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Das Partimento-Symposium Wien 12.–15.11.2024 Berichte

Foto: © Martin Rainer

 

 

„Partimento“: dieser Begriff trifft das wohl aktuell heißeste Thema aufführungspraktischer Diskussion. Es ist eigentlich kaum zu glauben, dass dieses Forschungsgebiet erst seit ca. 20 Jahren bearbeitet wird.

 

Es bedurfte einiger initial wirkmächtiger Veröffentlichungen wie Music in the Galant Style (2007) von Robert O. Gjerdingen und The Art of Partimento (2012) von Giorgio Sanguinetti, um die elementare Bedeutung des Themas „Partimento“ für nahezu jede Form tonaler Musik zu erkennen.

 

Der Begriff: „Aufführungspraxis“ dürfte bei nur wenigen Themen derart zutreffend sein:

Bereiche wie Musikpraxis, Musiktheorie, Musikpädagogik, Improvisation, Komposition, Generalbass, Kontrapunkt, Analyse wie auch historische Musikforschung überlappen sich vielfältig und sind nicht in Einzeldisziplinen zu trennen.

 

Es geht schlicht und einfach um die Frage, wie haben Musiker und Komponisten in tonaler Musik „getickt“, wie haben sie ihr Handwerk erworben und wie haben sie es in ihren Kompositionen eingesetzt.

 

Zentraler Forschungsgegenstand waren zunächst die Curricula der neapolitanischen Konservatorien im 18. Jahrhundert sowie in einem zweiten Schritt deren Aneignung und Umformung im Pariser Conservatoire während des 19. bis ins frühe 20. Jahrhundert.

 

Das noch junge „Early Music Department“ der universität für musik und darstellende kunst wien hat nun vom 12.–15.11.2024 ein schon länger geplantes Symposium zu diesem Thema veranstaltet: Partimento – Realizing its Potential.

 

Es ist den Veranstaltern gelungen, für die Hauptbeiträge alle maßgeblichen Fachvertreter, die sich durch Publikationen zu diesem Thema in den letzten Jahren hervorgetan haben, auf dieser Konferenz zusammenzuführen:

 

Neben Robert Gjerdingen und John Mortensen (USA), Jean-Christophe Dijoux und Nils Pfeffer (Freiburg), Dirk Börner und Markus Schwenkreis (SCB Basel), Giorgio Sanguinetti, Matteo Messori und Fabio Antonio Falcone (Italien), Peter van Tour und Karin Nelson (Schweden) waren nicht zuletzt Augusta Campagne, Magdalena Hasibeder, Eugene Michelangeli und Johannes Weiss als Vertreter ihres eigenen Hauses in vielfältigen Funktionen zu erleben.

 

(Nicoleta Paraschivescu hatte leider wegen Krankheit ihre Teilnahme absagen müssen.)

 

Während die genannten Referenten allesamt Tasteninstrumenten zuzuordnen sind, gab es als erfreuliche Ergänzung mit Giovanna Barbati (Cello und Viola da gamba) und Robert de Brée (Barockoboe und Blockflöte) auch zwei Vertreter von Melodieinstrumenten, die beide eindrucksvoll demonstrierten, wie relevant und ergiebig das Thema „Partimento“ auch für ihre instrumentale Praxis und pädagogische Arbeit ist.

 

Lecture von Robert de Brée (Foto: © Martin Rainer)
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Die Inhalte der Lectures waren sehr verschiedenartig: neben der verbalen und klingenden Vorstellung bislang kaum beachteter Partimento-Quellen (Mattheson, Kirchhoff, Ristori) über historische Untersuchungen (z. B. Partimentopraxis in Portugal oder in den USA im 19. Jahrhundert), heutigem pädagogischen Einsatz von Partimenti (hierüber zwei Beiträge aus Skandinavien), Partimentotraditionen in der Oper des 19. Jahrhunderts (Bellini, Donizetti, Verdi), Übersicht über den aktuellen Stand an Veröffentlichungen von Büchern und Originalquellen (Peter v. Tour mit Durante, Cotumacci u. a.) bis hin zur Warnung von Sanguinetti, sich bei der Realisierung italienischer Partimenti nicht immer an der Komplexität des Bachschen Kontrapunkts zu orientieren.

 

Man darf den Veranstaltern nur ein ganz großes Lob aussprechen für die Konzeption und Durchführung dieses Symposiums!

 

Die Mischung von Keynote Lectures, Lecture Recitals (also mit Konzertanteil), Workshops (mit Einzelunterrichten), Lightning Papers (teilweise per Zoom aus den USA und Italien) war perfekt!

 

Zusätzlich konnten sich die Teilnehmer jeden Morgen vokal solmisierend in einer „Warm up Session“ zum Cembalo ins Thema einstimmen. Abends war dann noch „Harvest-time“ angesetzt, um die Erkenntnisse des Tages zu summieren.

 

Für mich waren die Höhepunkte die Lecture-Recitals und Workshops der Kollegen aus Freiburg und Basel, die besonders eindrucksvoll am Cembalo demonstrieren konnten, wie mit stilgebundener Improvisation magische Musikerlebnisse vermittelt werden konnten.

 

Am letzten Tag erschien als Teilnehmerin im Workshop von John Mortensen (Moderner Pianist mit Schwerpunkt Improvisation romantischer Musik nach Partimento-Modellen) die trotz ihres immer noch Teenager-Alters bereits legendäre Alma Deutscher.

 

Sie gilt geradezu als Vorzeigeprodukt einer auf Partimenti basierenden Musikausbildung. Bereits als Kleinkind wurde sie, wie man bei YouTube nachsehen kann, meist aus der Ferne darin unterrichtet. Mit Mortensen improvisierte sie gemeinsam am Klavier und erarbeitete aus dem Stegreif eine 3-stimmige Partimento-Fuge nach Durante.

 

So ähnlich muss es bei J. S. Bachs Besuch in Potsdam bei Friedrich II. zugegangen sein!

 

Den Organisatoren kann man für das Geschenk einer solchen Veranstaltung nur äußerst dankbar sein! Es wird für alle Teilnehmer etliche Zeit in Anspruch nehmen, alle Erkenntnisse dieser Woche zu reflektieren und umzusetzen.

 

Die Reise nach Wien hat sich für mich jedenfalls in hohem Maße gelohnt!

 

 

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Über den Autor / die Autorin
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