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Verfahren zur auditiven und visuellen Darstellung der Klangfarbenvariabilität historischer Flöten Fachartikel

 

Einleitung

 

Zur Zeit von Renaissance und Barock gehörte es zum gewohnten Hörbild von Flöten, dass die Klangfarbe stark von Ton zu Ton variiert. Dies ist einerseits durch die relativ einfache Bauform mit Grifflöchern bedingt, bei denen Klappen nur selten realisiert wurden. Daher sind verschiedene Gabelgriffe anzuwenden, die den Klang beeinflussen. Andererseits verlangte das ästhetische Ideal der Zeit eine starke Differenzierung in Rhythmus (Inégalité), Artikulation und Klangfarbe. Die Variation der Klangfarbe „von Ton zu Ton“ ist damit nicht einfach ein konstruktiver Mangel, sondern manifestiert sich als wesentlicher Teil damaliger Musikästhetik.

 

Grundsätzliche Veränderungen der Konstruktion bewirkten darüber hinaus Unterschiede im Timbre zwischen Renaissance- und Barockflöten sowie zur modernen Böhmflöte. Auch wenn das Bauprinzip der Böhmflöte eine verringerte konstruktionsbedingte Variabilität aufweist, so ist diese dennoch nicht vernachlässigbar. Allerdings wurden die Möglichkeiten der intentionalen Modifikation der Klangfarbe stark erweitert. Die heute immer noch zunehmende Popularität historischer Bauformen im Rahmen historisch informierter Aufführungspraxis (HIP) ist ein weiteres Indiz dafür, dass Ungleichmäßigkeiten wie die Klangfarbenvariabilität in der Klangästhetik ihrer Epoche nicht nur geduldet, sondern als sinnhaftes Charakteristikum aufgefasst wurden. Dies erschließt sich auch den Hörenden im 21. Jahrhundert. Vor dem Hintergrund des weiten Tonumfangs und deutlicher Variabilität der Klangfarbe von Ton zu Ton ist jedoch die Frage, wie es zu einer intuitiv klaren, zusammenfassenden Vorstellung des Klangs bekannter Instrumente im Bewusstsein kommt. Dazu ist es sinnvoll, die Veränderung des Klangs für alle Töne hörbar zu verdeutlichen und analytisch zu beschreiben. Zu diesem Zweck wurde ein subjektives Vergleichsverfahren entwickelt sowie ein spektral-analytischer Ansatz verfolgt. Dabei bietet sich die Verwendung von Farbskalen an, die spektrale Eigenschaften kodieren und einen schnellen Vergleich unterstützen. Dem assoziativen Gehalt der Klangfarbe kommt dabei besondere Bedeutung zu.

 

 

Klangfarbenvariabilität und Ästhetik des Barock

 

Auf die komplexe Verbindung von Instrumentalklang und Musikästhetik kann hier nicht ausführlich eingegangen werden. Wesentliche Paradigmen der Musik des Barock sollen jedoch kurz Erwähnung finden. Die Natürlichkeit steht im Vordergrund von Komposition und Interpretation. Als Folge einer Entwicklung der Instrumentalmusik aus der Vokalmusik gewinnt damit die Sprachähnlichkeit besondere Bedeutung für den individuellen Ausdruck der Musik. Dies geht einher mit der Forderung einer Stimmähnlichkeit des Instrumentalklangs. Zeitgenössische Autoren loben zum Beispiel die Stimmähnlichkeit von Zink, Viola da Gamba und Flöten [1].

 

Außermusikalische Konnotationen werden durch Prinzipien der musikalischer Figurenlehre unterstützt, die aus der Rhetorik übernommen wurden [2, 3]. Musik verfolgt das Ziel der Anregung und Illustration emotionaler Zustände, der Affekte. Hierzu wurden Listen musikalischer Formen und passender Tonarten veröffentlicht [1] oder Farbzuordnungen vorgenommen [4]. Dabei ist bestmögliche Deutlichkeit anzustreben [5]. Dies gilt besonders für die Oper, aber auch für die (oft opernhafte) Kirchenmusik der Aufklärung, in der die Erfahrung Gottes in der Natur in den Blick rückt [6]. Die Symbolik der instrumentalen Klangfarbe unterstützt dieses Bestreben, wenn etwa der Trompetenton entweder Majestätisches und den Bezug zum Militär versinnbildlicht, oder mit stark veränderter Klangfarbe des nunmehr gedämpften Instruments eine Trauermusik charakterisiert. Hiermit ist die Verbindung zu anderen Sinnesbereichen verbunden, wie bei der Musikalischen Malerei [3, 7, 8], die besonders im Barock viel bedeutsamer war, als es im Zuge der Begeisterung für die abstrakten Aspekte der Musik J. S. Bachs in der frühen Moderne akzeptabel erschien. Hier liegt die These nahe, dass die Ähnlichkeit instrumentaler Phrasen zum Gesang gerade durch eine ausgeprägte Variabilität der Klangfarbe unterstützt wird. Gesang ist ja durch eine Vielfalt an Klängen gekennzeichnet, die nicht durch den musikalischen Verlauf selbst, sondern durch die Vokalverteilung im Text bedingt ist. Ein einheitlicher Stimmklang ist nur bei ausgeprägt melismatischer Musik und beim textfreien Üben gegeben. Die zunächst aus Limitierungen des Instrumentenbaus entstehenden Ungleichmäßigkeiten der Tonskala finden auch auf diesem Weg ihren Platz im musikästhetischen Kontext der Zeit.

 

In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gewinnt auch das Problem der Zuordnung musikalischer Töne zu visuellen Farben an öffentlichem Interesse. In Frankreich experimentierte Bertrand Castel mit der Verbindung von Farben zu Tonhöhen – ein Bestreben, das durch Georg Philipp Telemanns enthusiastischen Bericht auch im deutschsprachigen Raum bekannt wurde [9]. Zahlreiche weitere Vorschläge zur Lösung des Problems folgten über die Jahrhunderte [10]. Zuordnungen von Farben zu Klangfarben wurden allerdings nur selten thematisiert. Im Rahmen der Synästhesieforschung ergeben sich heute neue Ansätze [11].

 

 

Klangfarbe und Qualia

 

Die wahrgenommenen Phänomene und ihre subjektiven Qualitäten, die Qualia, sind das, was als Ergebnis der Wahrnehmungsprozesse im individuellen Bewusstsein erscheint [12, 13]. Bei Hören bezieht es sich auf die Gestalt des Gehörten im Sinne der Gestalttheorie, also auf „das, was im Bewusstsein ist“ und „wie es in unseren Ohren klingt“. Die Etablierung der auditiven Gestalt untersucht Bregman [14]. Die wahrgenommenen Phänomene sind strikt individuell und kommunikativ nur sehr eingeschränkt vermittelbar, sodass die Frage nach der exakten Vergleichbarkeit bei verschiedenen Individuen unbeantwortbar bleibt. Daran ändert auch die Vielzahl der verfügbaren psychoakustischen Kenngrößen nichts, die aus Messergebnissen abgeleitet werden und spezifische gehörte Eigenschaften objektivieren (z. B. in [15]). Aus solchen deskriptiven Zahlenwerten lässt sich aufgrund der stets holistischen Natur des Hörbaren die wahrgenommene Gesamtgestalt nicht lückenlos zusammensetzen. Wird von einem Klang gesprochen, so ist die Gestalt des Gehörten gemeint, deren bestimmende Eigenschaft die Klangfarbe ist. Die Klangfarbe (timbre) ist als Attribut unmittelbar hörbar. Dies gilt nicht für die Tonhöhe (pitch), die zwar einen Einfluss auf die Klanggestalt ausübt und aus den Toneigenschaften ableitbar ist, als Parameter des Klanges aber nicht separat hörbar ist. Aus dem Qualia-Ansatz mit dem zentralen Aspekt der auditiven Gestalt ergibt sich somit auch eine andere Klassifizierung der Wahrnehmungsparameter als aus der Psychophysik.

 

Für die Wahrnehmung von Tönen sind Tonhöhe und Klangfarbe von besonderer Bedeutung. Musikalisch verwertbare Klänge bestehen zumeist aus einer Grundfrequenz und Obertönen, deren Frequenz beim Vielfachen der Grundfrequenz liegt. Jede dieser Frequenzen wäre für sich genommen als einfacher Pfeifton (Sinusschwingung) hörbar. Grundton und Obertöne werden hier als Partialtöne bezeichnet und mit f1 (Grundton), f2 (1. Oberton), f3 usw. bezeichnet. Ein Spektrum aus Grundton und Obertönen wird stets als ein Ton mit einer Tonhöhe und einer Klangfarbe gehört. Erst durch die charakteristische Zusammenstellung von Partialtönen unterschiedlicher Stärke entsteht der individuelle Klang der Musikinstrumente. Darüber hinaus tragen Verstärkungen der Obertöne in festen Frequenzbereichen – unabhängig von der Grundfrequenz des Einzeltones – bei manchen Musikinstrumenten und bei der menschlichen Stimme zum typischen Gesamtklang bei. Diese Formanten sind bei den hier betrachteten Flöten jedoch nicht ausgeprägt, sodass jeder Ton eine ganz eigene Klangfarbe aufweisen kann.

 

Mit Bezug zur Gesamtgestalt eines Klangs kann für die Klangfarbe festgehalten werden:

 

1.   Die spektrale Eigenschaft als Verteilung und Stärke der Partialtöne beeinflusst die Klangfarbe.

2.   Bei konstanter spektraler Eigenschaft ändert sich die wahrgenommene Klangfarbe mit der Tonhöhe.

 

Für die Betrachtung der Klangfarbenvariabilität von Musikinstrumenten ist es daher sinnvoll, die Verteilung der Partialtöne und die absolute Tonhöhe voneinander zu trennen, denn sowohl die spektrale Verteilung als auch die Grundfrequenz bestimmen qualitativ die Klangfarbe. Die Gesamtgestalt eines Tones ist aus beiden Anteilen jedoch nicht quantitativ ableitbar. In Abbildung 1 sind mit „Spektralanteil der Klangfarbe“ alle hörbaren Eigenschaften der spektralen Verteilung relativ zur Grundfrequenz f1 zusammengefasst.

 

Abb. 1: Konzept von Tonhöhe und Spektrum als Dimension der Klangfarbe
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Im Folgenden werden die Möglichkeiten und Probleme einer Trennung von Klangfarbe und Tonhöhe untersucht.

 

 

Subjektiver Vergleich

 

Zur Demonstration des Einflusses der spektralen Variabilität ohne Einfluss der Tonhöhe wird hier vorgeschlagen, alle Töne eines Instruments auf den gleichen Grundton zu normalisieren und nacheinander oder in Auswahl abzuspielen. So wird ein subjektiver Vergleich der Klangfarbenänderung von Ton zu Ton möglich. Spezielle Fragestellungen können dann im Hörversuch geprüft werden, wie etwa der Unterschied von Tönen, die mit Gabelgriffen gespielt werden, zu solchen mit Normalgriffen.

 

Die Trennung der spektral bedingten Klangfarbe von der Tonhöhe führt zu einem Klangfarbenprofil, das schnelle Vergleiche zwischen verschiedenen Instrumenten zulässt, und so auch die Anschauung der instrumentenspezifischen Variabilität stützt. Auf diese Weise kann auch der Einfluss des Kammertons (z. B. 415, 440, 466 Hz) und des Stimmungssystems eliminiert werden. Eine präzise Transformation der Tonhöhe auf den gewählten Normwert ist nur durch Dehnung oder Stauchung im Zeitbereich mit ausreichender Qualität möglich. Daher muss sich die Transformation auf den eingeschwungenen Zustand (steady-state) beziehen; Das Verhalten des Instruments bei attack und decay ist auszuklammern. Die Originalsignale dürfen keine zeitlichen Varianzen wie Vibrato, Crescendo/Decrescendo etc. aufweisen. Es hat sich bewährt, auch die Lautheit zu normalisieren.

 

Das Verfahren wurde anhand folgender Instrumente erprobt:

-   Barock f-Altblockflöte nach Pierre Jaillard Bressan (1663–1731), Buchsbaum, von Stephan Blezinger, a1=415 Hz; sowie weitere Blockflöten aus Renaissance und Barock, die hier aus Platzgründen nicht dokumentiert sind.

-   Barock-Traversflöte nach Carlo Palanca (1688–1783) von Wenner, a1=440 Hz.

-   Böhmflöte von Muramatsu, Vollsilber, Ringklappen, Kopfstück: von LaFin, Vollsilber/Weißgold; sowie eine weitere Böhmflöte, a1=440 Hz.

-   Einfaches Keyboard Yamaha PSR E453, a1=440 Hz.

 

Abb. 2: Effekt der Frequenz-Normalisierung zum subjektiven Vergleich des Spektralanteils der Klangfarbe
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Die betrachteten Barockinstrumente sind Nachbauten historischer Originale, bei denen Modifikationen des Herstellers nicht auszuschließen sind. Alle Instrumente wurden von Profi-Musikern so gespielt, wie beim Üben aufwärts gerichtete, chromatische Tonskalen realisiert werden. Bewusste Modifikationen durch Alternativgriffe und Ansatz, denen bis ins 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle zukommt [16], wurden ausgeklammert.

 

Abbildung 2 illustriert den Effekt des Verfahrens auf die wahrgenommene Klangfarbe. Das untersuchte Keyboard, bei dem ein gegebenes Spektrum zur Generierung der Töne einfach in der Frequenz verschoben wird, führt bei der Rücktransformation auf eine Grundfrequenz logisch zur Wahrnehmung einer identischen Klangfarbe. Die Klangfarben-Variabilität der Blasinstrumente wird jedoch deutlich und kann subjektiv verglichen werden. Es ist allerdings zu unterstreichen, dass die hier verglichenen Klangfarben mit Ausnahme des Tons, der bereits die Referenztonhöhe aufweist, nicht dem natürlichen Klang bei der Originaltonhöhe entsprechen. Es handelt sich um ein künstliches Konstrukt, aus dem nicht einfach intuitiv auf den Originalklang geschlossen werden kann. Ein Vergleich der Variabilität über die gesamte Skala ist dennoch eindrucksvoll möglich.

 

 

Spektrale Klassifizierung

 

Anhand der normalisierten Tonsignale ist natürlich auch ein objektiver Vergleich der Spektralverteilung der Partialtöne entsprechend Abbildung 3 möglich. Für den Vergleich der wahrnehmungsrelevanten Unterschiede bieten sich die bekannten psychoakustischen Parameter an. Die wahrgenommene Gesamtqualität wird jedoch durch assoziative Aspekte entscheidend bestimmt, die sich durch solche Parameter nur ungenügend abbilden lassen. Für die Gesamtwahrnehmung der Qualia ist das „es klingt wie“ von entscheidender Bedeutung. Daher wird hier als Verfahrenstest zunächst eine subjektive Zuordnung der Spektren zu Grundmustern durchgeführt. So wird der assoziative (ikonische) Gehalt der Klangfarbe ermittelt, der auf typische Spektren anderer Instrumente verweist. Der Fokus auf die Verteilung der Partialtöne ähnelt so dem Helmholtz'schen Ansatz zur Erklärung der Klangfarbe [17].

 

 

Abb. 3: Spektrales Profil mit normalisierter Grundfrequenz sowie Grifflochmuster für die untersuchte Barock-Altblockflöte
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Abbildung 3 dokumentiert zusätzlich das Lochmuster, so wie es akustisch wirksam ist. Bei Instrumenten mit Klappen weicht dies vom Griffmuster ab, denn Klappen werden entweder durch Fingerdruck geöffnet oder geschlossen. Zur Unterscheidung erscheint die Bezeichnung acoustic fingering pattern sinnvoll. Bei der untersuchten Altblockflöte entspricht das Lochmuster der Fingeraktion.

 

Abbildung 4 zeigt als typische Spektren der Altblockflöte:

-          Dominante Grundfrequenz f1

-          Chalumeauartiges Spektrum mit f1, f3, f5

-          Streicherartiges Spektrum mit vielen Partialtönen

-          Prinzipalartiges Spektrum mit unterdrückter f2

 

Für einen intuitiven Vergleich der Variabilität werden hier Farben verwendet, die sich auf die spektralen Grundtypen beziehen – der Farbton wurde willkürlich gewählt.

Abb. 4: Typische Spektren der Alblockflöte entsprechend Abbildung 3
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Abbildung 5 zeigt darüber hinaus typische Spektren, die ausschließlich bei Querflöten vorkommen.

 

 

Abb. 5: Typische Spektren von Querflötentönen.
(links: Traversflöte nach Palanca, rechts: Böhmflöte)
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Die untersuchten Querflöten zeigen einen weiteren Spektraltyp mit ausgeprägter f2, der bei Blockflöten fehlt. In Anlehnung an Lerch wird dieser Typ hier als „oktavial“ bezeichnet, im Gegensatz zum Chalumeauartigen, „duodezimalen“ Spektrum [18]. Besonders in der tiefen Lage von Querflöten kann der Partialton f2 den Grundton an Stärke übertreffen (Abbildung 5 links). Das Herausarbeiten dieses Partialtons wird von Querflötenspielenden besonders geübt, da auf diesem Weg der Sprung in die nächsthöhere Lage möglich ist. Die Frequenz dieses Partialtons liegt genau eine Oktave über dem Grundton. Querflöten benötigen daher weder ein Daumenloch noch Überblasklappen. Umgekehrt betrachtet, ist das Überwiegen Chalumeauartiger Spektren bei Blockflöten der Grund für die Notwendigkeit des Daumenlochs, da der zweite Partialton nicht ausgeprägt ist.

 

Tiefe Töne der Böhmflöte weisen oft ein breites Spektrum an Partialtönen auf. Bei einzelnen Tönen gelingt es, den Grundton abzuschwächen, was die Expressivität der Klangfarbe erhöht (Abbildung 5 rechts).

 

Ein Vergleich der Farbskalen für verschiedene Instrumente in Abbildung 6 visualisiert die Unterschiede in der Variabilität der Klangfarbe. Bei Blockflöten überwiegt der Chalumeauartige Charakter. Die oktavialen Töne sind bei den Querflöten deutlich. Wenn der  Charakter der Klangfarbe im Vergleich zu Abbildung 4 und 5 weniger deutlich erscheint, wurde die Farbe entsprechend aufgehellt.

 

 

Abb. 6: Farbskalen zur spektralen Klassifizierung der Klangfarbe an drei der untersuchten Instrumente.
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Schlussfolgerungen

 

Die erprobten Verfahren vermitteln einen schnellen Eindruck der Variabilität über die gesamte Skala hinsichtlich der assoziativen, schwer quantifizierbaren Aspekte der Klangfarbe. Das Verfahren des subjektiven Vergleichs frequenznormalisierter Klänge kann für den subjektiven Vergleich einzelner Töne sinnvoll eingesetzt werden, z. B. von Tönen, die mit bzw. ohne Gabelgriffe gespielt werden. Bei konstanter Grundfrequenz sind die Spektren einfach vergleichbar und können auf die Ähnlichkeit mit verschiedenen Instrumententypen untersucht werden. Farbskalen sind geeignet, den schnellen Überblick über die assoziativen Eigenschaften und die Variabilität des Klangs von Ton zu Ton plausibel zu unterstützen.

 

Die assoziative Zuordnung der Spektren zu Grundtypen erfolgt hier über einen subjektiven Vergleich der gemessenen Spektren. Dies kann mit Hilfe von Spektraldatenbanken und mathematischen Verfahren verbessert werden. Die Grenzziehung zwischen verschiedenen Mustern ist jedoch stets diffizil. Dies betrifft die Unterscheidung zwischen starken und schwachen Ausprägungen ebenso wie die Definition von Mischformen.

 

Im Versuch mit den Nachbauten zeigt sich die ausgeprägte Variabilität der Klangfarbe historischer Flöten aus Renaissance und Barock. Da dieses Verhalten durch die akustischen Gegebenheiten des Instruments bedingt ist, entspricht die beobachtete Variabilität im Groben den historischen Originalen. Dies kann durch akustische Messungen geprüft werden, ohne die Instrumente anblasen zu müssen. Blockflöten zeigen eine Tendenz zu Chalumeauartigen Spektren mit den ungradzahligen Partialtönen (f1, f3, f5, etc.), während ein oktaviales Verhalten mit dominierendem zweiten Partialton f2 für den Querflötenklang typisch ist.

 

Böhmflöten zeigen in diesem Versuch zwar eine geringere Variabilität der Klangfarbe, jedoch beim Spielen chromatischer Skalen auch keinen ausgeprägten „Ein-Register-Klang“ (wie von G. Scheck 1975 thematisiert [19]). Sie sind von den Spielenden in weiterem Umfang klanglich modifizierbarer als ihre historischen Vorgänger, was bei diesem ersten Versuch jedoch ausgeklammert wurde.

 

Weiterer Klärung bedürfen Fragen über den Bezug der Klangvariabilität zur Musikästhetik der Zeit sowie zu ihrer Bedeutung für die Interpretation im Sinne der historisch informierten Aufführungspraxis. Es ist jedoch deutlich, dass die natürliche Klangfarben-Variabilität historischer Flöten die Individualität und Auffälligkeit erhöht. Dies fördert auch die Sprachähnlichkeit musikalischer Sequenzen und die Natürlichkeit des Ausdrucks. Auch relativ leise Instrumente können sich damit im Gesamtklang durchsetzen. Der zeittypische Spaltklang manifestiert sich nicht nur zwischen den Instrumenten, sondern bereits im einzelnen Instrument.

 

 

Danksagung

 

Ich bedanke mich herzlich bei Eva Kuen für fachliche Unterstützung, Rat und Korrekturen. Darüber hinaus gilt ihr mein Dank neben Alexandra Kollo und Anja Lautermann für das Einspielen der Instrumentalklänge.

 

 

Literatur

[1] Mattheson, J.: Das Neu-Eröffnete Orchester. Hamburg 1713.

[2] Bartel, D.: Handbuch der musikalischen Figurenlehre. Laaber Verlag, Lilienthal 72017.

[3] Arnold, J.: Biblisch-poetische Bilder, musikalisch inszeniert. In: K. Hock et al. (Hg.): Bachzitate – Widerhall und Spiegelung. Übergänge zwischen Klang und Bild im Anschluss an Bach. transcript, Bielefeld 2021, S. 19–74.

[4] Couperin, F.: Folies franҫoises, ou les dominos, Troisième livre de Pièces de Clavecin. Chez l'Auteur, Boivin, Paris 11722.

[5] Hobohm, W.: Deutlichkeit als kompositorisches Prinzip bei Telemann. In: Nowak, A.; Eichhorn, A.: Telemanns Vokalmusik. Georg Olms, Hildesheim 2008, S. 11–28.

[6] Schleuning, P.: Die Sprache der Natur. Natur in der Musik des 18. Jahrhunderts. Metzler, Stuttgart 1998.

[7] Ruf, W.: Malen und Ausdrücken in der Musikästhetik des 18. Jahrhunderts. In: C. Lange, B. Reipsch (Hg.): Telemann, der musikalische Maler. Georg Olms, Hildesheim 2010, S. 33–43.

[8] Haverkamp, M.: Synästhetische Wahrnehmung und das Visuelle in der Musik des Barock. In: K. Hock, T. Klie (Hg.): Bachzitate – Widerhall und Spiegelung. Übergänge zwischen Klang und Bild im Anschluss an Bach. transcript, Bielefeld 2021, S. 217–254.

[9] Telemann, G. Ph.: Beschreibung der Augen-Orgel oder des Augen-Clavicimbels, so der berühmte Mathematicus und Jesuit zu Paris, Herr Pater Castel, erfunden und ins Werk gerichtet hat. Piscator, Hamburg 1739.

[10] Jewanski, J.: Ist C = Rot? studio, Sinzig 1999.

[11] Sidler, N. und Jewanski, J. (Hg.): Farbe-Licht-Musik. Synästhesie und Farblichtmusik. Peter Lang, Bern 2006.

[12] Nagel, T.: What Is It Like to Be a Bat? In: The Philosophical Review, Vol. 83, No. 4 (Oct. 1974), S. 435–450, www.jstor.org/stable/2183914 (23.8.2021).

[13] Haverkamp, M.: Wie klingt, was wir hören? Das Qualia-Problem in der Akustik. DEGA, Berlin 2019, S. 820–23.

[14] Bregman, A. S.: Auditory scene analysis. MIT Press, Cambridge (MA) 1990.

[15] Peeters, G.; Giordano, B. L.; Susini, P.; Misdariis, N.; McAdams, S.: The Timbre Toolbox: Extracting audio descriptors from musical signals. JASA 130, 2902 (2011), DOI: 10.1121/1.3642604.

[16] Fürstenau, A. B.: Die Kunst des Flötenspiels in theoretisch-practischer Beziehung, Op. 138. Breitkopf und Härtel, Leipzig / J. Meissonnier, Paris 1844.

[17] Helmholtz, H.: Die Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik. Braunschweig 1863.

[18] Lerch, T.: Der Klang historischer Blockflöten. In: G. Wagner (Hg.): Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz. J. B. Metzler, Stuttgart 1997, S. 146–168.

[19] Scheck, G.: Die Flöte und ihre Musik. B. Schott’s Söhne, Mainz 1975.

 

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Über den Autor / die Autorin
Michael Haverkamp ,