Musikinstrumente + Verlag GmbH

MOECK • Lückenweg 4  D-29227 Celle

Tel +49-5141-8853-0  info(at)moeck.com

TIBIA:

Portal für Holzbläser

„Ich sehe mich eher als jemanden, der Wege weitergeht als sie komplett neu einschlägt.“ Jasmin Röder im Gespräch mit der Blockflötistin Anna Stegmann Porträts

Foto: © Marco Borggreve

 

Jasmin Röder: Liebe Frau Stegmann, Sie sind eine äußerst erfolgreiche und vielseitige Blockflötistin, die in fast jedem Genre zuhause ist. Sie spielen Konzerte, kreieren neue Konzertformate und lehren zusätzlich an der Royal Academy of Music in London. Wie ist das alles zu vereinbaren und woraus schöpfen Sie neue Ideen?

 

Anna Stegmann: Ich glaube, dass es genau diese Kombination von Aktivitäten ist, die mich zu Ideen inspiriert. Im Moment gestaltet sich mein Berufsleben zu etwa 50/50 aus Unterrichten in verschiedenen Formaten und dem Musizieren mit meinen Ensembles:

 

Da gib es einerseits Masterclasses, Workshops und die Lehre an der Royal Academy of Music in London. Dabei genieße ich nicht nur die Arbeit mit angehenden Profis, sondern es ist eine spannende Herausforderung, ab und zu ein Orchester mit 80 Amateurmusikern und -musikerinnen zu dirigieren oder Teenager zu unterrichten. Andererseits nehme ich viele Ideen aus dem Unterricht mit meinen Studierenden in London in die Praxis als Musikerin mit, sei es was Repertoire, Programmkonzepte oder mein eigenes Üben betrifft. Ich merke, dass ich selbst aktiv und in Form bleiben muss, um diese Arbeit gut machen zu können. Dem gegenüber stehen deshalb das Verwirklichen meiner eigenen Projekte, sei es als Solistin oder Teil eines Ensembles. Ich habe das große Glück mit kreativen, vielseitig talentierten und vor allem sehr unterschiedlichen Musikerpersönlichkeiten zusammenarbeiten zu dürfen.

 

Besonders hervorzuheben wäre da mein eigenes Barockensemble Ensemble Odyssee, mit dem wir üblicherweise hochbarocke Musik programmieren. Dann gibt es aber auch die Projekte mit dem Barockgeiger Jorge Jiménez. Da spielt man in einer Woche schon mal erst ein Telemann-Konzert und reist dann weiter zu einem Projekt mit eigenen Arrangements und Neuer Musik. Diese Abwechslung mag ich sehr und es kommt keine Langeweile auf. Die beiden Pole Unterrichten und Spielen halten sich bei mir ein gewisses Gleichgewicht und ergänzen einander.

 

Während des Lockdowns haben Sie ein Online-Konzertformat entwickelt und ihre neueste CD ZENITH überzeugt mit einer Neuinterpretation der historischen Aufführungspraxis.

Kurzum Sie scheuen nicht davor zurück neue Wege einzuschlagen, um die Blockflöte in ein neues Licht zu rücken. Welche Erfahrungen haben Sie mit diesen neuen Projekten gemacht? Wie kommen diese bei Ihren Zuhörenden an?

 

Ich sehe mich eher als jemanden, der Wege weitergeht als sie komplett neu einschlägt. Ich gehöre mittlerweile zu der 3.–4. Generation von professionellen Spielern nach dem Zurückkehren des Instruments auf die Konzertbühnen und wir schauen auf Jahrzehnte von erfolgreichen Blockflötistinnen und Blockflötisten und deren teils sehr unterschiedliches musikalisches Erbe zurück. Dass heute die meisten großen Blockflötenwerke (oft) in großer Auswahl auf CD eingespielt sind und nicht zuletzt auch das Internet und die nicht ausbleibende Verbindung miteinander und das Wissen voneinander über die Sozialen Medien haben zur Folge, dass vom oft gut informierten Zuhörer ein sehr hohes Niveau erwartet wird. Wer eine konventionelle Aufnahme aller Telemann-Sonaten oder -Fantasien machen möchte, begibt sich da nicht nur in sehr gute Gesellschaft, sondern muss sich darum fragen, was er hinzufügen möchte.  

 

Auch meine Onlinekonzerte sind keinesfalls eine Neuerfindung des Genres oder eine Neuinterpretation des Repertoires. Nach anfänglichem Hadern zu Beginn der Pandemie etwas zu dem schon breiten Angebot an Musikvideos beizutragen, wollte ich mir nun erst bewusst machen, was ich anders machen wollte. Da habe ich mehrere Wochen genau beobachtet, um zu analysieren, was meiner Ansicht nach gut funktionierte und was ich eher vermeiden wollte.

 

Das Grundkonzept für dieses Projekt basiert also auf dem, was ich in einigen Streams, die auf meiner Socialmedia-Timeline vorbeizogen, vermisst habe: die Nähe zwischen Ausführenden und Publikum und ein Programm, das darauf zugeschnitten ist, von zu Hause aus auf einem Bildschirm (höchstwahrscheinlich einem Smartphone oder Tablet) konsumiert zu werden. Gerade letzteres hat auch meine Programme stark beeinflusst. In einem Konzertsaal zu sitzen und einem Konzert zu einem vorab im Kalender reservierten Termin zu lauschen, ist in Zeiten der ständigen Erreichbarkeit für viele Menschen zu einer wirklichen Oase geworden. Wenn wir unserem Publikum aber zu Hause auf einem Bildschirm begegnen, bestehen nicht unbedingt die gleichen Hörvoraussetzungen.

 

Ich kam zu dem Schluss, dass meine eigenen Onlinekonzerte nicht länger als 20 Minuten dauern sollten und dass es erforderlich war, über den Stil der Aufnahme von Film- und Audiomaterial nachzudenken. Ich wählte Kompositionen, die mich seit längerem begleiteten und die ich einfach gerne spielte. Diese habe ich in einem Gesamtkonzept zu einer Storyline verbunden und das Rezital in drei Episoden, nicht ganz unähnlich wie wir es von Netflix & Co kennen, ausgesendet. Das Repertoire ist also gar nicht neu interpretiert, sondern eher durch die Präsentation und Verbindung miteinander in ein anders Licht gerückt. Dabei hatte ich viel Spaß, mit allen Möglichkeiten des Videoschnitts zu experimentieren.

 

Bei den Projekten mit Jorge Jiménez mussten wir uns anderen Herausforderungen stellen. Ein spannender Teil unserer Zusammenarbeit ist, dass es wenig Originalrepertoire für Blockflöte und Violine solo gibt. Fast alles, was wir spielen, muss arrangiert oder in Auftrag gegeben werden. Was sich anfangs wie ein Hindernis anfühlte, ist unsere Stärke geworden und macht das Proben zu einem wirklich erfüllenden, kreativen Prozess. Tatsächlich denke ich, dass der Mangel an Originalrepertoire uns dazu gezwungen hat, die Konzepte unserer Live-Konzerte zu überdenken: Auf welche musikalische Reise wollen wir unsere Zuhörer mitnehmen? Welche Themen fesseln das Publikum? Wie können wir kurze Stücke und verschiedene Musikstile miteinander verbinden und dabei ein fließendes Konzerterlebnis garantieren?

 

In unseren Programmen ist alles von Berio, Biber, Ciconia, Bartók, Merula, Satie und Live Electronics dabei. Neben zeitgenössischen Werken, etwa dem Stück Nadir von Christos Hatzis, haben wir Musik arrangiert, die ursprünglich für Tasteninstrumente komponiert wurde, wie z. B. Chick Coreas Children’s Songs. Die Klangwelt dieser kurzen musikalischen Kostbarkeiten bietet sich wie von selbst an, es war kein „Eingreifen“ in den Notentext erforderlich. Mit der Möglichkeit, dass unsere zwei unterschiedlichen musikalischen Stimmen diese ursprünglich für ein homogen klingendes Instrument gedachte Musik interpretieren, entfaltet sich selbst ein ganz neuer klanglicher Farbenreichtum. Das Ergebnis ist, dass wir (auf den ersten Blick) willkürliche Stücke miteinander verbinden, diese verschiedenen Musikstile und Extreme aber nebeneinander existieren dürfen und können. Die Stücke im Konzert scheinen so aus nur einer einzigen Welt zu kommen: aus dem Hier und Jetzt.

 

Wir haben in Live-Konzerten des letzten Jahres gemerkt, dass diese Art von Konzerterlebnis die Zuhörer und Zuhörerinnen berührt. Zugegeben, einige Konventionen schmeißen wir dabei über Bord und was man heute als „historisch informiert“ versteht, rückt da in den Hintergrund (z. B. spielen wir einen raffinierten Kanon von Ciconia mit Live Electronics in der Bassstimme). Bei diesem Projekt erlauben wir uns das und bisher hat es noch niemanden gestört. Es ist aber bestimmt nicht jedermanns Ding.

 

Welche spannenden und neuen Projekte sind denn für die Zukunft geplant? Können Sie uns einen kleinen Einblick gewähren? Gibt es vielleicht ein Traumprojekt, dass Sie gerne verwirklichen möchten?

 

Ab Anfang 2023 werde ich mit meinem Soloprogramm Fantasy & Design (angelehnt an die Onlinekonzerte) touren, zuerst in Australien und danach mit ein paar Konzerten in Europa. Vor der Pandemie hätte ich es mir nicht träumen lassen mit einem abendfüllenden Programm ganz ohne Ensemble aufzutreten. Mittlerweile freue ich mich auf diese Herausforderung. Zwar ist das kein Traumprojekt im üblichen Sinne, aber es übersteigt doch in vielerlei Hinsicht das, was ich für möglich gehalten hätte. Und mal ganz ehrlich über Träume gesprochen: die muss man haben (aber nicht immer erzählen!). Und dann kann man den Weg dorthin auch peu à peu gehen.

 

Daneben liegen noch verschiedene Konzepte mit Alter und Neuer Musik in der Schublade. Unter anderem würde ich gerne den dritten Teil der „Englischen Konzerte“ aufnehmen, die wir mit Ensemble Odyssee und den CDs mit Musik von Babell und Woodcock, vorgelegt haben. Ich habe dieses Projekt immer als Trilogie betrachtet, aber bisher mit dem dritten Teil, den Konzerten von Baston, gewartet. Manchmal ist es vernünftig sich Zeit zu nehmen und erst neue Einsichten zu gewinnen, bevor man weitergeht.

 

Eine Frage, die mich und viele junge Blockflötistinnen und Blockflötisten umtreibt, ist, wie es mit der Blockflöte und der klassischen Musik in Zukunft weitergehen soll? Welche Wege müssen eingeschlagen werden, um das Publikum für sich zu gewinnen? Wie und wo sehen sie die Zukunft der Blockflöte?

 

Bei Förderanträgen, die ich in den Niederlanden stelle, wird immer wieder nach Analysen zum Publikumsverhalten und Strategien zum Werben um eine neue (gerne auch junge) Zuhörerschaft gefragt. Es ist sicher richtig, das alles zu verstehen, zu analysieren und auch nach Ablauf von Projekten zu reflektieren und auf Erkenntnisse zu reagieren. Rückblickend auf meine eigenen Projekte beobachte ich, dass wir mit Ensembles manchmal zwanghaft versucht haben etwas zu „erneuern“ oder „hip“ zu machen um der Erneuerung Willen – und weniger aus dem dringenden eigenen Wunsch. Am Ende waren aber immer die Projekte beim Publikum erfolgreich, die aus einer künstlerischen Überzeugung und dem eigenen Enthusiasmus für ein Thema kamen und der Qualität, die man dann mit harter Arbeit und Elan schaffen kann. Man kann sich auch nur Stunden, Tage, Monate die Nächte mit dem Planen eines Projektes um die Ohren schlagen und Leute dafür entzünden, wenn die Flamme selbst in einem brennt.

 

Man sollte sich auch daran erinnern, dass die wenigsten Musikerinnen und Musiker von Tag eins an die großen Säle bespielen oder gar füllen. Selbst wer mit dem Instrument einen wichtigen Wettbewerb gewinnt, kann danach nicht erwarten, dass am nächsten Tag das Telefon non-stop mit Konzertanfragen klingelt. In aller Regel muss man ein Publikum langsam aufbauen, konstant ansprechen und mit auf seinen Weg nehmen. Ich glaube, dass wer erfolgreich mit der Blockflöte sein möchte, es vor allem selbst unglaublich gerne machen sollte. Ob das nun Unterrichten in einer Musikschule ist oder eine Karriere mit vielen Konzerten. Für all das braucht man Energie und die Liebe für das, was man tut. Ach, ich glaube, das gilt sogar für alle Berufe. Das mag etwas naiv und versimplifiziert klingen, aber für mich steht die Motivation am Anfang aller Dinge. Mit Motivation kann man viele Herausforderungen bewältigen und sich danach immer noch sämtliche clevere Marketingstrategien zu eigen machen und anwenden.

 

Wer sich selbst in Zukunft mit der Blockflöte als (Haupt-)Instrument sieht, hat mittlerweile viele Möglichkeiten. Wir können überall dort sein, wo wir uns selbst sehen. Neben ein paar sehr wenigen Solistinnen oder Solisten, die über die Grenzen unserer Szene hinaus bekannt sind, gibt es viele engagierte und hoch qualifizierte Blockflötenpädagoginnen und Pädagogen, die erstaunliche Talente hervorbringen, wir haben eine Blockflöten-Influencerin die mit 175k+ Subscribern auf YouTube fast wöchentlich mit Blockflötenthemen tausende Menschen in der ganzen Welt begeistert und sehr viele Blockflötistinnen und Blockflötisten vertreten in verschiedenen Ensembleformationen regelmäßig unser Instrument in Konzertsälen und Festivals weltweit. All diese Facetten des Berufslebens nehmen einen wichtigen Platz nebeneinander ein. Ob man nun am laufenden Band Blockflötenkonzerte vor Tausenden von Leuten spielt, wichtige Basisarbeit an den Musikschulen betreibt, historische Quellen studiert, ein Ensemble managed und damit konzertiert, bei lebenden Komponistinnen und Komponisten neue Orchesterwerke mit Soloblockflöte in Auftrag gibt oder in einer dunklen Bar mit einer Jazzband jamt – all das zusammen (und noch so viel mehr!) ergibt doch ein tolles Kaleidoskop und wir sind in vielen Bereichen des (klassischen) Musikbusiness und der Gesellschaft präsent.

 

Wer sich über die Zukunft der klassischen Musik und Publikumszahlen im allgemeinen Sorgen macht, muss vor allem darin investieren, dass junge Leute, am besten schon von früh auf, mit jeder Art von Musik und Instrumenten in Berührung kommen. Da ist auch die Politik gefragt, weil diese Dinge oft nicht am Interesse, sondern am Geld scheitern. Die Chancen, dass wir diejenigen dann irgendwann im Konzertsaal wiedersehen, sind einfach größer. In welchem Alter mein Publikum ist, ist mir tatsächlich fast egal, solange es das Leben der Menschen bereichert. Einige meiner Ensembles (z. B. The Royal Wind Music), haben seit einigen Jahren aber z. B. Familienkonzerte (ganz bewusst keine Kinderkonzerte) mit im Programm. Ein bereicherndes Erlebnis für jeden im Saal.

 

Übrigens finde ich, dass in unserer kleinen Blockflötenwelt alle sehr gut miteinander verbunden sind: wir kennen einander, begegnen einander (im Großen und Ganzen) mit Respekt und es herrscht im Allgemeinen ein Gefühl von Freundschaft und Kollegialität. Das merke ich immer wieder, aber nicht nur, bei den Open Recorder Days Amsterdam, die ich mit organisiere und wo man sich (pre-COVID!) vier Tage lang freundschaftlich in den Armen lag.

 

Sie sind eine vielseitige Blockflötistin, haben ihr Studium in Deutschland und den Niederlanden absolviert und unterrichten in England. Welche Erfahrungen haben Sie hierbei gesammelt? Wie unterschiedlich sind die Ausbildungswege und die Art zu musizieren?

 

Nach meinem Studium bei Winfried Michel an der Musikhochschule Münster habe ich vier Jahre im Block in Amsterdam bei Paul Leenhouts studiert. Der Unterricht, der dort auf einem einmonatigem „masterclass system“ basiert, war zu dem Zeitpunkt (soweit ich weiß) immer noch etwas Besonderes. Nach vier Jahren fokussiertem und methodischem Unterricht bei Winfried Michel war Amsterdam erst einmal ganz anders: ich hatte nur einmal im Monat Unterricht, was Eigenverantwortung und Motivation erforderte und ich war konstant gefordert mich von meiner besten (musikalischen) Seite zu zeigen. Gar keine so schlechte Vorschau auf das Berufsleben. Das gelang phasenweise aber nur mit der soliden Basis und dem Selbstbewusstsein, das ich aus Münster mitgenommen hatte.

 

An die Royal Academy in London bin ich im Jahr 2014 auf Initiative von Pamela Thorby gekommen. Pamela hat mich eingeladen, um meine Ideen, vor allem nach den Erfahrungen, die ich im Block mit neuer Musik und Consortspiel bei The Royal Wind Music gemacht hatte, in den Unterricht mit einfließen zu lassen. Das war eine sehr angenehme und inspirierende Zusammenarbeit, im Grunde Teamteaching. Ich konnte von Pamelas jahrelanger Erfahrung als Musikerin und Pädagogin lernen und sie war offen für meine Vorschläge.

 

Die englischen Musikhochschulen und die Ausbildung vor dem Studium funktionieren schon etwas anders. Alle jungen Musikschüler und Studierenden sind z. B. versiert, was das Spielen von Tonleitern, Akkorden und Blattlesen betrifft. Das hat viel mit den Grade Exams zu tun, in denen u. a. diese technischen Aspekte des Spiels trainiert werden. Die meisten Instrumentalisten durchlaufen diese in acht Grades aufgeteilten Prüfungen vor dem Studium. Und auch in den ersten drei Jahren des Bachelorstudiums gibt es noch Technique Exams. Da geht es dann weniger um das Abspielen von Tonleitern und Akkorden, sondern der Begriff „Technique“ darf weiter gefasst werden. Z. B. schaue ich mit meinen Studierenden nach historischen Artikulationen und Übungen, „Orchesterstellen“ aus Kantaten und Opern und es werden eigene Studien konzipiert oder von anderen Instrumenten transkribiert etc.

 

Darüber hinaus ist mein Eindruck, dass junge Leute in England es gewohnt sind, viel schneller neue Stücke einzustudieren. In meinem ersten Semester genügte es mir Woche um Woche an der zweiten Bachschen Cellosuite zu arbeiten und ein schweres japanisches Solostück zu perfektionieren. Ich denke immer noch, dass ich da viel gelernt habe und es mir keinen Moment langweilig war. Meine Studierenden im ersten Jahr wären da, glaube ich, nicht begeistert und viele Projekte und „performance classes“ setzen ein gewisses Pensum an Repertoirestudium voraus.

 

Ich mag es sehr, all diese unterschiedlichen Arbeitsweisen kennenzulernen. Es wird nie langweilig und man gewinnt eine gewisse Flexibilität sich auf Neues einzulassen.

 

Basierend auf Ihren Erfahrungen als erfolgreiche Blockflötistin und ihrer eigenen Ausbildung, welche Werte möchten Sie ihren Studierenden mitgeben? Mit welchen Fähigkeiten und damit meine ich nicht nur musikalischer Art, sollten künftige Blockflötistinnen und Blockflötisten ausgestattet sein?

 

Wenn ich auf meine eigene Ausbildung zurückschaue, bin ich dankbar bei Winfried Michel eine sehr umfassende Grundausbildung bekommen zu haben, um danach in Amsterdam eine gewisse „Narrenfreiheit” zu genießen. Die Wichtigkeit der Kenntnis über die verschiedenen Stile und wichtige Quellen der Alten und Neuen Musik gebe ich auch an meine Studierenden weiter. Es ist ein Muss, dass jeder sich mal mit französischen Verzierungen beschäftigt, man stilistisch handfeste Verzierungen zu Corelli (oder ähnlichen Italienern) wenn nicht gar improvisieren, dann doch „komponieren” kann (die Liste ist natürlich viel länger). Dabei schließe ich es nicht aus, dass sich eine Studentin oder ein Student mit solider Basisausbildung im Masterstudium auf Neue Musik für Bassblockflöten spezialisiert. Aber unser Berufsleben ist zu breit und unser Repertoire zu bescheiden, um irgendetwas von Beginn an auszuschließen. In einem 4–6+-jährigen Studium sollte man sich die Zeit nehmen, all das kennenzulernen. Ganz wichtig finde ich das Bewusstsein, dass man nicht alles im Studium lernen kann und man ganz und gar nicht „fertig” ist nach dem Abholen des Zeugnisses. Wenn ich auf meine eigene Entwicklung zurückschaue, dann habe ich vor allem in den letzten zehn Jahren durch Projekte und das Vertiefen in ein Thema vieles gelernt was Aufführungspraxis und Stilistik betrifft. Ein Studium kann immer nur eine Basis legen, Werkzeuge zum selbstständigen Arbeiten geben und hoffentlich Lust auf mehr machen. 

 

Im Allgemeinen beschäftigen wir uns viel zu oft mit dem Vorhersehen. Am liebsten möchten wir vor Beginn des Studiums schon wissen, womit wir in Zukunft unser Geld verdienen. Wobei es für jeden der ein Blockflötenstudium beginnt wichtig ist, sich über die Berufsrealitäten bewusst zu sein, ist es doch auch wahr, dass schon während der vier Jahre eines Bachelorstudiums, sich die Musikwelt rapide ändern kann, sei es durch eine Pandemie, eine Finanzkrise, das Wegfallen (oder Auftauchen!) von Geldern für den Kulturbereich.

 

Während der Studienzeit sollte man die Möglichkeit nutzen, sich neben dem Standartcurriculum sehr breit aufzustellen, sowohl akademisch, pädagogisch als auch organisatorisch. Wer in Zukunft z. B. viel auf der Bühne stehen möchte, muss unbedingt Ensembles formen, die einem Zeit geben zu experimentieren. Wir Blockflötistinnen und Blockflötisten stehen eigentlich nie allein auf dem Podium und eine Musikhochschule ist der Ort, um sich zu vernetzen und eine Basis für die Zukunft zu legen. Ich kann nur dazu raten, so früh wie möglich in ganz verschiedene Bereiche des Musikerdaseins hineinzuschauen. Vielleicht entdeckt man, dass man unglaublich gerne mit Kindern arbeitet und das zum Zentrum seiner Arbeit mit der Blockflöte machen möchte. Man denke aber auch an Repertoire editieren und arrangieren, Programme erstellen und Konzerte organisieren. Fehler macht man immer, aber je früher man sie begeht, desto kleiner die Chance, dass man sie wiederholt, wenn es darauf ankommt.

 

In unserem Beruf als Musiker und ganz besonders als Blockflötist ist es darüber hinaus überlebenswichtig eine gewisse Grundmotivation mitzubringen. Es ist einfach so, dass wir viel seltener „gebraucht” werden als z. B. ein Streicher. Da wartet man zu Anfang des Berufslebens schonmal vergeblich auf den Anruf für ein Projekt. Man kann aber aus der Not eine Tugend machen: Projekte initiieren und organisieren war und ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Das sind nicht nur viele Stunden am Computer, sondern ich habe das große Glück (das Glück, das ich oft provoziert habe) immer mit inspirierenden Menschen zu arbeiten, mit denen ich zusammen meine Ideen verwirklichen kann – und immer öfter bekomme ich inzwischen auch den ersehnten Anruf …

 

Vielen Dank für das Interview!

 

Herzlichen Dank für Ihr Interesse.

 

 

 

 

Gezeichnete Beiträge geben die Meinungen der Autoren wieder. Diese stimmen nicht grundsätzlich mit der Meinung der Herausgeber, der Schriftleitung oder des Verlages überein. Die weitere Verwendung von Beiträgen oder Auszügen daraus setzt das schriftliche Einverständnis des Urhebers bzw. des Nutzungsberechtigten voraus. Alle Rechte vorbehalten.

 

als PDF sichern/drucken weiterleiten