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Ich habe das Gefühl, dass etwas in mir zu rumoren beginnt ... Tom Beets im Gespräch mit dem belgischen Blockflötisten Bart Coen Porträts

Foto: W. Wouters

 

 

Bart Coen hat sich entschlossen, seine Lehrtätigkeit zu beenden; auf jeden Fall ist der Eintritt in den Ruhestand ein Moment, der einen Blick zurück und einen Blick nach vorn erfordert. Tom Beets sprach mit ihm über seine bewegte Karriere als Musiker und seine Arbeit an den Musikhochschulen in Brüssel und Leuven sowie über seine Pläne.

 

Tom Beets: Bart, ein Blockflötenlehrer, der in Rente geht, hat auch einmal mit der Blockflöte angefangen. Wie war das eigentlich bei dir?

 

Bart Coen: Mit dem Blockflötenspielen habe ich angefangen, nachdem ich schon ein bisschen im Kinderchor gesungen und in der Musikschule Klavier gespielt hatte. In meiner weiterführenden Schule, dem Sint-Michielscollege in Brasschaat, gab es eine aktive Blockflötenszene. Es gab Lehrer, die neben dem Schulunterricht Blockflötengruppen zusammenstellten und betreuten. In diesem Rahmen spielte ein Lehrer dort auch oft Aufnahmen vor, darunter eine des Vivaldi c-Moll-Konzerts mit Frans Brüggen. Für viele Menschen ist diese Aufnahme etwas besonderes, eine Initialzündung ... In dieser Schule wuchs meine Faszination für das Instrument und für das gemeinsame Musizieren.

Ich wusste ziemlich schnell, dass ich Musik machen wollte - es wurde dann die Blockflöte, auch weil ich keine sehr gute Klavierlehrerin hatte, aber eine sehr gute Blockflötenlehrerin, die Schweizerin Marianne Metzger. Dazu kam, dass ich schon bald einige Gelegenheiten hatte, mit der Blockflöte aufzutreten, auch wenn es nur Hauskonzerte waren.

 

Die siebziger Jahre, deine Teenagerjahre, brachten eine große Veränderung in der Welt der Alten Musik mit sich, mit neuen Ensembles wie Collegium Vocale, Huelgas Ensemble, Anima Eterna, Concerto Vocale, Currende und La Petite Bande... Wie hast du diese Jahre erlebt?

 

Ja, für mich war das tatsächlich eine Generation von Pionieren, (beinahe) Berühmtheiten, deren Konzerte wir als Studenten gerne besuchten. Ich habe Aufführungen dieser Ensembles sehr intensiv erlebt und verfolgt. Und schon bald spielte ich mit ihnen auf der Bühne!

Eines Tages gab ich zum Beispiel ein kleines Konzert in der Elzenveld-Kapelle in Antwerpen. Erik Van Nevel saß im Publikum und bat mich, in seinem Ensemble Currende zu spielen. So spielte ich bald die wunderbare Bach-Kantate Actus Tragicus, sogar im Fernsehen. Dann kam Anfang der achtziger Jahre das Huelgas Ensemble auf mich zu, und ich konnte zum ersten Mal mit ihnen auf Tournee gehen. Eine sehr angenehme Erfahrung übrigens, denn Paul Van Nevels Ruf als Genießer, Spaßvogel und ebenso leidenschaftlicher wie genialer Musiker kam hier voll zum Tragen. Ich war bereits in meinen Zwanzigern, als ich mich dem Dirigenten René Jacobs und dem Ensemble Concerto Vocale anschloss, hauptsächlich um Einspielungen zu machen, zusammen mit meinem guten Freund und Mitstreiter Koen Dieltiens. Zunächst beschäftigte sich Concerto Vocale vor allem mit der Aufnahme unbekannter Barockopern, die in dieser Zeit zunehmend szenisch aufgeführt wurden; eine sehr erfreuliche Entwicklung. In den neunziger Jahren landete ich bei Collegium Vocale und Philippe Herreweghe, wo ich die fantastischsten Erfahrungen mit Kantaten (Bach) machte, aber auch mit den Vespern von Monteverdi, Purcell-Produktionen...

All dies stand auch im Zusammenhang mit der Einführung der CD Anfang der 1980er Jahre. Plötzlich gab es eine enorme Aufnahmetätigkeit, die natürlich auch die Konzertpraxis anregte.

 

Das ist sehr spannend, immer neue Ensembles! Ging es darum, Höchstleistungen zu erbringen?

 

Es ging um Leistung, aber das ist natürlich auch etwas, was man selbst bestimmt, was man leisten will. Es war sofort ein Spiel auf sehr hohem Niveau, und dann spürt man natürlich manchmal einen gewissen Stress. Koen [Dieltiens] und ich haben oft in den Pausen für die demnächst anstehenden Barockopern geübt, so ernsthaft waren wir bei der Sache.

 

Hat dich deine Ausbildung auf die Arbeit in solch großen Produktionen vorbereitet?

 

Natürlich kann man während der Ausbildung nie vollständig auf das vorbereitet werden, was danach kommt, aber ich muss sagen, dass ich mit einer breiten Sicht auf die Materie ausgebildet wurde und nicht ausschließlich auf der Blockflöte, als ob es nichts drum herum gäbe. An Technik baut man das, was man braucht, während des Studiums auf, aber es gibt auch Techniken, die man erst später entwickelt, wenn man sie wirklich braucht. Ich habe mir beispielsweise historische Zungentechniken wie „didl” und „terler” erst nach dem Studium beigebracht, weil ich etwa bei Paul Van Nevel Diminutionen spielen musste, für die ich sie einfach brauchte.

 

Du hast mit dem Antwerp Recorder Consort CDs aufgenommen. Quartette wie Loeki Stardust oder das Flanders Recorder Quartet gab es damals noch nicht, wer waren denn deine Vorbilder?

 

Das Ensemble ABC entstand aus der Initiative unseres Lehrers Baldrick Deerenberg, der für das Antwerpener Konservatorium Consort-Flöten anschaffen wollte, um dann mit den fortgeschrittensten Studenten zu beginnen Extra-Muros-Konzerte zu spielen. Damals passierte im Consort-Bereich noch nicht viel. Es gab das Wiener Blockflötenensemble, allerdings fand ich ihren Klang weniger interessant als den der frühen Loeki Stardust. Die Wiener waren eine professionell arbeitende Gruppe, die mit guten Instrumenten spielte, soviel steht fest. In der Tat gab es nicht viel, also haben wir unser eigenes Ding gemacht, auf eine etwas eigenwillige Art und Weise, was auch sehr schön war. Wir hatten keine Idole nötig, denen wir nacheifern wollten (lacht).

 

Jahrelang hast du an großen Projekten in Europa und darüber hinaus mitgewirkt, und vor zehn Jahren hattest du plötzlich deine eigene kleine Gruppe, Per Flauto. Warum diese Entscheidung?

 

Richtig ist, dass ich auch in kleineren Besetzungen gespielt habe, vielleicht mit etwas weniger klangvollen Namen, Romanesque von Philippe Malfeyt zum Beispiel, das gab es auch. Aber... Die Idee zu Per Flauto stand schon seit einiger Zeit fest. Der Wunsch war da, aber man musste auch in der Lage sein, ihn zu verwirklichen. Dann wurde ich von einem Produzenten, der Kontakte zu Sony hatte, angefragt, etwas für eine CD-Aufnahme vorzuschlagen. Ziemlich bald hatte ich die konkrete Idee, etwas mit dem Neapel-Manuskript zu machen, mit 24 sehr interessanten Blockflötenkonzerten. Diese Aufnahme wurde von der Deutschen Harmonia Mundi, dem alten Musiklabel von Sony, veröffentlicht. Das war eine gute Produktion. Wir haben auch eine Fernsehproduktion mit Per Flauto‘s Manoscritto di Napoli 1725 für Canvas Klassik gemacht. Es war sehr schön, die Blockflöte auf diese Weise einem breiteren Publikum zugänglich machen zu können.

Das nächste Projekt war The London Flute. Es gab die Überlegung, die verschiedenen, in der Barockzeit vertretenen Nationalitäten in London, auf einer CD zu bündeln. Auch hier entstand die Idee bei einer CD-Aufnahme. Ja, ich bin offensichtlich ein Aufnahmemensch, ich mag es, schöne Dinge aufzunehmen, und zwar so schön wie möglich. Ich habe das Gefühl, dass das Solospiel auch zu mir gehört. Nach den beiden Per Flauto-CDs mit Sigiswald [Kuijken] habe ich auch diese wunderbare, große Suite in a von Telemann und das Doppelkonzert für Blockflöte und Viola da gamba aufgenommen. Was also das Solospiel betrifft, so hat sich für mich nach der Jahrhundertwende einiges getan.

 

Gibt es Zukunftspläne für Per Flauto?

 

Ich bin noch nicht lange im Ruhestand, aber ich habe das Gefühl, dass etwas in mir zu rumoren beginnt ... Ich habe bereits eine Einspielung mit englischer und eine mit italienischer Musik gemacht, und dann ist da noch Telemann mit La Petite Bande... Vielleicht sollte ich also ein Projekt mit französischer Musik mit Per Flauto machen. Die Idee ist noch sehr vage...

 

Du gehst in den Ruhestand, du hörst auf zu unterrichten, wie viele deiner Kollegen der Alten Musik in Brüssel in den letzten fünf Jahren. Es fühlt sich an wie das Ende einer Ära.

 

Das ist in der Tat zu beobachten. Die Pioniere der ersten Stunde waren hauptsächlich Belgier, man denke nur an die drei Kuijken-Brüder und den Barockoboisten Paul Dombrecht. Was ich in Brüssel sehe, ist, dass die Abteilung für Alte Musik mit internationalen Namen im Lehrkörper stark erweitert wurde. In dieser Schule gibt es ohnehin eine etwas internationalere Bewegung, sodass ich nicht sagen würde, dass das das Ende der Alte-Musik-Bewegung ist, aber vielleicht ist es das für viele Belgier. Es stimmt also, dass sich in dieser Hinsicht eine Art Übergang vollzieht.

 

Dein Leben ist die Musik, war Musik, wird auch in Zukunft Musik sein. Welche Musik bedeutet dir besonders viel und möchtest du mit den Lesern teilen?

 

Ich selbst höre gerne Jazzmusik, oft in klassischer Zusammensetzung, z. B. ein Klaviertrio, das Standards spielt. Oscar Peterson‘s We get requests ist eine sehr schöne LP und CD, empfehlenswert. Dann gibt es noch Errol Garner, Bill Evans und Keith Jarret, um nur einige zu nennen. Auch Vocal-Jazz: Billie Holiday, Ella Fitzgerald, Sarah Vaughan … Das sind Dinge, die bei mir zu Hause oft laufen, weil ich sie sehr mag, auch die Atmosphäre, die sie ausstrahlen. Dann denke ich auch an Soul und Funk. Ich finde Stevie Wonder fantastisch. Ich finde Jacques Brel, Charles Aznavour wunderbar, fesselnd. Außerdem habe ich Miles Davis live in Antwerpen gesehen. Mehr am Ende seines Lebens, und ich war noch jung. Jazz hat mich schon immer fasziniert, vor allem wegen seines enormen harmonischen Reichtums.

Was die Blockflötenmusik angeht: Es kommen regelmäßig wunderbare Aufnahmen heraus, das ist eine sehr gute Sache. Ich möchte eine Einspielung erwähnen, die ich sehr lohnenswert finde, sowohl wegen der beeindruckenden Qualität der Musik als auch der Ausführung: Les Méandres de la Mémoire von Luc Brewaeys durch Jan Van Hoecke. Auch auf YouTube verfügbar, wo man die Partitur leicht mitverfolgen kann.

 

Danke Bart. Was kann ich dir für die Zukunft wünschen?

 

Ich mag Ruhe und Frieden, aber es sollte möglichst nicht totale Ruhe und Frieden sein. Ich genieße meine musikalischen Aktivitäten sehr. Ich freue mich auf einige größere und kleinere Projekte in der nahen Zukunft. Vielleicht wird das Consort-Spiel eines Tages auch dazugehören … Ich freue mich auch darauf, die Natur und die Kunst im Allgemeinen und die Malerei im Besonderen mehr zu genießen.

 

Übersetzung: Tibia

 

Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Ein Video des ganzen Gesprächs finden Sie auf bit.ly/bartcoen.

Wir danken der Zeitschrift blokfluitist für die Genehmigung zur Veröffentlichung der deutschen Übersetzung. Dieses Interview erschien auf Niederländisch in blokfluitist 1/2022.

 

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Über den Autor / die Autorin
Tom Beets ,

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