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Bart Coen: Diminutionen für Blockflöte oder andere Instrumente zu Werken des 15.–17. Jahrhunderts Rezensionen

 

Hassler, Frescobaldi, Praetorius, Donato, Ockeghem u. a. (Hg. Winfried Michel), Münster 2022, Mieroprint, Partitur und Stimme, EM 2305, € 24,00

 

 

Der belgische Blockflötist Bart Coen ist vor allem als Spezialist für Renaissance- und Barockmusik bekannt. Er war Hauptfachdozent für Blockflöte am Königlichen Konservatorium in Brüssel und an der Luca School of Arts – Campus Lemmens (Leuven). Als Musiker ist er oft mit Ensembles für Alte Musik wie dem Huelgas Ensemble (P. Van Nevel), Collegium Vocale (Ph. Herreweghe), Anima Eterna (J. Van Immerseel), Concerto Vocale (R. Jacobs), Currende (E. Van Nevel) oder La Petite Bande (S. Kuijken) zu hören.

 

Für Rundfunk- oder CD-Aufnahmen hat Bart Coen oft Diminutionen ausgearbeitet und notiert. Von reiner Improvisation ausgehend hat er immer versucht, zu einem möglichst gut ausbalancierten Ergebnis zu kommen. Die hier vorliegenden Diminutionen kann man hauptsächlich auf CD-Aufnahmen mit dem Huelgas Ensemble hören, wie z. B. Lass mich, o Christ von Christoph Demantius auf der CD Demantius, Vespers for Whitsun, Alma Felice von Baldessar Donato auf der CD In Morte di Madonna Laura, Aus tieffer Noth von Michael Praetorius auf einer CD mit Werken von Praetorius. Andere Diminutionen wie über das Weihnachtslied Señores El Qu'es Nascido kann man auf der CD Mirabile Mysterium mit dem Netherlands Chamber Choir hören.

 

Die Werke der vorliegenden Ausgabe erstrecken sich von der Frührenaissance (Johannes Ockeghem, J'en ay dueil) bis zum Frühbarock (Girolamo Frescobaldi, A Miei Pianti); von Liebesliedern (Hans Leo Hassler, Mein Gmüth ist mir verwirret) bis zum Madrigal und Chanson, vom Kirchenlied bis zur Motette.

 

Im Vorwort schreibt Bart Coen: Die vorliegenden Diminutionen sind ausnahmslos direkt aus der Spielpraxis heraus entstanden, und so möchte ich sie denn auch an Musiker weiterreichen, die auf der Suche sind nach Repertoire-Erweiterung für Blockflöte oder andere Instrumente, sozusagen von Spieler zu Spieler!

 

Zur Edition lesen wir von Winfried Michel u. a.: Die vorwiegend homophonen Vokalsätze wurden in einen tastengemäßen Claviersatz übertragen, dessen oberste Stimme den undiminuierten „Canto” wiedergibt, sodaß ein direkter Vergleich zwischen der ursprünglichen Melodielinie und ihrer von Bart Coen vorgenommenen Diminution stets gewährleistet bleibt. Bei eher polyphon angelegten vokalen Stücken wurde die originale vierstimmige Partitur unterlegt …

 

Die Publikation besteht aus einer schön ausgeführten Partitur und einer separaten Stimme für die Blockflöte. Mit der Idee, dass die Blockflötenstimme auch von anderen Instrumenten gespielt werden kann, wird manchmal Flauto overo altri strumenti notiert. Die Diminutionen können überwiegend auf einer C-Sopran- oder Tenorblockflöte gespielt werden. Für einige Sätze könnte eine Bassblockflöte oder eine G-Diskantblockflöte verwendet werden. Die Werke können z. B. mit Blockflöte und einem Tasteninstrument ausgeführt werden, sind aber insbesondere für die Ausführung mit einem Ensemble konzipiert. Oft sind sie so gedacht, dass die Diminutionen gleichzeitig als Verdoppelung mitgespielt werden. Bart Coen zeigt sich als ein Meister des „Diminuierens a la Bastarda“, dadurch erhält die Blockflötenstimme oft ein Eigenleben. Nur in J'en ay dueil von Johannes Ockeghem und Lass mich, o Christ von Christoph Demantius wird hauptsächlich der Cantus diminuiert.

 

Bart Coens Diminutionen sind immer sehr erfindungsreich und ausdrucksstark. Im Allgemeinen wird der gesamte Ambitus des Instruments ausgenutzt. Die Diminutionen sind im Stil historischer Meister wie Ortiz, Bassano, Spadi, Rognoni und anderer. Beim Diminuieren verwendet Bart Coen oft Sprünge und manchmal kleine Pausen, um den Ausdruck zu steigern. Die melodische und rhythmische Progression der Diminutionen ist gut durchdacht und die rhythmische Wahl wie in Tantzen und Springen von Hans Leo Hassler verleiht der Musik viel Elan. Er verwendet mehrmals Motive, welche die Geschichte hinter den musikalischen Phrasen besser verdeutlichen.


Manchmal fügt Bart Coen Stimmen hinzu, was eine gute Kenntnis des Kontrapunkts erfordert. So wird zum Beispiel eine Tenor-Klausel durch eine Sopran-Klausel ergänzt, die noch nicht existiert hat, und Letztere wird dann wieder diminuiert. Auch seine harmonischen Kenntnisse führen ebenfalls zu sehr einfallsreichen und ausdrucksstarken Diminutionen, wie z. B. in A Miei Pianti von Girolamo Frescobaldi.

 

Die Musica ficta stehen in dieser Ausgabe nicht über den Noten, sodass man als Ausführender leider nicht immer weiß, welche Auflösungszeichen vom Komponisten stammen und welche vom Autor hinzugefügt wurden. Aber dank der Auswahl von Musica ficta in den Diminutionen, entstehen wunderschöne Farben.

 

Da Bart Coen an einer großen Zahl von CD-Aufnahmen mitgewirkt hat, kann ich mir vorstellen, dass er noch über viele weitere Diminutionen verfügt. Es wäre schön, wenn bald eine weiter Ausgabe erscheinen würde.

 

Eine Partitur, die fortgeschrittenen Laien- und Profimusikern gleichermaßen Freude und Nutzen bringen wird; ein ideales Geschenk für unter den Weihnachtsbaum!

 

 

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Über den Autor / die Autorin
Jan Van Hoecke , Jan Van Hoecke wurde 1982 im belgischen Eeklo(...)