zu erleben.
Besetzungstechnisch versuche ich die Besetzung als Pyramide aufzubauen, d.h. wenig Sopranflöten, mehr Alt-/Tenorflöten und Geigen und noch mehr Bässe. Seit ich vor ein paar Jahren alle Blockflöten von einem einzigen Hersteller beziehe, passen die Blockflöten besser zusammen, der Klang ist viel homogener geworden.
Du gibst Interviews im Radio und in Zeitschriften, um für dein Projekt zu werben und deine Vision weiterzuentwickeln?
Ganz wichtig ist mir die Feststellung, dass ich zwar die Initiative ergriffen habe und immer noch allein organisiere, doch nicht im Vordergrund stehen möchte. Ich suche weiterhin in Deutschland und Frankreich nach Partnern. Nach einem Interview, das ich dem Sender France Musique gegeben hatte, meldete sich ein Amateur-Barockorchester aus Palaiseau, bei Paris. Zusammen werden wir im Juli 2022 Charpentiers Te Deum aufführen und gemeinsam auf Tournee gehen.
Die Macher der Sendung mit der Maus haben sich bei mir gemeldet und wir sind am überlegen, wie der Beitrag aussehen könnte. Ich stelle mir vor, dass die Kinder interviewt werden. Die Pressedeckung hilft mir weiter und stimmt mich hoffnungsvoll.
Das Orchester aus Palaiseau spielt auf alten Instrumenten?
Ja und sie werden für das Projekt mit alten und modernen Instrumenten arbeiten. Sie beginnen alleine mit Delalandes De Profundis in tiefer Stimmung, dann wechseln sie ihr Instrumentarium und wir spielen Charpentier in moderner Stimmung.
Die Arbeit mit und für das BOL gehört zu meinen favorisierten Beschäftigungen. Selbst wenn ich weniger unterrichten wollte, würde ich dem Barockorchester erhalten bleiben, weil ich so wunderbare musikalische Momente mit den Kindern erlebt habe.
Danke für das Gespräch.
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