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Ulrich Thieme zum Siebzigsten Berichte
In diesen Tagen gilt es einem langjährigen Kollegen, musikalischen Weggefährten, vor allem aber geschätzten Freund zu seinem 70. Geburtstag zu gratulieren: Die Wünsche gelten Prof. Dr. Ulrich Thieme. Seit meinen ersten Tagen als Student an der Musikhochschule Hannover kenne ich Ulrich Thieme. Er war kurz zuvor als noch beinahe jugendlicher Professor an die Hochschule gekommen. Als Cembalostudent und später als Korrepetitor habe ich mit vielen seiner Studierenden zusammengearbeitet und ihn als Lehrer und Freund kennengelernt.
Ulrich Thieme stammt aus Westfalen und studierte von 1969 bis 1979 in Köln Blockflöte, Schulmusik/Violine, Musikwissenschaft und Philosophie. Nach seinem Konzertexamen 1975 promovierte er 1979 über die Jugendwerke Arnold Schönbergs. Als Solist, Kammermusiker und Kursleiter war er zu Gast in vielen europäischen Ländern, in Nah- und Fernost sowie in Südamerika. Für mich besonders kennzeichnend an Ulrich Thieme ist die außerordentliche Energie seines Interesses. Einerseits sucht es die Breite des umfassenden Überblicks, andererseits die Tiefe in der Wahrnehmung der maßgeblichen Details. So sind einerseits seine Themenfelder weitgespannt, andererseits erweist er sich in ihnen stets als ausgewiesener Experte.
Sein Unterrichtsfach Blockflöte erkundet er mit entsprechender Genauigkeit unter allen erdenklichen Gesichtspunkten: die Blockflötenliteratur vom Mittelalter bis in die unmittelbare Gegenwart, die ja für das uralte Instrument mittlerweile einen Großteil des Repertoires bereithält, die Bauart des Instruments, Flötentypen, ihre Bohrungen, deren Auswirkungen auf die Intonation samt eigener heilender Eingriffe in manche akustisch schmerzende Bohrlochkonstellation, die Ikonographie des Instrumentes inklusive der Rückschlüsse auf Spielweisen, Ensemblebesetzungen und ihre Aufstellungen, aber auch die Symbolik des Instrumentes, die sich auf seine musikalische Verwendung auswirkt. Dazu gehört Thiemes langjährige Editions- und Herausgebertätigkeit (u. a. der TIBIA), nicht zu vergessen die Vizepräsidentschaft in der ERTA (European Recorder Teachers Association).
Die Blockflöte in all ihren Aspekten ist ein Pol, dem andere gegenüber stehen. Nicht zuletzt die Musik der deutschen Spätromantik – Wagner, Strauss, Schönberg – gehört zu seinen Interessenfeldern. Schon seine Ausbildung – Studium der Schulmusik mit Hauptfach Violine, Solistenstudium der Blockflöte, musikwissenschaftliche Promotion über Schönbergs Jugendwerke – zeigt Spannbreite und Intensität seiner Interessen: Pädagogik und Vermittlung, künstlerische Exzellenz und wissenschaftliche Reflexion. So kenne ich ihn als anspruchsvollen Lehrer, der seinen zahlreichen Studentinnen und Studenten immer zu vermitteln wusste, dass das Musizieren auf der Blockflöte nichts von dem Trivialen enthalten muss, das sich im Image des Instrumentes immer noch zu Unrecht einen Platz hält. Die durch die historischen Aufführungspraktiken wieder ins Bewusstsein gerückte rhetorische Grundlage der Musik ist eines der zentralen Themen der musikalischen Ausbildung der Studierenden gewesen, die ernstgenommen und konsequent umgesetzt dem Musikmachen Tiefe und Persönlichkeit verleiht und somit dem Trivialen keinerlei Chance lässt. Die ständige präzise Reflexion über das Wechselwirken von Musik und Gesellschaft, von Musikausübung und Musikgeschäft hat Ulrich Thieme, der ja große Freude am gewählten, geistreich pointierten, gern auch ironisch zugespitzten Formulieren hat, zu einem aktiven Zeugen der Entwicklung der Alten Musik gemacht, die sich während seiner langen Dienstzeit in Hannover vollzogen hat: kämpften die Protagonisten der historischen Aufführungspraktiken, darunter bemerkenswert viele Blockflötenspielerinnen und -spieler, Ende der 70er Jahre noch um Anerkennung und einen angemessenen Platz im Musikleben, hat sich die das ganze Musikleben einschneidend verändernde Alte-Musik-Bewegung mittlerweile einigermaßen etabliert. Die Rolle der Blockflöte hat sich in diesen Jahren stetig verändert. War sie bei Thiemes Dienstantritt noch in der Pionierrolle der neuen aufführungspraktischen Erkenntnisse von außerordentlicher Faszination für viele Studienanwärterinnen und -anwärter, muss sie sich nun mit der historisch überlieferten Rolle als Kammermusikpartner bzw. als virtuoses Soloinstrument mit eingeschränkten Möglichkeiten, ökonomische Erfolge zu erzielen, arrangieren. Auch darauf hat der Hochschullehrer Thieme seine Studierenden hingewiesen und vorbereitet.
Ich bin sicher, dass seine Neugierde ihn auch weiterhin faszinierende Themen finden und vertiefen lässt.
Alles Gute!
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Auch TIBIA gratuliert ihrem Autor und ehemaligen Mitherausgeber (von 1989–2005) auf das Herzlichste!
über Ulrich Thieme in Tibia:
„Die Instrumente sind für die Musik das, was der Löffel für die Suppe ist.“ Tibia im Gespräch mit Ulrich Thieme, in: Tibia 4/2016, S. 254–262.
Artikel von Ulrich Thieme in Tibia (in chronologischer Folge):
- Die Affektenlehre im philosophischen und musikalischen Denken des Barock – Vorgeschichte Ästhetik, Physiologie
Teil I, in: Tibia 3/1982, S. 161–168.
Teil II, in: Tibia 1/1983, S. 241–245.
Teil III, in: Tibia 2/1983, S. 325–334.
- Die Blockflöte in Kantate, Oratorium und Oper
Teil I: Das 17. Jahrhundert (1), in: Tibia 2/1986, S. 81–88.
Teil II: Das 17. Jahrhundert (2), in: Tibia 3/1986, S. 161–167.
- Hans-Martin Linde. Ein Porträt, in: Tibia 3/1990, S. 199.
- Für Ferdinand [Conrad], in: Tibia 2/1992, S. 132.
- Capriccio und Ständchen. Gerhard Braun zum Sechzigsten, in: Tibia 2/1992, S. 133.
- Ein Hermannsdenkmal, in: Tibia 3/1992, S. 215.
- Hans Maria Kneihs. Ein Porträt, in: Tibia 4/1996, S. 263–271.
- Original und Bearbeitung, in: Tibia 1/1998, S. 41–42.
- Fantasie mit Phantasie. G. Ph. Telemanns 1. Fantasie für Travers- bzw. Blockflöte ohne Baß, in: Tibia 1/1999, S. XVII–XXIII.
- Fritz Jöde: Duette aus Sperontes‘ Singender Muse an der Pleiße (1736/1751), in: Tibia 4/2000, S. XIII–XX.
- Winfried Michel – Blockflötist, Lehrer und Komponist, in: Tibia 2/2001, S. 455–459.
- David Lasocki – Forscher in Sachen Holzblasinstrumente, in: Tibia 3/2001, S. 541–547.
- Günther Höller. Ein Porträt, in: Tibia 2/2002, S. 86–90.
- Krasnoludki/Die Zwerge von Kazimierz Serocki (1953/1975)
Teil 1, in: Tibia 4/2002, S. XIII–XVI.
Teil 2, in: Tibia 1/2003, S. XVII–XX.
- Inspirator maximus. Zum Tode von Nikolaus Harnoncourt (1929–2016), in: Tibia 3/2016, S. 203–205.
Ulrich Thieme/Eckart Hübner: Klaus Thunemann. EinPorträt, in: Tibia 2/1985, S. 353–356.
Katja Beisch/ Chats Devroop/Johannes Fischer/Martin Heidecker/Werner Heider/Gudrun Heyens/Hans Maria Kneihs/Hannah König/Hans-Martin Linde/Winfried Michel/Dorothee Oberlinger/Karel van Steenhoven/Nik Tarasov/Peter Thalheimer/Ulrich Thieme: Erinnerungen an Gerhard Braun, in: Tibia 2/2016, S. 107–118.