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Thiemo Wind: Andreas Parcham and his Recorder Sonata(s) Rezensionen
Instant Harmony Essay Series, no. 7, São Paulo (Brasilien) 2023, Instant Harmony, ISBN 979-8872248859, PDF-Download: www.instantharmony.net, Druckausgabe erhältlich über amazon; Info: www.davidlasocki.com
A. Parchams Solo oder Sonate in G-Dur ist als Unikat eines der populärsten barocken Blockflötenwerke überhaupt: ein formal experimentelles, inhaltlich höchst unkonventionelles und abwechslungsreiches Werk, dazu dem Instrument Blockflöte idiomatisch regelrecht „in den Schnabel“ komponiert.
Einer der prominentesten Promoter dieses Stücks war seinerzeit Frans Brüggen, der es nicht nur auf Schallplatte eingespielt hat, sondern auch häufig in seine Konzertprogramme integrierte.
Thurston Dart hatte die Sonate als Solo (allerdings für Violine) 1960 bei Oxford University Press nach der einzig erhaltenen Quelle herausgegeben: dem zweiten Heft der sog. Airs Anglois, 1701 gedruckt von George Bingham im Verlag Estienne Roger Amsterdam. (Hier wird sie am Schluss in italienischer Schreibweise als von einem gewissen „Signore Andrea Parcham“ bezeichnet.)
Die heute am weitesten verbreitete Ausgabe dürfte die von Hugo Ruf in Heft 2 der Sonaten Alter Englischer Meister für Blockflöte und B. c. sein (Hortus Musicus 208).
Womit wir beim Problem wären: wer ist dieser ansonsten völlig unbekannte „Alte Englische Meister“???
Bis vor Kurzem hieß es bei Nachfragen kurz und bündig, dass man nichts Weiteres wisse über diesen Komponisten („Lebensdaten um 1700“), dessen Vorname als vermeintlichem Engländer mit „Andrew“ gedeutet wurde – und dass auch keine weiteren Werke unter diesem Namen bekannt seien.
Thiemo Wind hat dies keine Ruhe gelassen und gründliche und umfängliche Recherche geleistet, um auf die Spuren dieses rätselhaften Meisters zu kommen.
Und siehe da: sein Forschungsbericht, der jetzt in gedruckter Form im Verlag „Instant Harmony“ erschienen ist, widmet sich auf knapp 40 Seiten mit zahlreichen Illustrationen und Faksimiles dem Leben, Wirken und Schaffen von A. Parcham!
Vorab eine gute und eine schlechte Nachricht als Fazit seiner Untersuchungen:
Zunächst die gute: wir wissen jetzt dank Winds Forschungen recht viel über diesen Mann, auch dass er mindestens noch weitere 12 Blockflötensonaten und zwei Capricci für 2 Blockflöten und Bass komponiert hat.
Die schlechte: von diesen letztgenannten Stücken, immerhin einmal als sein op. 1 bei Estienne Roger im Druck erschienen, fehlt bislang jede Spur!
Es bleibt also zunächst bei der einen G-Dur-Sonate.
Winds Forschungen zu Parchams Leben stellen alles auf den Kopf, was man bislang über ihn annahm. Hier nur in aller Kürze:
Er wurde 1643 in Danzig als Andreas Parchem geboren.
Ab 1663 lebte er in Amsterdam und war dort bis zu seinem Tode 1712 ein geschätztes Mitglied des dortigen Musiklebens. Seine Vor- und Nachnamen kursierten dort in unterschiedlichsten Schreibweisen. In der Sterbeurkunde wird er „Andries Perghman“ genannt.
Also überhaupt kein „Alter Englischer Meister!
Und dennoch gibt es zumindest im Falle der G-Dur-Sonate zweifellos stilistische Affinität über den Kanal hinweg: Wind verweist in seiner Analyse der Sonate auf große Ähnlichkeiten mit Werken von Gottfried Finger. Jener war auch kein Engländer, hat aber stilistisch die denkbar „englischste“ Schreibweise gepflegt, zumindest in seiner Zeit auf der Insel.
(Stilistisch lassen sich jedenfalls Blockflötenwerke von Daniel Purcell und Finger kaum voneinander unterscheiden.)
Fingers op. 2 war gerade in Amsterdam erschienen, als Parcham seine Sonaten komponierte.
Vieles in unserer Sonate deutet auf uralte Eigenarten englischer Musik hin: weitgehende Aperiodizität in der Phrasenbildung, einen fast ausschließlich aus Terz und Sextführungen zwischen den Außenstimmen komponierten Satz, ein rezitativähnliches Declamatory Air und einen Witches Dance mit „verhexten“ Rhythmen mitsamt einer kleinen Zauberszene. Noch in Händels „Zauberopern“ wie Rinaldo von 1711 gibt es jene abrupten und völlig unvermittelten Szenenwechsel zwischen schauerlichsten Landschaften mit giftspeienden Monstern und lieblichen Gartenlandschaften mit Vogelgesang – eben genau wie in unserer Sonate, gleichsam einer Miniatur-Masque.
Winds Büchlein (das mir z. Zt. nur als pdf zugänglich ist), enthält zum Schluss ein Faksimile der Sonate aus den beiden Stimmheften des Airs Anglois-Drucks von Bingham. Hier wird das von heutigen Interpreten zu lösende Problem ersichtlich, dass in den ersten Abschnitten der Sonaten Unklarheit über die Frage herrscht, welche Abschnitte von welcher Stelle aus wiederholt werden sollten, bzw. ob es überhaupt einen Satz II (wie bei Ruf) gibt oder ob es sich um die Fortsetzung des ersten handelt nach der kurzen chromatischen Adagio-Unterbrechung.
Thiemo Wind gebührt Dank für seine gründliche Forschungsarbeit! Für uns heißt das immerhin erst einmal, dass wir bei den nächsten Konzertprogrammen Parchams Vorname nicht mehr als „Andrew“, sondern mit „Andreas“ bzw. „Andries“ angeben – und dass wir komplette Lebensdaten hinzufügen können.
Die Suche nach erhaltenen Kopien seines op. 1 auf alten Dachstühlen und in Kellern ist damit eröffnet!
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Michael Schneider(...)