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Erik Bosgraaf/Francesco Corti: Unico Wilhelm van Wassenaer and the Recorder in the Low Countries Rezensionen

 

 

Unico Wilhelm van Wassenaer: Sonata terza in G minor; Jean-Baptiste Loeillet de Gant: Largo from Sonata in G major Op. 1 No. 3; Andreas Parcham: Sonata in G major; Jean-Baptiste Loeillet de Gant: Sonata in A minor Op. 1 No. 1; Jean-Marie Leclair (l’aîné): Sonata in G major Op. 9 No. 7; Joseph Hector Fiocco: Four pieces from Pièces de clavecin, premier suite; Unico Wilhelm van Wassenaer: Sonata seconda in G minor; Johann Christian Schickhardt: Sonata in E major Op. 30 No. 7; Unico Wilhelm van Wassenaer: Sonata prima in F major; Sybrandus van Noordt: Sonata in F major; Erik Bosgraaf (recorder), Francesco Corti (harpsichord), Brilliant Classics, NL-Leeuwarden 2019, 1 CD, 95907

 

 

Wie oft hat man als Rezensent Gelegenheit zu schreiben, dass eine Einspielung von Barockmusik sowohl den Zeitgeist trifft als auch einen künstlerischen Beitrag zu den aktuellen Diskussionen über Kolonialismus beisteuert? In diesen Zeiten, in denen wir uns auf Hausmusik und exklusives Publikum beschränken müssen, ist eine Epoche, in der man dies aus freiem Willen tat, unseren Herzen näher denn je.

 

Auf der CD Unico Wilhelm van Wassenaer and the Recorder in the Low Countries spielt der Niederländer Erik Bosgraaf mit seinem italienischen Cembalisten Francesco Corti Barockmusik seines Heimatlandes aus der Zeit bevor es eine Monarchie wurde.

 

Im 17. Jahrhundert waren die Niederlande „die Republik der Sieben Vereinigten Provinzen“. Um 1650 erreichte das niederländische Handelsimperium seinen Höhepunkt, als etwa die Hälfte des Welthandels von den Niederländern getätigt wurde. Diese wirtschaftliche Dominanz, die De Gouden Eeuw (Das goldenen Zeitalter) genannt wurde, brachte so viel Geld und Waren nach Hause, sodass das Land eine kulturelle Blütezeit erlebte, die in Europa ihresgleichen suchte.

 

So ist auch die unglaubliche Fülle an niederländischer Malerei zu erklären, die in jedem größeren Museum auf der Welt zu finden ist. Kunst und Kultur genossen ein beispielloses Ansehen und hatten keine finanziellen Sorgen. Bei einem meiner letzten Besuche im Rijksmuseum in Amsterdam war man nun dabei, diese Bezeichnung der Kunstepoche aus den Sälen zu entfernen, um mit dem Kolonialerbe und dem dadurch entstandenen Reichtum sensibler umzugehen.

 

Doch zurück zur Musik: die reiche und gebildete Oberschicht hatte die Blockflöte zu einem ihrer Lieblingsinstrumente erkoren. In diesem günstigen Fahrwasser etablierten sich Werkstätten für Blockflötenbau und Verlage, vor allem in Amsterdam, die fleißig ihr Publikum mit neuen Noten belieferten. Beim Amsterdamer Musikverlag Paul Matthysz erschien auch Jakob van Eycks Der Fluyten Lust-Hof in zwei Bänden: 1649 und 1654. Das erwähne ich, weil Erik 2007 eine umfassende Einspielung dieses Werks bei Brilliant Classics veröffentlicht hat. Was Alte Musik-Kompositionen seines Herkunftslandes betrifft, ist die nun vorliegende CD also die zweite Aufnahme, die sich diesem Repertoire in besonderem Maße widmet.

 

Das eingespielte Team Bosgraaf/Corti spielt Musik von zwei Komponisten, deren Namen viele wahrscheinlich zum ersten Mal hören: Unico Wilhelm van Wassenaer und Sybrandus van Noordt. Weitere vertraute Komponistennamen sind Joseph Hector Fiocco, Johann Christian Schickhardt, Andrew Parcham, Loeillet de Gant und als einziger französischer Komponist: Jean-Marie Leclair, der fünf Jahre in der Republik der Vereinigten Niederlande lebte und dort interessanterweise Locatelli kennenlernte, der ihn nachhaltig beeinflusste.

 

Nicht nur sein klangvoller Name hat Unico Wilhelm van Wassenaer auf den Titel dieser Einspielung gebracht, sondern vor allem sein Können. Die eingespielten Sonaten sind nicht das Werk eines Berufsmusikers. Van Wassenaer war Mitglied der Admiralität, entstammte einer adligen Familie und komponierte aus Liebhaberei zu seinem persönlichen Vergnügen. Die geistige Freiheit, Kunst um ihrer selbst willen zu schaffen, geht idealerweise mit einer Leichtigkeit daher, die hier ihre Entsprechung in der geistreichen Interpretation der drei Sonaten findet: Selbstbewusst ohne pompös zu sein, farbig und saftig im Klang, ohne schmalzig zu werden. Fabelhaft ist Francesco Cortis ausdrucksstarkes Generalbassspiel, das die Begleitung zu einem gleichrangigen Partner der Blockflötenstimme macht und Impulse gibt.

 

Joseph Hector Fioccos vier Sätze aus der Premier Suite für Cembalo Solo werden unter den Händen von Francesco Conti zu musikalischen Kurzgeschichten, die effektvoll den vermischten Stil Fioccos illustrieren, der französische und italienische Stilelemente mit dem neuen galanten Stil kombiniert. Nach dem königlichen Adagio folgen – überzeugend und virtuos – Allegro und Vivace mit Brillanz und Spielfreude.

 

Die kurze Sonate in F-Dur mit Vogelmotiven von Sybrandus van Noordt beginnt mit echtem Vogelgezwitscher – vielleicht Reaktionen von Vögeln aus der Nachbarschaft des Aufnahmeortes, die auf Eriks Sopranino des Schweizer Flötenbauers Christoph Trescher reagieren – was für einen humorvollen Abschluss der Aufnahme sorgt.

 

Erik Bosgraaf und Francesco Conti haben sich als Solisten längst einen Namen gemacht. Zusammen sind sie jedoch weit mehr als die Summe ihrer Talente.

 

Auch Kenner diese Musikepoche werden in dem von Thiemo Wind verfassten Booklet-Text, der eine umfassende Einführung sowohl in das Instrument Blockflöte als auch in das Repertoire und die Komponistenbiographien gibt, noch Neues finden können.

 

 

Eine Einschränkung in diesem überbordenden Fanggebiet der Begabungen und Superlative ist meine ganz persönliche Bemerkung zur Aufnahmetechnik: Die Balance zwischen Direktheit der Aufnahme und Raumklang ist diesmal zugunsten des letzteren ausgefallen. Die Unmittelbarkeit der brodelnden Emotionen und spontanen Aktionen wird durch die makellose Oberfläche gefiltert.

 

Ein Ausflug in Erik Bosgraafs niederländische Heimat, bei dem man sich keinen besseren Reiseleiter vorstellen könnte.

 

 

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