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„componist extraordinaire“ Janpieter Biesemans (1939–2016) Fachartikel

 

Der umfangreiche Katalog der Blockflötenkompositionen des flämischen Komponisten Janpieter Biesemans ist prall gefüllt mit versteckten Preziosen. Sie sind von so hoher Qualität, dass jeder professionelle oder semiprofessionelle Blockflötist einen beträchtlichen Teil der Karriere damit verbringen kann, sie zu erforschen. Dasselbe gilt auch für das Gesamtwerk Biesemans, das mit seinen 183 Opusnummern reichhaltig und abwechslungsreich ist – von einem verspielten Solostück für Sopraninoblockflöte (aus Vijf Slovaakse stukken (1986) – Fünf slowakische Stücke) bis hin zu einer kompletten Passion (Die Deutsche Johannes-Passion (1982)) für Orchester, Chor und Solisten.

 

Janpieter Biesemans war ein sehr geistreicher, weltoffener Mann mit einer positiven Einstellung und einem ansteckenden Maß an Tatkraft und Energie. Diese Charaktereigenschaften finden sich auch in seinen Kompositionen wieder und führen zu leicht zugänglichen Stücken, die zum Üben einladen und bei denen es eine Freude ist, sie zu spielen und zu hören.

 

In seinen eigenen Worten beschreibt Janpieter sich selbst als musikalisches Chamäleon. Im Booklet zur CD La Cause est Amer (2008) von Quadrivium, auf der seine 5 Nippon Waka‘s (Vijf nippon waka’s op. 94–98) eingespielt sind, schreibt er: „Durch meine künstlerische Arbeit komme ich mit anderen Kulturen in Kontakt. Meine Neugierde auf diese Kulturen regt mich dazu an, etwas von ihrer künstlerischen Spiritualität aufzunehmen. Ich fühle mich verpflichtet, dies in meine eigene künstlerische Ausdrucksweise zu übertragen. Auf diese Weise habe ich bereits in neun verschiedenen Kultursprachen komponiert.“

 

 

Janpieter Biesemans musikalisches Leben

 

Janpieter wurde 1939 in Vilvoorde (Belgien) geboren, wo er im Alter von 12 Jahren an der örtlichen Musikschule mit dem Klavierspiel begann und eine Vorliebe für Chopin entwickelte. Um 1953 begann er zu komponieren, zunächst unter dem starken Einfluss von Haydn. Sein Professor am Lemmens-Institut in Leuven erklärte jedoch, er sei zu jung zum Komponieren, woraufhin Janpieter entmutigt seinen Stift für lange Zeit beiseite legte. 1961 begann er ein Orgelstudium am Antwerpener Konservatorium. Dort entdeckte er seine Liebe zur Alten Musik, die in der Gründung des Consortium Antiquum mündete. Mit diesem Ensemble widmete er 23 Jahre seines Lebens (1964–1987) der Interpretation Alter Musik; er war einer der Pioniere der Alten-Musik-Szene in Belgien und trat in ganz Europa, Nordamerika, Mexiko und der ehemaligen Sowjetunion auf. Er gab insgesamt 507 Konzerte, davon 149 im Ausland in 25 verschiedenen Ländern.

 

Nachdem er sich 1980 einen Flügel gekauft hatte, nahm er das Komponieren wieder auf. Bald darauf entstand sein Nocturne op. 1 (1982) für Klavier solo mit seinem persönlichen musikalischen „Urknall“ als Eröffnungsakkord; ein kathartischer Schrei, der seine aufgestaute kompositorische Energie freisetzte. Janpieter hat insgesamt 183 Opusnummern komponiert, von denen die letzten 83 zwischen 2003 und seinem Tod im Jahr 2016 entstanden sind.

 

Als Direktor der Akademie voor Muzische Kunsten in Meise (1974–2006) war er bestrebt, seine Lehrkräfte zu inspirieren, statt sie zu kontrollieren; er ermutigte an seiner Schule, mit Musik, Literatur und Tanz zu feiern. Janpieter besaß einen ausgeprägten kritischen Blick auf die Welt, und sein Sinn für Gerechtigkeit, den er nie verbarg, wird durch die Tatsache veranschaulicht, dass er die Werkgroep Kunstonderwijs gründete, eine gemeinnützige Organisation, die sich während einer Zeit der Umstrukturierung des flämischen Teilzeit-Kunstunterrichtssystems für die Rechte der Studenten einsetzte (tätig zwischen 1987 und 1999). Als Pädagoge war Janpieter am Antwerpener Konservatorium tätig, wo er Solfège (Blattsingen, Diktat und Musiktheorie) unterrichtete und Kammermusikensembles leitete. Nach seiner offiziellen Pensionierung im Jahr 2006 unterrichtete er weiterhin ehrenamtlich Kammermusik am Konservatorium und wurde zum Direktor Emeritus seiner Akademie in Meise ernannt.

 

 

Liste der Kompositionen mit Blockflöte

 

Insgesamt handelt es sich bei den Kompositionen von Biesemans hauptsächlich um Kammermusik, obwohl auch Solokompositionen, Liederzyklen und Orchesterrepertoire vertreten sind. Die folgende Liste fasst alle Werke mit Blockflöte zusammen. Sie beinhaltet sowohl Solorepertoire, Duos mit Klavier oder Schlagzeug als auch kleinere und größere Ensemblesätze und zwei Konzerte für Blockflöte. Die Ensembles bestehen sowohl aus den gängigen klassischen Instrumenten als auch aus besonderen Instrumenten der Renaissance und des Mittelalters.

 

Oft wurde Janpieter gebeten, für unkonventionelle Besetzungen zu komponieren. Er lehnte solche Gelegenheiten, die sein musikalisches Genie herausforderten, nie ab. Und großzügig wie er war, verlangte er in den meisten Fällen nicht einmal ein Honorar. Eine Aufnahme des jeweiligen Werkes galt für ihn als vollständige Bezahlung. Wenn Künstler oder Künstlerinnen planten, eine CD-Aufnahme eines seiner Werke zu machen, sponserte er dieses Projekt auch gerne, indem er einen Vorrat an CDs kaufte, die er dann an jeden Musiker und jede Musikerin verschenkte, den oder die er traf!

 

 

Opus

Titel [Kompositionsjahr]

Besetzung

Dauer

Verlag

36-40

Vijf Slovaakse stukken voor blokfluitspeler [1986]

Blockflöte

20'

Lantro    Music & Imprimus Editions

44

Mijn Muze in Foetushouding [1988]

Blockflöte, Englischhorn, präpariertes Klavier

14'

 

45

La Vera Vita sull’ Isola Utopia [1989]

Blockflöte, Streichquartett

18'

Lantro Music

59

Psyche & Amor [1993]

Blockflötenquartett

15'

Lantro Music

63

Chichén Itzà [1996]

Altblockflöte, Marimbafon

4'40"

Lantro Music

71,77,78

3 Karamellen [1999 & 2000]

Blockflöte, Trompete, Oboe

9'40"

Lantro Music

94-98

5 Nippon Waka's 2002 * (Originaltitel: 5 Nippon Haiku’s – Janpieter hielt die Gedichte, die er in diesen Stücken vertonte, ursprünglich für Haikus, erkannte aber später, dass es sich um eine besondere japanische Gedichtform handelte, sogenannte „Wakas“)

Mezzosopran, Mittelalter-Altblockflöte in g, Mittelalter-Harfe/Psalterium, Mittelalter-Laute

15'

Lantro Music

99/1-10

Metamorphosen  [2003 ]

Renaissance-Blockflöte (S,A,T), Erzlaute/Theorbe/Barock-Gitarre

23'50"

Lantro Music

101

Koncerto voor blokfluit en strijkorkest [2003]

Blockflöte und Streichorchester

20'

Lantro Music

104/1-5

Minâ' î min khamsa mazâ mîr = B-FIVE [2004]

Blockflötenquintett

15'40"

Lantro Music

111

Quo Vadis, Homo Ludens, Homo Sapiens!?  [2005]

Blockflöte, Schlagzeug

8'

Lantro Music

117

Kapriolen [2006]

Blockflöte, Klavier

9'

Lantro Music

121

Diàleg del Desig Ardent [2006]

Blockflöte, Violine

5'

Lantro Music

122

Vier Nimfeletten [2007]

Blockflötentrio

8'40"

Lantro Music

123

Le Cycliste et sa Mémoire d'Échappée [2007]

2 Blockflöten, Bariton-Singstimme

13'

 

132

Kantate „De Kuise Susanna haer badende in eene fonteyne....“ [2008]

Sopran, Countertenor, Tenor, 4 Blockflöten, 2 Tenorgamben, Theorbe, Portativ

19'

Lantro Music

134

Musamente furioso stravaganza [2008]

Altblockflöte, Violoncello, Cembalo

6'50"

Lantro Music

138

Estampida Flamenca [2009]

Sopranblockflöte, Altblockflöte, Laute, Handtrommel

5'

Lantro Music

141/1-5

Griekse Mythen [2009]

Blockflöte

16'05"

Lantro Music

142/1-11

Coplas de don Jorge Manrique (1440–1479) por la muerte de su padre don Rodrigo (1470)  [2009]

Mezzosopran, Tenor, Mittelalter-Blockflöte/Organetto, fünfsaitige Bassfidel, fünfchörige Laute (ca. 1470)/sechschörige Bass-Vihuela, Psalterium/Gotische Harfe

31'45"

Lantro Music

143, 144

Twee liederen: „Psst“ Gedicht von Joachim Ringelnatz (1883–1934) [2009] / „Haar ogen of de goed gebruikte wensvorm“  Gedicht von Paul Van Ostaeyen [2010]

Sopranstimme, Blockflöte, Harfe

4'10"/2'10"

Lantro Music

148

Astrologische temperamenten [2011]

Blockflöte

9'30"

Lantro Music

151

Amusamente [2011]

Altblockflöte, 2 Altstimmen, Violoncello, Marimbafon

5'30"

Lantro Music

153

Discorso a due fra madre e figlio [2012]

Sopranblockflöte, Tenorblockflöte 

3'50"

Lantro Music

157/1-11

Laura – Vergine Bella: l'amante di Francesco Petrarca [2012]

Mezzosopran, Mittelalter-Blockflöte/Organetto, Fidel, Mittelalter-Laute (ca. 1470), Psalterium/Gotische Harfe

29'54"

Lantro Music

162

Gli Innamorati Della Musa Ispiratrice [2013]

Altblockflöte, Tenorblockflöte, Violoncello, Klavier

5'30"

Lantro Music

168

Farfalle – Vlinders [2014]

Altblockflöte, Gitarre

3'30"

Lantro Music

 

Ich werde hier nur einige Stücke mit verschiedenen Besetzungen vorstellen, obwohl ich natürlich zu allen eine starke persönliche Bindung habe.

 

Solo: 5 Slovaakse Stukken (Fünf slowakische Stücke)

Dieses 1986 komponierte Werk ist eine der früheren Kompositionen von Janpieter. Es ist eindeutig in einen experimentellen Stil eingebettet, mit ausgiebigem Gebrauch sogenannter „zeitgenössischer“ Spieltechniken. Angesichts dieser Beschreibung könnte man meinen, dass dieses Stück nicht sehr zugänglich ist, aber das Gegenteil ist der Fall. Diese Komposition, die aus fünf verschiedenen Stücken (für fünf verschiedene Blockflöten) besteht, hat sich im Konzert als sehr wirkungsvoll erwiesen.

 

Das erste Stück trägt den Titel Trombita Fujarôčka Moja, Družka Moje Samoty (Trompete, meine liebe kleine Fujara, Gefährtin meiner Einsamkeit) und wird auf der Bassblockflöte gespielt. Es handelt von einem jungen Hirten, der seine Schafe an den Hängen der Tatra hütet. In Abwesenheit seiner Geliebten, die im Tal bleibt, spielt er auf seiner „fujara“, um seine Sehnsucht zu überwinden. Die Fujara ist ein typisches slowakisches Volksinstrument, das einer tiefen Blockflöte ähnelt, aber nur drei Grifflöcher hat. Mit dem Instrument lassen sich kaskadierende Obertöne erzeugen und Biesemans setzt diese Spieltechnik der Obertonerzeugung als „tasta fujara“-Effekt ausgiebig ein. Neben der „tasta fujara“ schuf Biesemans eine persönliche Bibliothek weiterer zeitgenössischer Spieltechniken; diese schöne und wirkungsvolle Farbpalette ist in den meisten seiner Blockflötenkompositionen zu erkennen, wann immer eine besondere Klangfarbe und/oder Emotion gefragt ist. Klingen Biesemans Kompositionen wie eine Aneinanderreihung von speziellen Techniken? Ganz und gar nicht! Im Gegenteil, Biesemans ist vor allem eine romantische Seele. Seine Musik singt, sie führt einen an Orte, die man nicht erwartet, und lässt einen in Ehrfurcht zurück vor seiner Meisterschaft sowohl in kompositorischer Hinsicht als auch hinsichtlich seiner Fähigkeit, sich an jedes Instrument, in diesem Fall die Blockflöte, anzupassen.

 

Wenn man sich die Partitur des ersten Stückes ansieht, mag man auf den ersten Blick von der experimentellen Notation überwältigt sein, aber nach einigem aufmerksamen Studieren und Analysieren stellt man schnell fest, dass sie nicht allzu schwer zu entziffern ist. In diesem Zusammenhang möchte ich interessierten Spielerinnen und Spielern ans Herz legen, auch einen Blick in das Manuskript zu werfen. Ich persönlich liebe es, aus Biesemans‘ Manuskripten zu spielen. Sie sehen auf den ersten Blick ein wenig nachlässig aus, aber jedes Mal werde ich von seiner Handschrift in den Bann gezogen. Sie hat eine große Ausstrahlung, nimmt einen unmissverständlich an die Hand und leitet die Interpretation beim Spielen.

 

Zurück zur vorliegenden Partitur: Das zweite slowakische Stück ist für Sopraninoblockflöte. Der Kontrast zum ersten Stück für den Bass könnte nicht größer sein, zumal Biesemans mit virtuosem Schnellfeuer zur Sache geht. Das Ergebnis ist ein extrem beschwingter, fröhlicher und bisweilen unzusammenhängender Tanz mit dem vielsagenden Titel Ej, Píšťalôčka!!! Lebo tancuj, Lebo Pískaj! (He, kleine Flöte, tanze oder spiele).

 

Das dritte Stück heißt Pastierovo Zadumanie (Meditation des Hirten) und ist für die Sopranblockflöte geschrieben. Wunderschön und melancholisch, bietet die Partitur reichlich Gelegenheit für einen tiefen und persönlichen Zugang. Man kann sich den Hirten leicht vorstellen, wie er an einem Baum sitzt und unter der Entfernung zwischen sich und seiner Geliebten leidet. Dem Interpreten wird die Suche nach einem intimen Ort in diesem Stück gefallen.

 

Anschließend bekommt die Tenorblockflöte ihre Chance zu glänzen: Tancuj Pastieročka, Veď L'úbiš Janka! (Tanz, kleine Hirtin, du bist Jans Liebling!) Viele Zungenakzente (sputtare), Obertöne (suono fujara) und virtuose Passagen schaffen einen ansteckenden, verrückten Tanz, der das Publikum mit einem breiten Grinsen im Gesicht zurücklässt.

 

Und schließlich das letzte Stück für Altblockflöte Ej, Blanka, Je Jaro Poďme Sa Veseliť! (Hey kleine Blanche, es ist Frühling, lass uns tanzen und springen!): Es überlässt nichts der Fantasie. Mit einem rasanten Wechsel zwischen binären und tertiären Sechzehntelnoten wütet es in einem sperrigen Rocktempo weiter, eine Art „Take Five“ auf Steroiden. Seine positive Verrücktheit macht so viel Spaß; es ist definitiv eines meiner Lieblingsstücke. Ich liebe es, dieses Stück zu spielen; es gibt zu viele Biesemans-Stücke, die ich als meine Lieblingsstücke bezeichnen könnte!

 

Duo: Chichén Itzá für Altblockflöte und Marimbaphon

Die Komposition beginnt mit einer stimmlosen Rezitation von „Chichén Itzá“ (der Hauptstadt des ehemaligen Maya-Reiches) in einem hin- und hergehenden Dialog zwischen den beiden Musikern. Die Instrumente übernehmen dann allmählich die Führung und der Dialog entwickelt sich zu einem spannenden und zuweilen ungestümen Austausch zwischen den beiden. Die Stimmen springen hin und her und decken alle Extrembereiche der Instrumente ab. Der Kaskadeneffekt der Obertöne, Biesemans' Markenzeichen für die Blockflöte, wird in der Marimba-Stimme nachgeahmt und extrapoliert; die beiden Stimmen verflechten sich schließlich in einer kompositorischen „Tour de Force“ vollständig miteinander. Die unerwartete Kombination dieser beiden Holzinstrumente erweist sich als Gewinn; die perkussiven Fähigkeiten der beiden Instrumente ergänzen sich wunderbar, und ihre Klangfarben verschmelzen ausgezeichnet. Um dies zu erreichen, ist es jedoch ratsam, mit einer subtilen Verstärkung der Blockflöte zu arbeiten. Chichén Itzá präsentiert eine verlockende Instrumentenkombination in einer Komposition, die vor positiver Energie nur so strotzt. Sie ist geradezu prädestiniert, der Höhepunkt eines jeden Konzertprogramms zu werden.

 

Quartett: Psyche und Amor

Die bekannte griechisch-römische Geschichte der beiden Liebenden, Psyche und Amor, ist der Ausgangspunkt für diese dreisätzige Blockflötenquartett-Komposition. Der erste Teil L'incontro oder „die Begegnung“ schafft eine gemütliche, warme und heimelige Atmosphäre in einem „lento“-Tempo, mit vielen „trägen“ Klängen (suoni pigri) und einem liebkosenden, beruhigenden Charakter (lusingando), der von einem luftig klingenden Quartett in Achtfußlage erzeugt wird, das oft kurz gehauchte homophone Akkorde einwirft.

 

Die Bühne ist bereitet, und die beiden Protagonisten setzen ihren Liebestraum Il Sogno Amoroso im gleichen langsamen Lento-Tempo wie im ersten Teil fort, diesmal jedoch auf hohen Instrumenten: zwei Altblockflöten, Tenor- und Bassblockflöte. Der Traum entwickelt sich deutlich weiter und wird in den oberen Stimmen recht lebhaft, während sich der Bass im träumerischen Lento-Charakter weitgehend zurückhält. Der Traum ist zu Ende, wenn die vier Spieler ganz leise „ssssssst“ flüstern.

 

Vier Tenorblockflöten treten für den letzten Teil dieser Komposition Gioco Scacchi oder „Schachpartie“ auf. Ein für alle Stimmen rhythmisch anspruchsvolles Stück, obwohl … Ja, hier haben wir wieder die gleiche langsame Tempoangabe, aber Biesemans hat die „lento“-Bezeichnung weggelassen, weil diesmal mehr los ist. Die Taktart 14/16 verrät dies deutlich!

 

Ich muss zugeben, dass ich mich nicht mehr genau daran erinnern kann, wie dieses Quartettstück klingt. Das Flanders Recorder Quartet hat diese Komposition während eines Konzerts im Rahmen einer Konzertreihe von Janpieter 1993 oder 1994 aufgeführt – direkt nachdem er sie fertig gestellt hatte. Das war das einzige Mal, dass wir es aufgeführt haben, und ich bin mir nicht einmal sicher, ob es seitdem jemals von einem anderen Quartett aufgeführt wurde. Das Einzige, woran ich mich noch von der Aufführung dieses Stücks erinnere, ist, dass ich es damals als die schönste zeitgenössische Komposition für Blockflötenquartett empfand, die uns je begegnet war – Punkt!

 

Koncerto:

Ja, Biesemans, stur wie er war, bestand darauf, dieses Konzert mit einem K statt mit einem C zu schreiben (auch wenn der Verlag die konventionelle Schreibweise wählte). Dies ist das Konzert für Blockflöte und Streichorchester (das andere Konzert, La Vera Vita sull' Isola Utopia, ist für Blockflöte und Streichquartett). Ich bin sehr glücklich darüber, dass Janpieter es für mich schreiben wollte. Er widmete es mir sowie meiner Frau Ellen und meiner Tochter.

 

Der erste Satz hat einen ausgesprochen pastoralen Charakter, wobei die Tenorblockflöte solistisch beginnt. Sie schafft eine Atmosphäre mit vielen Klangfarben unter Anwendung einer Vielzahl von modernen Spieltechniken. Die Celli schließen sich mit einer schönen Melodie an, die mich an den langsamen Satz des Violoncellokonzerts von Elgar erinnert. Die Blockflöte malt immer wieder einen illustrativen Hintergrund, bis sie die Hauptmelodie übernimmt, begleitet von schönen Harmonien des Orchesters. Das Stück entwickelt sich mit Dialogen zwischen Orchester und Tenorblockflöte. Die Eröffnungssequenz wird noch einmal aufgegriffen und ausgearbeitet. Insgesamt strahlt der erste Satz eine warme und einladende Atmosphäre aus, die mit verspielten, pastoralen Passagen verwoben ist.

 

Der Beginn des zweiten Satzes erinnert an den zweiten Satz von Janpieters Slowakischen Stücken (die er etwa 15 Jahre zuvor komponiert hatte). Der Titel Vivo Come Un Pesce Rosso (lebhaft, wie ein Goldfisch) deutet auf die virtuose Behandlung der Sopranino-Blockflötenstimme hin. Der Charakter entspricht dem des früheren slowakischen Stücks, nur dass es diesmal mit einer wunderbar reichen Orchesterbegleitung angereichert ist. Das Orchester folgt und unterstützt, tritt in einen lebhaften Dialog und übernimmt zuweilen die Melodie. Nach der Hälfte des Stücks steigt das Orchester in die virtuose Melodie mit ein. Diese wird am Ende des Satzes noch einmal aufgegriffen und entwickelt sich nun zu einer kulminierenden Meisterleistung.

 

Der dritte Satz ist etwas ganz Besonderes, weil Biesemans den Kontrabassisten des Orchesters zu einem Duett mit der Bassblockflöte einlädt. Das Duett, Ellen, ist nach meiner Frau benannt. Da sie amerikanischer Abstammung ist, beschloss Biesemans, diesem Satz eine jazzige Note zu geben. Gemischt mit der für ihn typischen Behandlung der Bassblockflöte ist das Ergebnis ein üppiges, lässiges Stück mit vielen Walking-Bass-Passagen in der Kontrabass-Stimme, kombiniert mit einer scheinbar improvisierenden Bassblockflöte darüber.

 

Im vierten Satz Alla Bulgaresca hat die Altblockflöte das letzte Wort. Auch hier gibt es eine deutliche Verbindung mit dem letzten Satz von Biesemans slowakischen Stücken. Gleich zu Beginn ist das Orchester in diesen wilden Tanz verwickelt und springt in perfekter Symmetrie mit der Blockflöte auf-, ab- und seitwärts. Die ruckartigen Rhythmuswechsel verwickeln den Zuhörer in eine wilde Achterbahnfahrt, bis das Stück zum Stillstand kommt und den Weg für eine eindringlich schöne Melodie frei macht. So entsteht der Eindruck, dass man im Auge des Sturms angekommen ist, wo alles unheimlich ruhig ist. Biesemans entwickelt diese Passage, die fast zu einem Stück im Stück wird, mit großer Sorgfalt. Die ruhige Atmosphäre wird von den Streichern durch den Einsatz des „sordino“ (Dämpfers) verstärkt. Natürlich zieht das Auge des Sturms weiter und der tobenden Sturm kehrt zurück! Das Konzert endet sehr virtuos, wie man es von einem großen Konzert erwartet. Die Schönheit dieses Satzes, und damit des gesamten Konzerts, lässt mich immer wieder aufs Neue erschauern. Was für ein Meisterwerk!

 

 

Meine persönliche Beziehung zu Janpieter

 

Seit meinen ersten Tagen am Konservatorium in Antwerpen in den frühen Achtzigern bis zu seinem Tod im Jahr 2016 war Janpieter Teil meines musikalischen Lebens. Zunächst als mein Lehrer für Solfège am Konservatorium und später als befreundeter Komponist, der großzügig mehrere Kompositionen für mich und meine Ensembles schrieb. Als echter Kunstmäzen deckte er sich mit jeder CD ein, die ich veröffentlichte, schickte mir jede Blockflötenpartitur, die aus dem Druck kam, und lud die Ensembles, in denen ich spielte, regelmäßig zu Konzerten in die Konzertreihe ein, die er in seiner Heimatstadt Meise veranstaltete. Ich erinnere mich gern an die zahllosen Telefongespräche und Besuche, bei denen wir über Musik philosophierten – es war meistens Janpieter der redete, und ich versuchte, all seine Weisheiten aufzunehmen. Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass Janpieter einen großen Einfluss auf mich hatte, sowohl musikalisch als auch persönlich.

 

 

Schlussgedanke

 

Wenn ich meine persönliche Beziehung zu Janpieter beiseite lasse und versuche, die Qualität seines umfangreichen Repertoires, einschließlich seines Blockflötenrepertoires, objektiv zu beurteilen, kann ich nicht anders, als Biesemans größte Bewunderung entgegenzubringen. Ob ich nun seine frühen Kompositionen betrachte, die von ihrem Konzept her eher experimentell sind, oder seine späteren tonalen, fast postromantischen Kompositionen. Biesemans zeigt eine beeindruckende Fähigkeit, sich in verschiedene Kulturen zu versetzen, während er gleichzeitig eine tiefe emotionale Verbindung zu seiner kompositorischen Sprache beibehält, die stark in seinem eigenen musikalischen Erbe verwurzelt ist. Biesemans kreierte musikalische „Cocktails“, wobei jeder einzelne eine überraschende Mischung aus exotischen und traditionellen Zutaten enthielt. Mit seinen einzigartigen „Rezepten“ hebt sich Biesemans deutlich von seinen Zeitgenossen ab.

 

 

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Über den Autor / die Autorin
Geert Van Gele ,

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