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„Alle Zeitepochen sind für mich sehr interessant! Jede Epoche hat ihre Besonderheiten“ Michael Schneider im Gespräch mit Jan Van Hoecke Porträts

 

Jan Van Hoecke wurde 1982 im belgischen Eeklo geboren. 2006 absolvierte er sein Master-Studium summa cum laude in der Klasse von Bart Coen am Koninklijk Conservatorium Brussel. Sein Lehrer für Konsortmusik war Peter Declercq, Studien in Zeitgenössischer Musik bei Bart Bouckaert und Tomma Wessel. Darüber hinaus besuchte er Meisterkurse, unter anderem bei Gerd Lünenbürger, Eva Legène und Dan Laurin. Er studierte Kammermusik bei Viviane Spanoghe am Koninklijk Conservatorium Brussel. Dank dieser Ausbildung konnte Jan Van Hoecke am Conservatoire de Lausanne ein Jahr bei Antonio Politano moderne Musik studieren.

 

Jan Van Hoecke gewann verschiedene internationale Preise. Heute konzertiert er im In- und Ausland und trat als Solist oder im Ensemble in den USA, Japan, Großbritannien, Deutschland, den Niederlanden, Frankreich, Österreich, Belgien und der Schweiz auf. Jan Van Hoecke befasst sich mit der Ausführung sowohl historischer als auch zeitgenössischer Musik.

 

Von 2005 bis 2008 unterrichtete Jan Van Hoecke Blockflöte an der Hoofdstedelijke Academie Brussel, sowie an der Stedelijke Academie voor Muziek en Woord Oudenaarde und von 2009 bis 2019 war er Lehrer am Conservatoire de Lausanne, Schweiz. Seit Oktober 2019 ist Jan Van Hoecke Professor für Blockflöte an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst (HfMDK) in Frankfurt am Main.

 

Mit ihm sprach Michael Schneider.

 

Michael Schneider: Lieber Jan, vor gut einem Jahr hast du meine Blockflötenklasse an der HfMDK Frankfurt übernommen. Nun kam Corona dazwischen, was bis heute einen normalen Unterrichtsbetrieb (vor allem in Ensemblefächern) unmöglich gemacht hat. Dennoch: magst du schon über erste Erfahrungen in Frankfurt berichten? 

 

Jan Van Hoecke: Zunächst einmal vorab: Die Tätigkeit an der HfMDK Frankfurt macht mir sehr viel Freude! Als ich im Oktober 2019 dort angefangen habe, war noch keine Rede von Corona. So konnte ich wenigstens von Oktober bis März normalen Unterricht geben.

 

Zunächst hieß es natürlich, die Studierenden und die Kolleginnen und Kollegen kennenzulernen. Nach und nach nahm dann auch der Unterricht Form an. Mir gefällt an der HfMDK Frankfurt das breite Spektrum der verschiedenen Studiengänge sehr gut: von der „Young Academy“ (YA) über „Künstlerische Instrumentalausbildung“ (KIA), Instrumentalpädagogik (IP), Historische Interpretationspraxis (HIP) bis hin zum Konzertexamen (KE). Dies eröffnet den Studierenden ein breitgefächertes Ausbildungsangebot. Seit März 2020 arbeite ich sowohl online als auch in Präsenz. Trotz dieser Umstellung haben die Studierenden, denke ich, große Fortschritte gemacht. Neben dem Unterricht kommen noch verschiedene Vorlesungen, Administration und persönliche Forschungsarbeit hinzu.

 

MS: Du hast ja u. a. bei Antonio Politano in Lausanne studiert und bist mit der Interpretation zeitgenössischer Musik, auch Uraufführungen, hervorgetreten. Welche Rolle spielt für dich zeitgenössische Blockflötenmusik im Unterricht?

 

JVH: Ich finde es wichtig, Werke von zeitgenössischen Komponisten zu spielen, mit denen persönlicher Kontakt aufgebaut werden kann. Das ermöglicht es dem Interpreten, ein Werk im gegenseitigem Austausch mit dem Komponisten zu gestalten. Es ist für beide Seiten ein lehrreicher Prozess, der mithilft, die zeitgenössische Musik lebendig zu halten.

 

Durch gemeinsame Recherchen mit Komponisten wird man immer wieder Lösungen finden, die auch für viele andere Musikstücke, auch solche von nicht mehr lebenden Komponisten, nützlich sein können. Dieses ist für mich einer der Gründe, warum ich mit meinen Studierenden zeitgenössische Musik erarbeite und ihnen nahelege, mit Studierenden der Kompositionsklassen oder mit bereits arrivierten Komponisten Kontakt aufzunehmen. Dank der Anforderungen bei der Interpretation zeitgenössischer Musik verbessern die Studierenden ihre Technik und lernen ganz allgemein ihr Instrument besser kennen: Das wirkt sich dann ebenfalls auf die Alte Musik aus!

 

MS: Auf der anderen Seite hast du für die Hochschule auch Csakane anschaffen lassen. Also bist du intensiv auch im 19. Jahrhundert unterwegs?

 

JVH: Ich habe den Csakan selbst vor einigen Jahren kennengelernt. Jetzt finde ich es wichtig, darauf auch Musik des 19. Jahrhunderts zu interpretieren. Deshalb gehört dieses Instrument jetzt fest in mein Unterrichts-Curriculum. Es gibt ja verschiedene originale Csakanschulen. Besonders die beiden von Ernest Krähmer sind sehr inspirierend und spiegeln ein sehr hohes pädagogisches Niveau wider. Mehrere Studierende meiner Klasse erarbeiten zur Zeit Csakan-Literatur.

 

MS: Aber selbstverständlich bewegst du dich auch in viel früheren Jahrhunderten, z. B. bei Ganassi!? Im Barock ja ohnehin – du bist ja u. a. auch Telemann-Preisträger! Also: Blockflötenrepertoire total?

 

JVH: Alle Zeitepochen sind für mich sehr interessant! Jede Epoche hat ihre Besonderheiten, z. B. das Interessante bei Ganassi sind die verschiedenen „Regole“. Es macht mir viel Freude, durch  Ganassi inspirierte Diminutionen auf Madrigale und Motetten zu komponieren. In der Barockmusik finde ich ebenfalls diese Freiheiten bei den Verzierungen. Der Csakan erlaubt mir ganz andere Klangpaletten, z. B. in Kombination mit der romantischen Gitarre oder dem Hammerklavier. Das interessante an der zeitgenössischen Musik ist für mich die Bandbreite der verschiedenen Stile.

MS: Du bist ein reinrassiger Blockflötist und hast niemals Quer- oder Traversflöte oder Oboe gespielt – Klavier aber, soweit ich weiß?

 

JVH: Ich habe mich seit meiner Kindheit mit verschiedenen Musikinstrumenten befasst, sogar eine große Kollektion von Blechblasinstrumenten, Klarinetten, Querflöten und anderen Instrumenten zusammengetragen. Ich habe zum Spaß auf ihnen gespielt, bin aber sicher nicht konzertreif (lacht).

 

Klavier habe ich als zweites Instrument gelernt, daneben spiele ich noch etwas Cembalo. Das Klavier und das Cembalo ermöglichten mir als Kind, auch andere Musikstile zu spielen. Aber ich bin immer wieder zur Blockflöte zurückgekommen, denn auf die Dauer vermisste ich die Kraft des Atems. Ich finde die Herausforderungen der Blockflöte äußerst spannend, die Möglichkeiten der Klangbeeinflussung sind für mich faszinierend.

 

MS: Wie sehen deine eigenen künstlerischen Pläne für die Zukunft aus – Konzerte, CDs? Wir gehen ja alle davon aus, dass es irgendwann nach Corona weitergeht mit dem Musikleben!

 

JVH: 2021 stehen mehrere interessante Projekte an, sofern sie nicht durch Corona ausfallen: Konzert und CD-Aufnahme von Bachkantaten mit dem Ensemble Gli Angeli (Stephan MacLeod), Konzerte mit einem Charpentier-Programm mit Les Arts Florissants (William Christie), die Händeloper Rinaldo an der Lausanner Oper mit dem Kammerorchester Lausanne unter der Leitung von Andrea Marcon. Dazu kommen Konzerte mit u. a. dem Gitarristen Albert Pià Comella sowie eine CD-Aufnahme von Ferocious purposes, eine zeitgenössische Komposition für Paetzold-Kontrabassblockflöte und Electronics von Blaise Ubaldini.

 

Mit der Schweizerischen Cembalistin Jovanka Marville bereite ich eine CD-Aufnahme mit den Blockflötensonaten von Francesco Barsanti vor. (Wer eine kleine Probeaufnahme hören möchte, findet sie unter http://www.janvanhoecke.com/?page_id=328.)

 

MS: Dein Hauptstudium hast du in deiner Heimat Belgien absolviert. Hast du noch Kontakte in die dortige Szene oder ist das von deiner letzten Tätigkeit in der Schweiz überlagert? Du wirst ja auch ab Januar 2021 die Mitherausgeberschaft bei Tibia zusammen mit Leo Schelb übernehmen. Da geht es ja vor allem darum, neben eigenen Beiträgen eben diese Kontakte zu nutzen, um auch im internationalen Rahmen interessante Artikel für das Online-Portal anzuregen.

 

JVH: Es freut mich, mit Leonard Schelb ein Team zu bilden, um diese interessante, bereichernde Tätigkeit gemeinsam mit ihm zu realisieren. Meine belgischen und schweizer Kontakte habe ich selbstverständlich aufrechterhalten: Ich bin zuversichtlich, dass es viele Möglichkeiten geben wird, interessante Beiträge für Tibia zusammenzutragen.

 

MS: Lieber Jan, vielen Dank für dieses Gespräch. Ich wünsche dir als Lehrer, Musiker und als Mitherausgeber der Tibia alles Gute!

 

 

 

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