Anmerkungen:
* Eine erweiterte Fassung dieses Artikels wurde 2021 veröffentlicht: Inês de Avena Braga und Claudio Ribeiro: A newly discovered recorder sonata attributed to Vivaldi: considerations on authorship, in: Recercare, XXXIII (2021), S. 121–161. Eine digitale Version ist erhältlich unter https://www.lim.it/en/recercare/6177-a-newly-discovered-recorder-sonata-attributed-to-vivaldi-considerations-on-authorship-9788855431040.html#/1-tipo_prodotto-pdf_lim (Stand 29. März 2022). Nach der Veröffentlichung unseres Artikels für Recercare wurde dieses Manuskript unter der ID-Nummer 850729277 in RISM aufgenommen https://opac.rism.info/search?id=850729277&View=rism (Stand 29. März 2022).
[1] Wir möchten der Emily Harvey Foundation von ganzem Herzen dafür danken, dass sie uns 2018 und auch 2020 wieder so herzlich empfangen hat. Unser Dank gilt auch Chiara Pancino, ihrem Nachfolger Paolo Da Col, Silvia Urbani und Giovanna Bigai von der Biblioteca del Conservatorio „Benedetto Marcello“, sowie Tommaso Maggiolo vom Istituto Italiano Antonio Vivaldi. Unser aufrichtiger Dank gilt Michael Talbot und Paul Everett für die Großzügigkeit, mit der sie ihr Fachwissen und ihre wertvollen Überlegungen zum Thema dieses Artikels geteilt haben. Schließlich sind wir auch Micky White sehr dankbar für ihre Hilfe und ihren Rat.
[2] Zwei dieser Werke wurden im Oktober 2018 in der Sala della Musica of the Ospedaletto in Venedig aufgenommen und hatten ihre Weltpremiere auf der CD Anonimo Venexian (RAM 1905), 2019 erschienen beim Label Ramée/Outhere Music. Rezensiert von Olivier Fourés in: Diapason, no. 685, Dezember 2019, S. 113. Michael Talbot: The Consort, 76, 2020, S. 147–151. Die erste (digitale) Edition der hier diskutierten Sonata ist seit November 2020 erhältlich unter https://www.avenaribeiro.com/shop-vivaldi (Stand 29. März 2022): Sonata per flauto, Inês d’Avena und Claudio Ribeiro (Hg.), Oatbrook Editions, Venezia Series SP, AR 20.02. Die Sonate ist auch im Druck erhältlich unter https://www.ars-antiqva.com/libro/vivaldi-sonate-diverse-rv-28-rv-52-rv-53-rv-798-rv-810-rv-815-rv-816-rv-820-anonima_15009 (Stand 29. März 2022): Antonio Vivaldi: Sonate diverse, RV 28, 52, 53, 798, 810, 815, 816, 820, anonima, in: Vivaldi Instrumental Opera Omnia, Olivier Fourés (Hg.), Madrid: Ars Antiqva 2020 (ISMN 979-0-805441-15-3).
[3] Michael Talbot: Vivaldi in The Foundling Museum: some discoveries in London, in: Early Music Performer, 28, 2011, S. 4–16: 14.
[4] Im frühen achtzehnten Jahrhundert bezog sich flauto in Italien eindeutig auf die Blockflöte (und nicht auf das Traverso), wie die Beschreibungen in verschiedenen Ausgaben eines zeitgenössischen Wörterbuchs als Strumento musicale di fiato, ritondo [sic], e diritto, e lungo intorno a un braccio (1691) und Strumento musicale di fiato [...] e lungo meno d'un braccio (1729–1738) belegen. Als Kuriosität wird in dieser zweiten Veröffentlichung traverso als Obbliquo, non diritto definiert. Siehe den Eintrag für „Flauto“ im Vocabolario degli Accademici della Crusca, Florenz, Stamperia dell' Accademici della Crusca, 1691, Bd. III, S. 698, bzw. im Vocabolario degli Accademici della Crusca, Florenz, Domenico Maria Manni, 1729–1738, Bd. II, S. 325. Vivaldi hat hier sehr genau unterschieden.
[5] Chiara Pancino: Il fondo musicale Correr nella Biblioteca del Conservatorio di Venezia: un progetto di riordino, in: Da Napoli a Napoli: musica e musicologia senza confine, Mauro Amato, Cesare Corsi und Tiziana Grande (Hg.), Lucca: LIM 2012, S. 211–219. Laut Pancino erstrecken sich die bisher untersuchten datierten Quellen über den Zeitraum von 1732 bis 1841. Vgl. Chiara Pancino: Le musiche per le Putte della Pietà: riordino dei manoscritti musicali del 'Fondo Correr', in: Antonio Vivaldi. Passato e futuro, Francesco Fanna und Michael Talbot (Hg.), Venedig: Fondazione Giorgio Cini 2009, S. 529-533; https://www.cini.it/pubblicazioni/antonio-vivaldi-passato-e-futuro-it (Stand 2. Dezember 2020). Es gibt jedoch auch frühere Quellen wie in Paul Everett: Vivaldi's Italian copyists, in: Informazioni e studi vivaldiani, 11, 1990, S. 27–88: 64, Anmerkung 9.
[6] Vivaldi war maestro di violino an der „Pietà“ zwischen 1703 und 1709, und zwischen 1711 und 1716. 1716 wurde sein Vertrag für diese Position nicht verlängert, sondern er wurde stattdessen zum maestro de’ concerti ernannt, blieb aber nur ein Jahr lang. Von da an blieb er in gewisser Weise mit der „Pietà“ verbunden, indem er sporadisch auf einer weniger formellen Basis engagiert wurde, aber nicht mehr regelmäßig anwesend war. Zwischen 1723 und 1729 sollte er jeden Monat zwei Konzerte liefern und einige Proben leiten, wenn er in Venedig war. Zwischen 1735 und 1738 stand Vivaldi erneut auf der Gehaltsliste der „Pietà“ als Maestro di cappella, und 1740 wurde er gebeten, einige Konzerte und eine Sinfonia zu liefern und zu leiten. Vgl. Michael Talbot und Nicholas Lockey: Art. Vivaldi, Antonio, in: Grove Music Online, 2001; www-oxfordmusiconline-com.access.authkb.kb.nl/grovemusic/view/10.1093/gmo/9781561592630.001.0001/omo-9781561592630-e-0000040120 (Stand 18. Dezember 2020).
[7] Im Folgenden bezeichnen wir dieses Werk als Correr 127.46 (B. 127.46 in den Notenbeispielen). Der Rest der Mappe (busta) 127 enthält die Art von unterschiedlichen, meist anonymen musikalischen Quellen, die typischerweise den Fondo Esposti ausmachen: Fragmentarische musikalische Skizzen verschiedener Art (oft von nicht professionellen Schreibern verfasst), venezianische Lieder, einige einfache handschriftliche Musikanleitungen, Solo- und Triosonaten, lose Gesangs- und Instrumentalstimmen (u. a. von Bonaventura Furlanetto, Gaetano Latilla und Nicola Porpora) sowie das Autograph der Arie Sovvente il sole aus der Pasticcio-Serenata Andromeda liberata (1726) von Vivaldi, um nur einige Beispiele zu nennen.
[8] „The kind Vivaldi most commonly used.“ Vgl. Paul Everett: Towards a chronology of Vivaldi manuscripts, in: Informazioni e studi vivaldiani, 8, 1987, S. 90–107: 100.
[9] Bereits 2018 hatten wir dieselbe Handschrift bei einer anderen anonymen Sonata p[er] Flauto, ebenfalls in F-Dur, wiedererkannt, die in einer unvollständigen Abschrift auf einem einzigen Doppelblatt erhalten ist, was darauf hindeutet, dass das andere innere Doppelblatt des Binios verloren gegangen ist. Nur der erste Satz ist vollständig (f. 1r); der zweite Satz ist nur teilweise erhalten (f. 1v) und wurde (realtiv unbeholfen) um die letzten fünf Takte ergänzt, die in einem anderen Stil und in einer anderen Handschrift geschrieben wurden (f. 2r). Der kompositorische Stil dessen, was von diesem Werk übrig geblieben ist, unterscheidet sich jedoch deutlich von dem des Correr 127.46. Dieses Werk befindet sich in einer anderen Mappe innerhalb desselben fondo, I-Vc Correr B. 79.12. Während eines zweiten Forschungsaufenthaltes in Venedig im Oktober 2020 haben wir in einem Teil des Fondo Esposti nach dieser Handschrift gesucht, ohne Erfolg. Allerdings konnten wir mehrere Ähnlichkeiten mit anderen Handschriften in dieser und anderen venezianischen Sammlungen feststellen. Die Tatsache, dass, so weit bekannt, in dieser Handschrift keine anderen Werke von Vivaldi kopiert wurden, ist an sich kein Grund, es als ein Werk von Vivaldi zu verwerfen, da es nicht-autographe Manuskripte mit Vivaldis Musik in vielen verschiendenen Handschriften gibt. Vgl. Everett: Vivaldi's Italian copyists, S. 30 [FN 5].
[10] Mit „slanted stems and rising beams, [it] is a superb example of the elegant yet perfectly legible kind of musical calligraphy generally in vogue in early eighteenth-century Venice“ beschrieb Everett eine ganz andere Handschrift, aber diese Beschreibung passt hier genauso gut. Vgl. Everett: Vivaldi's Italian copyists, S. 34 [FN 5].
[11] Ausführliche Informationen über die Papierherstellung und die spezifischen Methoden der Notenlinien in venezianischen Musikhandschriften in: Paul Everett: Vivaldi Concerto Manuscripts in Manchester: II, in: Informazioni e studi vivaldiani, Band 6, 1985, S. 3–56: 9.
[12] Bis 1987 hatte Everett bereits siebenundvierzig Papiere mit drei Halbmonden (wobei jeder Fall von Zwillingsformen als ein Typus zählt) allein in den Manuskripten aus Turin und Manchester klassifiziert. Vgl. Everett: Towards a chronology of Vivaldi manuscripts, S. 96 [FN 8].
[13] Manchmal auch als „A F Z“ gelesen. Dies zeigt sich zum Beispiel bei der Zeichnung Hercules Standing (um 1718) von Giovanni Battista Tiepolo, die sich heute in der Sammlung der Morgan Library & Museum befindet, New York: Pierpont Morgan Library Dept. of Drawings and Prints 1981. 108; https://www.themorgan.org/drawings/item/142775 (Stand 14. Februar 2023). In diesem Papier wurden die drei Halbmonde nicht gefunden (Polly Cancro, private Mitteilung, Dezember 2020).
[14] Die Maße in Abb. 2–5 sind ebenfalls in Millimetern angegeben, wobei die gleiche Methode angewandt wurde. Die Abstände zwischen den Notenlinien wurden von der Oberkante der einen Notenlinie bis zur Oberkante der anderen gemessen. Beim Kopieren der Wasserzeichen wurden die Linien, die deutlich identifiziert werden konnten, mit einer durchgehenden Linie gezeichnet, während die Linien, die nur vermutet werden konnten, mit einer gestrichelten Linie nachgezeichnet wurden.
[15] Wir sind Paul Everett sehr dankbar, dass er unsere Aufzeichnungen mit den seinen verglichen und seine Erkenntnisse mit uns geteilt hat (private Mitteilung, Dezember 2020). Der vollständige Wortlaut dieser privaten Korrespondenz kann nachgelesen werden unter: de Avena Braga/Ribeiro: A newly discovered recorder sonata attributed to Vivaldi: considerations on authorship, S. 128–130 [FN *]. Weitere Erläuterungen zu Everetts Methodik und den Gründen für seine Schlussfolgerungen hinsichtlich der Notenpapiere, siehe Paul Everett: Vivaldi at work: the late cantatas and the consignment for Dresden, in: Fulgeat sol frontis decorae, Studi in onore di Michael Talbot, Alessandro Borin und Jasmin Melissa Cameron (Hg.), Venedig: Fondazione Giorgio Cini 2016, S. 97–112 (insbesondere Anmerkungen 2, 9, 28, 46 and 47).
[16] I‐Tn, Giordano 30, fols 184–206.
[17] I‐Pca, A‐II‐79. Der Franziskaner Francesco Antonio Calegari (1656–1742) war ein Komponist und Theoretiker, der sowohl in seiner Heimatstadt Venedig als auch in Bologna und Padua tätig war. Seine überlieferten Kompositionen sind allesamt Vokalwerke, zumeist geistliche Werke. Walter W. Schurr und Patrizio Barbiere: Art. Calegari [Callegari, Caligari], Francesco Antonio, in: Grove Music Online, 2001; www-oxfordmusiconline-com.access.authkb.kb.nl/grovemusic/view/10.1093/gmo/9781561592630.001.0001/omo-9781561592630-e-0000004584 (Stand 31. Dezember 2020).
[18] Die Spanne der 10 Systeme beträgt 182.25 mm.
[19] Wie auch in mehreren Konzerten und Sonaten von Vivaldi, unter anderem, RV 2, 5, 12, 17a, 26, 758, wie auch RV 806 (der „Blockflöten-Zwilling“ zu RV 810).
[20] Die harmonische Einfachheit dieses Satzes findet Parallelen zum Beispiel in RV 798, I.
[21] Da Vivaldi diese Angabe nie verwendet, zögern wir, solche Stücke als Sicilianas zu bezeichnen (daher die Anführungszeichen), vor allem wenn man bedenkt, wie selten diese Bezeichnung in zeitgenössischen venezianischen Partituren verwendet wird, in denen langsamere Stücke im 12/8-Takt mit den charakteristischen trochäischen (Viertelnote + Achtelnote) und daktylischen (punktierte Achtelnote + Sechzehntelnote + Achtelnote) Rhythmen oft keine Satzbezeichnung außer der Tempobezeichnung haben. Über die Siciliana und Vivaldi siehe Nicholas Lockey: Vivaldi and the Siciliana: Towards a Critical Appraisal, in: Antonio Vivaldi. Passato e futuro, S. 141–160; https://www.cini.it/pubblicazioni/antonio-vivaldi-passato-e-futuro-it (Stand 2. Dezember 2020). Sehr ähnliche „sizilianisch anmutende“ Sätze finden sich in RV 40, III; RV 428, II; RV 806, III, and RV 816, III.
[22] Auf https://oh.lnk.to/AnonimoVenexian_DAvenaRibeiro kann man die Aufnahme dieser Sonate von der CD Anonimo Venexian (RAM 1905, die ersten vier Tracks) streamen (Stand 13. Juli 2022).
[23] Michael Talbot: The Vivaldi Compendium, Woodbridge: The Boydell Press 2011, S. 56.
[24] RV 810 wurde nicht separat aufgeführt, da es eine Doppelung mit RV 806 darstellen würde. Die angegebenen Daten stammen aus Peter Ryom: Antonio Vivaldi, Thematisch-systematisches Verzeichnis seiner Werke, Wiesbaden: Breitkopf & Härtel 2007, mit Ausnahme von RV 617, für das wir die überarbeiteten Daten verwendet haben aus: Peter Ryom und Federico Maria Sardelli: Antonio Vivaldi, Thematisch-systematisches Verzeichnis seiner Werke, 2. überarbeitete Ausgabe, Wiesbaden: Breitkopf & Härtel 2018, und RV 820 aus Federico Maria Sardelli: Vivaldi prima di Vivaldi. La nuova sonata RV 820, in: Fulgeat Sol Frontis Decorae, Studi in onore di Michael Talbot, S. 189–206.
[25] Wir haben uns von den in Sardelli: Catalogo delle concordanze musicali vivaldiane, Florenz: Olschki 2012, S. CXLVI vorgestellten Kategorien inspirieren lassen.
[26] Federico Maria Sardelli: Vivaldi's Music for flute and recorder, Michael Talbot (Übers.), Aldershot: Ashgate 2007.
[27] Korrekturen in den Beispielen sind durch ein Sternchen gekennzeichnet.
[28] Bella Brover-Lubovsky: Tonal Space in the Music of Antonio Vivaldi, Bloomington: Indiana University Press 2008, S. 169.
[29] In einigen Fällen wird die Dominante, die zur Kadenz führt, verlängert, bevor die Sequenz endet. Der erste Teil der Sequenz (vor Erreichen der ersten Dominante) wird manchmal auch in einer Variante mit Akkorden ausschließlich in Grundstellung (NB 13.5) oder in der ersten Umkehrung (z. B. RV 569, I, T. 83–90) oder ohne Nebendominanten (I – IV – ii – V – iii – vi – IV - V, ohne die Chromatik, wie in NB 13.5 und NB 15.3 gezeigt) verwendet – oder sogar mit der chromatischen Linie des Basses, die in die Oberstimme übertragen wird, in diesem Fall beginnend auf der dritten Stufe der Skala. Sowohl in RV 184 als auch in RV 569 entfällt der Schlussteil und die Sequenz wird als modulatorisches Mittel eingesetzt.
[30] Variationen in dieser Form können die Verzierung dieses Sprungs durch Diminution oder die Verwendung der sechsten Stufe als Umdeutungs-Note beinhalten – entweder durch Wiederholung im Dominant-Akkord vor dem melodischen Abstieg oder durch Verwendung in einem (Durchgangs)-Akkord auf der Supdominantparallele, der zwischen der Subdominante und der Dominante liegt. Andere, oben nicht erwähnte Vivaldi-Werke, in denen die gleiche Sequenz auf die gleiche Weise verwendet wird, sind RV 19, NB 13.4 (aber auch in II, T. 35–44 und IV, T. 29–37), RV 20, NB 14.2 (aber auch in II, T. 10–14) und NB 14.3, RV 23, NB 14.4 (in diesem Fall wird die Subdominante durch die Subdominantparallele ersetzt), RV 52, NB 15.4 (aber auch in II, T. 28–33, in diesem Fall als erstes Element der Reprise), RV 433, NB 13.6 (als zweites Element im ersten Soloabschnitt) und RV 820, NB 15.5, wo Vivaldi die Sequenz als drittes Element des Abschnitts, aber auch mit dem Abstieg am Ende verwendet, während sie in RV 756 (NB 13.7) direkt nach den ersten drei Einleitungstakten kommt, aber keinen Abstieg am Ende enthält. Weitere Vivaldi-Werke (hier nicht exemplarisch aufgeführt), in denen diese Sequenz vorkommt, sind RV 28 (II, T. 17–21), RV 297 (II, T. 11–16, ohne die Chromatik), RV 383 (III, T. 9–16) und RV 806/810 (II, T. 13–18, mit einer verkürzten Form dieser Sequenz als drittes Element des Satzes). RV 760 (NB 14.5) verwendet eine ähnliche Funktion, bei der eine Sequenz anderer Art als zweites Element des Satzes verwendet wird. Diese Liste ist natürlich nicht vollständig.
[31] Die in G-Dur stehende Sonata Flauto Solo & Cembalo Sig.re Vivaldi RV 806, die 2006 in den Vivaldi-Katalog aufgenommen wurde, nachdem sie in der Sammlung des Archivs der Sing-Akademie zu Berlin wieder aufgetaucht war, hat eine Parallelquelle in RV 810 (D-Dur), die ihrerseits erst 2007 in den Katalog aufgenommen wurde. Federico Maria Sardelli: Una nuova sonata per flauto dritto di Vivaldi, in: Studi vivaldiani, Band 6, 2006, S. 41–52. Nikolaus Delius: Anmerkungen zu RV 806 und zu RV 759, in: Studi vivaldiani, Band 7, 2007, S. 111–113. RV 810 wurde von Antonio Pizzolato in seinem um 1750 in London veröffentlichten op. 1 Nr. 5 übernommen, wobei die Reihenfolge der Sätze geändert wurde. Vgl. Federico Maria Sardelli: Catalogo delle concordanze musicali vivaldiane [FN 25], S. xclx. Der Rest des Manuskripts mit der Kopie von RV 806, enthält entweder Sonaten für Traversflöte oder Sonaten mit einem Umfang, der für die Traversflöte geeignet ist. Dies ist ein wichtiges Detail: Die Tatsache, dass RV 806 das einzige Werk für Blockflöte ist, deutet darauf hin, dass die ursprüngliche italienische Quelle, aus der das deutsche Manuskript kopiert wurde, dieses Stück wahrscheinlich bereits für die Blockflöte vorgesehen hatte. Wäre die D-Dur-Violinfassung der Sonate die Quelle für die deutsche Abschrift gewesen, wäre nicht nur die Transposition von D-Dur nach G-Dur unnötig gewesen, sondern es wäre auch ungewöhnlich, dass das Werk als Blockflötensonate in einer Sammlung erscheint, die ansonsten ausschließlich dem Traverso gewidmet ist. Dies ist bei dem dritten Satz von RV 810 (Largo) der Fall, der mitten in einer anonymen Sonate in einer anderen deutschen Sammlung von „Traverso-Sonaten“ enthalten ist: Bonn, Universitäts- und Landesbibliothek (D-BNu, S 2981). Diese Sammlung – die größtenteils keine Angaben zur Besetzung enthält, mit Ausnahme einer Sonate „A due Traversse [sic] senza Basso, die Gemeinsamkeiten mit einer Triosonate von Johann Christoph Pepusch aufweist – enthält unter anderem Werke von Arcangelo Corelli, wie seine Violinsonate op. 5 Nr. 10, die von der ursprünglichen Tonart F-Dur nach G-Dur transponiert wurde, und seine Violinsonate op. 5 Nr. 7, bei der einige Passagen um eine Oktave nach oben transponiert wurden, um sie dem Tonumfang des Traversos anzupassen. Der dritte Satz von RV 810 erscheint in dieser Sammlung ohne jegliche Transposition, da dies für das Spiel auf dem Traverso nicht notwendig gewesen wäre. Dieses Bonner Manuskript wird in Michael Talbot: The Bonn manuscript S 2981: a miscellany of European music for flute from the early eighteenth century, in: The Consort, Band 77, 2021, eingehend untersucht.
[32] Sardelli: Vivaldi's Music for flute and recorder, S. 285. [FN 26]
[33] Talbot und Lockey: Art. Vivaldi, Antonio. [FN 6]
[34] Die einzige Ausnahme ist der dritte Satz (Largo) von RV 806, wo dies nur am Ende des ersten Abschnitts geschieht, nicht am Ende des Satzes selbst.
[35] Dieses Schema findet sich zum Beispiel auch in RV 20, II; RV 20, III; RV 20, IV; RV 23, II und in RV 52, II. Interessant ist, dass Vivaldi im zweiten (T. 22–23) und dritten (T. 27–28) Satz von RV 20 und im zweiten Satz von RV 52 (T. 25) einen Abstieg im Bass von D über C nach H vornimmt, um die Tonikaparallele zu verlassen und die Rückkehr zur Ausgangstonart einzuleiten. Dieser identische melodische Abstieg findet sich in Correr 127.46, II, an der gleichen Stelle der Struktur (NB 23.1, T. 22–23).
[36] In der Art, wie man sie auch in den schnellen 3/8-Sätzen von RV 6, RV 22, RV 26 und RV 47 findet.
[37] Ein Vergleich der beiden Largos, bei dem sich der erste und zweite Abschnitt abwechseln, wobei RV 806 nach F-Dur transponiert wird, ist unter youtu.be/XZ85uenewcs zu finden (Stand 13. Juli 2022). Die Figur in NB 4 findet sich auch in RV 798.
[38] Walter Kolneder: Melodietypen bei Vivaldi, Berg am Irchel (Zürich): Amadeus 1973, S. 105.
[39] Michael Talbot: Vivaldi, London: Dent 1993, S. 82. RVs 19, 22 und 47 sind weitere Beispiele für Werke, in denen Vivaldi dieses Mittel verwendet.
[40] Zur Satzstruktur Vivaldis siehe Talbot: Vivaldi, S. 76–77, und Michael Talbot: Vivaldi’s ‘late’ style: final fruition or terminal decline?, in: Vivaldi, Motezuma and the opera seria: Essays on a newly discovered work and its background, Michael Talbot (Hg.), Turnhout: Brepols 2008, S. 147–168: 162–167.
[41] Die Verwendung der harmonischen Beziehung zwischen Tonika und Dominante wird in einer anderen Diskussion über Vivaldis Urheberschaft kurz angesprochen. Siehe Michael Talbot: Two more new Vivaldi finds in Dresden, in: Eighteenth-Century Music, Band 3, 2006, S. 35–61: 50.
[42] Andere Werke, die dieses Merkmal aufweisen, aber hier nicht als Beispiel dienen, sind RV 9, III, T. 2–5 und 14–17; RV 485, III, T. 53–55 und 57–59; RV 564, III, T. 18–21; RV 569, III, T. 129–137 (wo der Bass in der oberen Oktave verdoppelt wird, wie in RV 178); und (mit einer aufsteigenden melodischen Bewegung) RV 316a, I, T. 144–147.
[43] Das gleiche Material wie in RV 107, II wird auch in RV 548, II und RV 764, II verwendet.
[44] Dieses Merkmal findet sich auch in RV 32, II und IV (erster und zweiter Abschnitt), RV 52, II (zweiter Abschnitt), RV 798, II (zweiter Abschnitt) und RV 820, I und IV (erster und zweiter Abschnitt).
[45] Michael Talbot: The genuine and the spurious. Some thoughts on problems of authorship concerning Baroque compositions, in: Vivaldi, Vero e falso. Problemi di attribuzione, Antonio Fanna und Michael Talbot (Hg.), Florenz: Olschki 1992, S. 13–24: 13. Für eine ausführlichere Diskussion über Fragen der Zuschreibung, die sich auf das Instrumentalrepertoire des Veneto des 18. Jahrhunderts beziehen, siehe Guido Viverit: Problemi di attribuzione conflittuale nella musica strumentale veneta del Settecento, Ph.D. diss., Università di Padova, 2015.
[46] Betrachtet man die Zeitgenossen, deren Musik in den Fondo Esposti aufgenommen wurde (unabhängig davon, ob sie für eines der Ospedali arbeiteten oder nicht), so wären beispielsweise Antonio Biffi (1666/1667–1733), Diogenio (al secolo, Antonio) Bigaglia (1678–1745), Francesco Feo (1691–1761), Francesco Gasparini (1661–1727), Johann Adolf Hasse (1699–1783), Antonio Lotti (1666–1740), Giovanni Porta (ca. 1675–1755), Nicola Porpora (1686–1768), Giovanni Battista Sammartini (1700/1701–1775), Giuseppe Tartini (1692–1770) und Benedetto Vinaccesi (1666–1719) zu nennen. Von denjenigen, die an den Ospedali angestellt waren, deren Musik aber nicht im Fondo Esposti überliefert ist, sind Carlo Luigi Pietragrua (ca. 1665–1726), Giovanni Antonio Pollarolo (1676–1746) und Ignazio Sieber (ca. 1688–1761) zu nennen, um nur einige anzuführen. Darüber hinaus wurden im 18. Jahrhundert unter anderem Werke von Tomaso Giovanni Albinoni (1671–1751), Paolo Benedetto Bellinzani (ca. 1690–1757), Antonio Caldara (1671–1736), Benedetto Giacomo Marcello (1686–1739) und Francesco Maria Veracini (1690–1768) gedruckt und aufgeführt. Es gibt auch Komponisten, deren Musik als die von Vivaldi durchging: so z. B. Gaetano Meneghetti (fl. 1714–1757), wie bei RV 809, jetzt RV Anh. 136, und RV 351, jetzt RV. Anh. 150. Zu Bigaglia siehe Michael Talbot: Vivaldi, Bigaglia, Tartini and the curious case of the ‘Introdutione’ RV Anh. 70, in: Studi vivaldiani, Band 20, 2020, S. 41–67: 52.
[47] Siehe z. B. den Bass im ersten Satz von Portas Konzert für Traversflöte, wo der treibende Allegro-Achtelbass bereits in der zweiten Hälfte des ersten Taktes durch die Verwendung von Sechzehntelnoten variiert wird. Lund, Universitetsbiblioteket (S-L), Saml. Engelhart S. 108.
[48] D-Dl, Mus.2788-N-1, bis 4.
[49] Robert Maria Haas: Die Musik des Barocks, Wildpark-Potsdam: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion 1929, S. 215. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Musiksammlung (A-Wn), EM.19 MUS MAG.
[50] Wie Sardelli hervorhebt „the whole of the opening movement of Siber's first sonata [...] is a close paraphrase of the first movement of the third sonata from Vivaldi's Op. 2 [RV 14], published some eight years previously.“ Eine weitere Anspielung auf Vivaldi findet sich „in the last movement of the same first sonata [i.e., Sonata no. 7] by Siber, which paraphrases the third movement of the concerto a quattro RV 127.“ Sardelli: Vivaldi’s Music for Flute and Recorder, S. 31 u. S. 33 [FN 26] (Anmerkung 38. Wenn diese als Paraphrasen interpretiert werden können, könnte das Folgende anders gesehen werden: Siebers Sonate Nr. 11 ist das gleiche Werk wie Veracinis Sonate Nr. 5. Es gibt jedoch einige Abweichungen zwischen den beiden Quellen: z. B. Appoggiaturen, Vorzeichen, Bindebögen und dynamische Markierungen, die in Veracinis Manuskript zu finden sind, fehlen (manchmal) in Siebers Druck. Außerdem bietet Veracinis Manuskript im zweiten Satz (Allegro) in den Takten 6–8, 26–27 und 66–68 eine rhythmische Vielfalt, die in Siebers Druck fehlt. Die Widmungsseite des möglicherweise autographen Manuskripts von Veracinis Sonate a violino, o flauto solo, e basso ist auf 1716 in Venedig datiert (D-Dl, Mus.2413-R-12). Das Erscheinungsdatum von Siebers Sonaten liegt zu nahe an dem von Veracinis Manuskript, als dass sich eindeutig feststellen ließe, welches Werk zuerst erschienen ist.
[51] Bezüglich Bigaglia, siehe Michael Talbot: Vivaldi or not Vivaldi? The unreliable attribution of the sonata RV 34, in: De musica disserenda, 16/1 2020, S. 57–72: 65.
[52] Talbot: Vivaldi or not Vivaldi? The unreliable attribution of the sonata RV 34, S. 66. Kursiv im Original.
[53] Wie man sieht bedeutete „flauto“ in dieser Zeit nicht „traverso“, nicht einmal in Amsterdam: nur wenige Jahre später wurde Vivaldis op. 10 als VI Concerti a flauto traverso, violino primo e secondo, alto viola, organo e violoncelo veröffentlicht. Talbot ist jedoch der Meinung, dass es sich hierbei um gute Beispiele für die Art von „Mehrzwecksonaten“ handelt, die entweder auf der Violine oder auf einem Holzblasinstrument mit entsprechendem Umfang gespielt werden können. Vgl. Talbot: Vivaldi, Bigaglia, Tartini. Vielleicht fehlen hier aber auch einfach hilfreiche Hinweise, wie sie Charles Dieupart (oder sein Verleger Estienne Roger) in den Six Suittes [sic] (Amsterdam, 1701) für die Aufführung einiger Werke auf der flute de voix und anderer auf der flute du quatre (oder im italienischen Kontext flautino) anbietet, Größen, die weniger beliebt sind als die Altflöte. Größere Blockflöten wie Voice Flutes waren in Amsterdam bekannt, wo Bigaglias Sonaten von Michel Charles Le Cène veröffentlicht wurden: 1743 listet das Inventar der Musikinstrumente von Le Cène eine schwarze Voice Flute mit Elfenbein auf, die von dem in Frankreich geborenen und in London ansässigen Holzblasinstrumentenmacher Peter Bressan (Pierre Jaillard) hergestellt worden war. Vgl. Jan Bouterse: The Inventory of the Musical Instruments of Michel Charles Le Cene (1743), in: FoMRHI Quarterly, 90, 1991, S. 18–19. Darüber hinaus scheinen einige wenige erhaltene Voice Flutes des venezianischen Holzblasinstrumentenbauers N. Castel die Verwendung dieser Blockflötengröße auch in Italien zu dokumentieren, und, falls N. Castel mit Anzolo Castel (Mitglied der Arte de' Tornidori im Jahr 1720) verwandt war, insbesondere im venezianischen Umfeld. Für detaillierte Informationen zu Castels Instrumenten siehe Inês de Avena Braga: Three Castel recorders: Rome, Edinburgh and especially Nice, in: Recercare, XXV, 2013, S. 75–93; EAD. Dolce Napoli: Approaches for performance, insbesondere S. 45–49, 69–71; Giacomo Silvestri: Un nuovo flauto diritto contralto di Castel a Perugia, in: Recercare, XXXI, 2019, S. 205–217.
[54] Talbot: Vivaldi or not Vivaldi?, S. 66.
[55] Entweder schließt er sich der Oberstimme an oder geht einen eigenen Weg (komplementärer Kontrapunkt ist keine Seltenheit), bis hin zu manchmal unorthodoxen Intervallen mit der Oberstimme (z. B. Sonate Nr. 1, II, T. 64).
[56] Lockey: Vivaldi and the Siciliana, S. 155, [FN 21].
[57] Siehe z. B. Sonata no. 3, IV, T. 1–7; Sonata no. 4, II, T. 3–4, Sonata no. 5, III, T. 3.
[58] Talbot: Vivaldi, S. 78 [FN 39].
Übersetzung aus dem Englischen: TIBIA
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