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Narcisse Bousquet „Das beste Flageolett von Paris“ Fachartikel

 

Bousquet, Narcisse (18..–1869). Compositeur. Air varié pour le flageolet, flûte ou cornet à pistons sur Malborough, par M. Bousquet. 1862. (gallica.bnf.fr / BnF)

 

 

Dank Hugo Reyne, der 1988 und 1995 die vollständigen Capricen und Etuden für Flageolett im Moeck Verlag veröffentlichte, ist die Musik von Narcisse Bousquet heute bei Blockflötenspielern durchaus bekannt. Die Person selbst bleibt jedoch geheimnisvoll. Zu seiner Zeit hingegen war Bousquet  berühmt: Als Solist, der für seine Virtuosität bewundert wurde, war er auch einer der meistgeschätzten Komponisten von Unterhaltungsmusik im Paris der Romantik, wo er an der Spitze seines angesehenen Orchesters die vornehmsten Bälle bereicherte. Seine Werke für Flageolett stellen nur einen winzigen Teil seines umfangreichen Schaffens dar, aber er bewahrte sein ganzes Leben lang eine besondere Vorliebe für sein Lieblingsinstrument, dem er originelle und brillante Stücke widmete. Solist, Komponist, Dirigent, Verleger: Bousquet war ein Mann mit vielen Talenten. Als unermüdlicher Lehrer vieler junger Künstler setzte er sich stets mit allen ihm möglichen Mitteln für das Flageolett ein.

 

Joseph Narcisse Bousquet – mit richtigem Namen – wurde am 31. Januar 1820 in Straßburg geboren. Er ist das fünfte Kind aus der zweiten Ehe von Nicolas Oswald, einem 1775 in Nancy geborenen dortigem Musiker und Musiklehrer, und Madeleine Colin. Die ursprünglich aus Altkirch, einer Kleinstadt zwischen Mulhouse und Basel, stammende Familie war um 1817 nach Straßburg gezogen. Über die Jugend von Narcisse ist nichts bekannt, aber alles weist darauf hin, dass er keine andere Ausbildung erhielt als die durch seinen Vater, einem Mann mit einer anspruchsvollen Pädagogik, der seinen Kindern eine hochwertige professionelle berufliche Ausbildung zuteilwerden ließ. Keiner seiner drei Brüder hatte die Möglichkeit, eine musikalische Karriere einzuschlagen, aber alle hatten von dieser Ausbildung profitiert und bezeichneten sich offiziell als Musiker. Nach seiner ausschließlich in Straßburg verbrachten Jugend, ließ sich Narcisse zusammen mit seinem älteren Bruders François Joseph Prosper Ende 1841 oder Anfang 1842 in Paris nieder. Dieser musste aus der Not heraus Buchbinder werden. Nach mehreren Jahrzehnten wirtschaftlicher und sozialer Instabilität erlebte die Hauptstadt damals einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung durch die Politik König Louis Philippes in der beginnenden Industriealisierung.

 

Wie viele junge Leute dieser Generation waren Narcisse und sein Bruder in der Hoffnung nach Paris gekommen, diese neue wirtschaftliche Freiheit zu nutzen, aber wahrscheinlich auch, um ihre musikalischen Kenntnisse zu vertiefen. Narcisse besuchte nicht das Konservatorium (in dessen Aufzeichnungen er keine Erwähnung findet), aber es gibt viele Hinweise darauf, dass er eine besondere Verbindung zum Gymnase musical militaire hatte. Diese vom Konservatorium unabhängige Institution wurde 1836 mit dem Ziel gegründet, das Ansehen der sich im Niedergang befindlichen Militärmusik zu stärken, und ihre Aufgabe war die Ausbildung von Militärmusikern und zukünftigen Musiklehrern. In den zwanzig Jahren ihres Bestehens spielte sie eine führende Rolle, sowohl bei der Weiterentwicklung des Instrumentenbaus als auch bei der Strukturierung des militärischen Zeremonie-Orchesters und seines Repertoires. Die Bibliothèque nationale de France in Paris besitzt offenbar das Autograph einer Fantaisie pour orchestre militaire von Bousquet, das aus dieser Zeit stammt. Diese 1842 datierte und „Monsieur Forestier“ gewidmete Partitur stammt vermutlich aus der Musiksammlung des Gymnasiums, die 1856 bei der Zusammenlegung der beiden Einrichtungen in die Bibliothek des Konservatoriums überführt wurde. Der Widmungsträger dieses Werkes kann als Joseph Forestier (1815–1882) identifiziert werden, damals Professor für Cornet à Pistons am Gymnase musical militaire, aber auch zweiter Kornett-Solist am théâtre royal italien. Als gefragter Pädagoge veröffentlichte er 1844 eine Schule für Cornet à Pistons, die die Berufswahl von Jean-Baptiste Arban maßgeblich beeinflusste. Aus dieser Zeit unterhielt Bousquet mehrere feste Freundschaften, darunter die eines weiteren Kornettisten: Adrien-Louis Tilliard (1819–1890), Autor u. a. der ersten Saxhorn-Schule, die sein Freund 1850 veröffentlichte. Narcisse scheint selbst kein Kornettist gewesen zu sein, aber seine gründliche Kenntnis des Instruments und seine Freundschaften in militärischen Musikerkreisen veranlassten ihn dazu, die meisten seiner frühen Werke diesem Instrument zu widmen. Forestier hatte einen Flöte spielenden Bruder, Jean-Michel „l'aîné“ (1812–1867), der ebenfalls Solist am théâtre italien war. Eine späte Ausgabe der Quatre sérénades extraites des opéras de Bellini et de Donizetti von Bousquet deutet darauf hin, dass auch er einst dem gleichen Ensemble angehörte, eine Position, die er wahrscheinlich den Forestier-Brüdern verdankte.

 

Endlich in Paris niedergelassen, heiratete Bousquet am 7. November 1843 Sophie Conor, die jüngere Schwester eines Strumpfbandmachers aus Aÿ in der Champagne, bei dem er sich in der Faubourg Saint-Antoine niederließ und wo bald der Rest seiner Familie, die in Straßburg geblieben war, zu ihm stieß. Nicolas Oswald kam nur bedingt in den Genuss eines Lebens in Paris, da er schon 1847 verstarb. In der Zwischenzeit hatten sich auch die anderen Familienmitglieder in der Hauptstadt etabliert und sollten diese auch nicht mehr verlassen. Narcisse machte sich daran, eine Karriere in verschiedenen Ballsaalorchestern aufzubauen, in denen das Flageolett durch Jullien, Musard und Collinet, an deren Ruhm er schnell herankam, zum unverzichtbaren Instrument geworden war. Entgegen der landläufigen Meinung war das Flageolett nie Teil des offiziellen Militärorchesters, das nach den von Fachkommissionen festgelegten Regeln gebildet wurde und nur die Piccoloflöte1 zuließ. Längst hatte es jedoch die Salons erobert und war zum bevorzugten Instrument des Tanzes geworden, seinem natürlichen „Lebensraum“, wenn man George Kastner glauben darf: „Was die Tanz- und Ballettmusik betrifft, wissen wir, wie nützlich, um nicht zu sagen notwendig, das Flageolett ist. Das Flageolett ist nicht verbreiteter als das „Cornet à Piston“, wie einige Autoren behauptet haben: seine Noblesse oder Gewöhnlichkeit hängt davon ab, wie es verwendet wird.“2

 

Wie in der Barockzeit ist die Kenntnis der Tänze ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis und zur Interpretation dieses Instrumentalrepertoires, das seine Inspiration sowohl aus dem Theater als auch aus dem Tanz bezieht. Als Narcisse in Paris eintraf, war die französische Quadrille und ihre feste Abfolge von fünf Pflichtfiguren (le Pantalon, l'Eté, la Poule, la Trénis oder la Pastourelle und la Finale) noch die Regel, jedoch kamen neu entstandene Tänze in einem anderen Stil dazu: Polkas, Redowas, Warschauer u. a.. Durch seine Kompositionen nahm Bousquet an dieser kleinen Revolution in der Welt des Tanzes teil, und seine Musik, vor allem seine Capricen, wird ständig von diesen Figuren mit wechselnden Bewegungen inspiriert. Die Rolle des Flageoletts scheint viel wichtiger gewesen zu sein, als die eines einfachen Orchesterinstruments, da es seit Anfang des Jahrhunderts bei Tanzstunden verwendet wurde, ähnlich der Tanzmeistergeige (pochette) zur Zeit Lullys. Eines der repräsentativsten Beispiele ist das von Joseph Saint-Jacôme genannt „Templeux“ (1805–1842)3, sowohl Tanz- und Musiklehrer als auch Autor eines Handbuchs für die neue französische Quadrille (manuel pour le nouveau quadrille français), das 1835 veröffentlicht wurde. Sein Sohn Louis-Antoine (1830–1898) war einer der größten Flageolettspieler und Kornettisten seiner Zeit und veröffentlichte 1866 sogar eine besonders virtuose Air varié, die er Léon Conor, Narcisses' Neffen, widmete.4  

 

Bereits 1848 erschien Bousquets Name im Annuaire général du commerce et de l’industrie der Gebrüder Didot5 unter der Überschrift „professeur de flûte“ (Flötenlehrer), einem Oberbegriff, der sich sowohl auf die Querflöte als auch auf das Flageolett bezog, das manchmal fälschlicherweise als „petite flûte“ bezeichnet wurde. Es ist jedoch offenkundig, dass Narcisse seine Karriere als Solist ausschließlich auf dem Flageolett bestritt, wie die zahlreichen Zeitungsartikel beweisen, die einhellig die Frische seiner Interpretation und die Virtuosität seines Spiels loben. Eine der allerersten Erwähnungen, die wir finden konnten, ist eine Anzeige, die 1850 in einer Ausgabe des l’Argus erschien und die ein „concert bouffe“ im „Château des Fleurs“ ankündigte,6 bei dem Narcisse seine Neukomposition, eine Polka für Orchester, mit dem Titel Les fauvettes aufführen würde, die mit Soli für kleine Flöte und Flageolett ausgeschmückt ist. Dieses Werk, das erst viel später veröffentlicht wurde, war so erfolgreich, dass es lange im Gedächtnis der Öffentlichkeit blieb und zu Bousquets Markenzeichen wurde. Ein am 3. Januar 1869 in La France musicale veröffentlichter Artikel nannte ihn noch immer „den glücklichen Autor der Polka des Fauvettes“.

 

Das Orchester des „Château des Fleurs“ wurde damals von dem berühmten Pierre Pilodo7 geleitet, einem bewunderten und exzentrischen Dirigenten, dessen Assistent Narcisse bald wurde. Weil Bousquet selbst den Taktstock ergriff, wurde er 1854 als Dirigent des Ranelagh-Ball-Orchester in Passy berufen. Ranelagh, der älteste Tanzsaal der Hauptstadt, wurde 1774 gegründet und verdankt seine Popularität einer weit verbreiteten Legende, nach der sich Königin Marie-Antoinette einst gerne zum Tanz dorthin begeben hätte. Kaum zehn Jahre nach seiner Ankunft in Paris war Narcisse zu einem der renommiertesten Dirigenten der Hauptstadt geworden. Er komponierte exklusiv für sein Orchester ein abwechslungsreiches Repertoire, das bei Verlegern hoch im Kurs stand. Seinem Walzer Souvenirs de Bade verdankt er die Ehre während der Weltausstellung 1855 von Kaiserin Eugenie persönlich mit der Ehrenmedaille ausgezeichnet zu werden. Im Winter fanden die Bälle im Salle Barthélémy statt, einem Mehrzwecksaal in der rue du Château d'eau, in dem seit 1851 Konzerte der Philharmonischen Gesellschaft von Hector Berlioz stattfanden. 1854 schrieb der Chronist Alfred d'Arcq: „Bei den beiden Konzerten, die von den Brüdern Clément im Salle Barthélémy organisiert wurden, fiel uns eine Air varié für Flageolett mit Orchesterbegleitung auf, von M. Bousquet, dessen Name allein schon eine Lobrede ist.“8 Diese Erwähnung ist insofern interessant, als dass sie der Veröffentlichung der ersten Air varié von Bousquet um mehrere Jahre vorgreift, sodass er weit mehr komponiert haben muss als die, die uns überliefert sind.

 

Selbst auf dem Höhepunkt seiner Karriere als Dirigent und Komponist gab Bousquet das Flageolettspiel nie auf und schrieb weiterhin Originalwerke für sein Lieblingsinstrument, die er selbst in hochkarätigen Aufführungen darbrachte, wie 1857 bei den „Concerts Musard“, wo eine seiner Airs variés zwischen Herolds Pré-aux-Clercs und Halévys Les Mousquetaires de la Reine auf dem Programm stand. Noch erstaunlicher ist seine Teilnahme an einer grandiosen Militärshow, die im Jardin d'Hiver von Jules Prudent Rivière organisiert wurde, bei der Narcisse mit dem berühmten Geiger Léon Reynier wetteiferte, inmitten eines Orchesters aus eintausendzweihundert Interpreten, darunter zwölf Militärkapellen, zweihundert Chorsänger und sechzig Trommeln.9

 

Solospiel, Komponieren und Dirigieren waren nicht die einzigen Facetten von Narcisses' Tätigkeit, und er hörte sein ganzes Leben lang nie auf zu unterrichten, wie seine Études und seine Grands Caprices, die heute allgemein bekannt sind, bezeugen. Es ist unmöglich, eine erschöpfende Liste seiner Schüler zu erstellen, aber einige von ihnen wurden von ihrem Meister so geschätzt, dass sie in den Genuss einer besonderen Widmung kamen. Sie konnten nicht alle identifiziert werden, aber es gibt zumindest einen, der uns nicht entging: sein Neffe Léon Conor (1833–1911), der ein Virtuose des Flageoletts und des Cornet à Pistons wurde, aber auch ein erfolgreicher Komponist und renommierter Dirigent, der lange Zeit den berühmten Bal Bullier in der Nähe von Montparnasse leitete. Die undifferenzierte Verwendung der Flöte, des Flageoletts oder des Cornet à Pistons in Solostücken mag heute überraschend erscheinen, doch lässt sich dies zum Teil durch die Karriere der damaligen Musiker erklären, die gleichzeitig mehrere Stellen in einem Militärorchester sowie in der Theater- oder Ballsaalmusik bekleiden konnten, was bei Narcisse nie der Fall war. Léon Conor zum Beispiel war zum Zeitpunkt seiner Heirat 1860 ein zweitklassiger Musiker in der Pariser Garde, aber auch ein professioneller Flageolettspieler, und der bereits erwähnte Jean-Michel Forestier war sowohl Flötist am theatre italien als auch chef de musique der Nationalgarde. Ein weiterer Grund ist die erstaunliche Virtuosität des Cornet à Pistons, die ihm schon früh den Zugang zum Repertoire der Flöte, eines der agilsten Instrumente der damaligen Zeit, ermöglichte. Eine Anekdote aus dem Jahr 1848 illustriert dies anhand der Geschichte, wie Jean Baptiste Arban die Jury des Konservatoriums in Erstaunen versetzte, indem er auf seinem Kornett ein ursprünglich für die Querflöte komponiertes Solo von Theobald Böhm aufführte.

 

Bousquets pädagogische Tätigkeit kann auch anhand der vielen Schulen gemessen werden, die er veröffentlicht hat. Abgesehen von einer ersten Nouvelle petite Méthode facile et complète pour le flageolet à l'unisson de la flûte komponierte er eine umfangreiche Schule für das Flageolett und eine weitere für die Querflöte, die beide 1857 und 1858 von seinem Nachbarn und Freund Simon Tondu veröffentlicht wurden (und wahrscheinlich auf dessen Anregung hin verfasst), sowie eine Schule für die Violine und eine für das Klavier, die 1869 veröffentlicht wurden. Die beispiellose Entwicklung von Amateurorchester-Vereinen unterstützte diese Produktion, und Blasinstrumentenbauer wurden oft selbst zu Verlegern, um ihre eigene Arbeit besser zu fördern, wobei sie manchmal sogar so weit gingen, eigene Musikvereine zu gründen. Dies war insbesondere der Fall von Simon Tondu und René Lafleur, einem Pariser Bogenbauer, dem Schöpfer der Alliance Musicale, der viele Titel veröffentlichte, darunter auch Kompositionen seines Freundes Bousquet. Die Londoner Niederlassung der Allianz, die von einem der Söhne Lafleurs gegründet wurde, sollte später zu einem unerwarteten Anstieg der Popularität der Musik von Bousquet auf der anderen Seite des Ärmelkanals führen.  

 

Ab 1850 wurde Bousquet auch Verleger, um seine Musik besser vermarkten zu können, aber sein Katalog war auch offen für die Werke seiner Kollegen und Freunde. Sein Katalog ist beeindruckend und zählt mehrere hundert Titel. Auf diese Weise beteiligte er sich aktiv an der Entwicklung von Amateur-Musikgesellschaften, deren aktives und lebendiges Netzwerk sich rasch in ganz Frankreich ausbreitete. In dieser Hinsicht scheint er sich besonders gern der Veröffentlichung von Schulen für neu geschaffene oder kürzlich verbesserte Instrumente gewidmet zu haben. Dies galt nicht nur für die Saxhornschule seines Freundes Tilliard, sondern auch für eine Schule für das Harmonicor-Jaulin von Giacomo Ferraris (ein Instrument, das sich nicht durchsetzen konnte) und 1864 für die Schule von Louis Schneider, die ein neues Klappensystem für die Klarinette vorstellt. Seine eigenen Werke für Flageolett, sowohl die Airs variés als auch die Études und Capricen, kamen aus seinem eigenen Verlag, und es ist schwer vorstellbar, welche Energie Bousquet aufwenden musste, all diese Aktivitäten gleichzeitig zu verfolgen.

 

In seinen letzten Jahren leitete er die Orchester des Châlet d'Idalie und des Elysée-Montmartre, gab unablässig Ausgaben heraus, unterrichtete und komponierte Titel, die jedesmal ein Erfolg waren. Im Jahr 1850 zog er in die Rue des Petit-Carreaux, wo sich auch René Lafleur niedergelassen hatte, und verließ das Viertel Sentier, das er so sehr liebte und das seinem Geschäft sehr förderlich war, nicht mehr. 1854 zog er in die Rue Bourbon-Villeneuve Nr. 45, wo Eugène Thibouville einige Hausnummern weiter sein Geschäft hatte (Nr. 5), sowie Simon Tondu, der sein Schild Au progrès musical genau gegenüber dem von Narcisse in Nr. 46 installiert hatte. Sein letztes Zuhause fand er 1866 in der Rue d'Aboukir 125, wo er unerwartet am 20. August 1869 um halb neun Uhr abends im Alter von 49 Jahren starb.

 

Das Inventar, das nach seinem Tod auf Wunsch seiner Witwe und des Vormunds seiner Kinder erstellt wurde, ist das einzige Dokument, das uns erlaubt, in die Privatsphäre Bousquets einzudringen. Es zeigt eine überraschend bescheidene Wohnung, bestehend aus vier Zimmern im dritten Stock des Gebäudes, wo er mit seiner Frau und seinen vier Kindern lebte. Der Wert des Nachlasses ist umso überraschender, als er zeigt, dass Bousquet trotz seiner Talente und der eingesetzten Energie nicht reich geworden war: Die Möbel sind wertlos, Silber und Schmuck kaum vorhanden und selbst die Kleidung wird vom Auktionator als „alt“ bezeichnet.

 

Bousquet hatte auch drei Zimmer auf derselben Etage gemietet, die er für seine kommerziellen Aktivitäten nutzte und in denen einige seiner Instrumente untergebracht waren. In einem Raum, der offensichtlich zum Unterrichten genutzt wurde, befand sich ein von Dardelle gebautes Klavier aus Palisander und in einer kleinen Bibliothek zwei Flöten und ein Flageolett mit Silberklappen, die der Auktionator nur auf 50 Francs schätzte. In einem anderen Raum, der als Lagerraum genutzt wurde, fand man ein Violoncello und drei Geigen in schlechtem Zustand im Wert von zusammengenommen 15 Francs, zweifellos die Instrumente, mit denen seine Kinder unterrichtet worden waren: Prosper Narcisse (1846–1864), der im Jahr 1863 eine 3. Medaille in Musiktheorie am Konservatorium gewonnen hatte, Laurent Edouard (1855–1878) 2. Medaille im Fach Kontrabass im Jahr 1872 und Joseph Ernest (1851–1884), der Pauker im Orchester von Pasdeloup wurde. Der einzige Reichtum des Ehepaars bestand in den industriellen Möbeln und der Ausstattung, die seinem Geschäft als Musikverleger dienten, insbesondere die 2881 gestochenen Platten, die alle seine veröffentlichten Werke umfassten.

 

Die Witwe versuchte, das gesamte Geschäft an den Musiker und Dirigenten Jules Isidore Javelot zu verkaufen, der ihr vor einem Notar 10.000 Francs versprochen hatte. Aber diese Vereinbarung scheint nicht zustande gekommen zu sein, und es ist nicht bekannt, was mit Narcisses Manuskripten geschah. Die SACEM (Société des Auteurs, Compositeurs et Éditeurs de Musique), der Bousquet 1856 beigetreten war, hat keine Aufzeichnungen über deren Eigentumsübertragung, und nur gründliche Untersuchungen können eines Tages zur Entdeckung eines noch unbekannten Fundus’ führen. Als Bousquet kurz vor Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/1871 starb, war die Zeit der Belustigungen vorbei, und das Flageolett folgte dem langsamen Niedergang seines Repertoires. Bewegt von Bousquets Tod zollt ihm die Zeitung Le Ménestrel in ihren Kolumnen diese Würdigung: „Wir müssen auch den bedauerlichen Tod von Herrn Narcisse Bousquet anzeigen, der für seine zahlreichen Produktionen von Tanz- und Militärmusik bekannt ist. Er war Dirigent am Elysée-Montmartre, und die Stammgäste des alten Ranelagh haben die besten Erinnerungen an seine Walzer und Polkas sowie an seine seltene Virtuosität auf der kleinen Flöte. Er war ein Komponisten-Virtuose in der doppelten Bedeutung des Wortes, ein zweiter Jullien, weniger exzentrisch, aber musikalischer. Darüber hinaus werden die Künstler ihn wegen seines angenehmen Charakters vermissen.“

 

 

Unterschriften von Bousquet und Tilliard auf der Sterbeurkunde von Prosper Narcisse aus dem Jahr 1864
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Anmerkungen:

1 Georges Kastner, Manuel de général de musique militaire à l’usage des armées, Paris, Firmin Didot frères, 1848.

2 Georges Kastner, Cours d'instrumentation: Considéré sous les rapports poëtiques et philosophiques de l’art à l’usage des jeunes compositeurs, Paris, Au Ménestrel, Heugel, 1840 (Ergänzungen für einen undatierten Nachdruck, Hinweis, S. 7, Bayerische Staatsbibliothek, 4 Mus.th. 732 o)

3 Joseph Saint-Jacôme dit « Templeux », Souvenir des figures françaises les plus usitées… suivi du Manuel du danseur et du nouveau quadrille français par le même, Paris, imprimerie P. Baudouin, 1835.

4 Louis-Antoine Saint-Jacôme, Air varié pour flûte ou flageolet sur le thème du Roi Dagobert, Paris, Lafleur fils aîné; London, Lafleur et fils Jeune, 1866.

5 Annuaire général du commerce et de l’industrie, Paris, Didot frères, 1848, S. 42.

6 L’Argus, 6. September 1850. Das Journal kündigt ein „concert Bouffe” an mit u. a. Les coucous de Mabille und Les Fauvettes von Bousquet, Giralda und la Schottisch de Mabille von Pilodo, sowie zwei Liedern von Joseph Darcier und komischen Szenen.

7 Paris?, 27. Januar 1805 – Asnières-sur-Seine?, 4. Februar 1871.

8 Le Colporteur: journal de la littérature, des théâtres et des beaux-arts, 24. Dezember 1854.

9 Journal des débats politiques et littéraires, 22. Juli 1855, S. 2.

 

Übersetzung aus dem Französischen: TIBIA

 

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Über den Autor / die Autorin
Michel Quagliozzi , Michel Quagliozzi studierte Blockflöte bei Walter(...)